Author's Commentary:
Klappentexte sind gemeinhin die Hölle, aber ich mag diesen Klappentext. Deshalb möchte ich ihn auch nutzen, um euch etwas über den ersten Band von Rigor Mortis zu erzählen. Kurze Textpassagen sollen euch die Hauptfiguren der einzelnen Handlungsstränge schmackhaft machen, meine Kommentare euch einen Blick hinter die Fassade ermöglichen.
Textauszug Eins: Kalifornien
Würdest du eher deine Mutter ficken oder deinen Vater töten?
Ein antikes Dilemma für einen Popstar des dritten Jahrtausends.
Die Quintessenz des Desasters trifft auf die personifizierte Belanglosigkeit.
Das bringt Quote.
Ich lehne mich in meinem Ledersessel zurück, lasse meine rechte Hand aber weiterhin gebieterisch auf der Tischplatte ruhen und beobachte ihn. Es mag wirken, als würde ich, lauernd wie eine Bestie, nach seiner Antwort gieren, ihn mit meiner Aufmerksamkeit strafen und das in Todesangst erstarrte Freiwild somit in eine Falle locken. Ich bin das allgemeine Böse, bin sein ganz konkretes Verderben und magisch schön in meiner Arroganz. Hochkonzentriert und überlebensgroß. In Wirklichkeit unterdrücke ich ein Gähnen. Er langweilt mich, meine eigene Inszenierung langweilt mich. Seine Starallüren schrumpfen unter meinem Blick, das aufbrechende Blendwerk des geborgten Ruhms lässt das Kind durchscheinen, das er gestern noch gewesen ist. Ich muss ihn nicht vorsätzlich anstarren. In meiner Gegenwart fühlt sich jeder angestarrt. Nennen wir es Talent, aber genau genommen ist es mein Naturell. Ich bin einschüchternd, also wirke ich auch so.
"Ich warte."
Meine Stimme ist die Stimme des großen bösen Wolfs, märchenhaft gepaart mit dem Schnurren der Grinsekatze. Sie macht die Menschen an und sie macht ihnen Angst. Wenn ich lächle, wird mein Gesicht zur Fratze.
"Wir alle warten", setze ich nach.
Ein Tosen und Toben geht durch das Studiopublikum. Hysterisch reißen sie die Hände in die Höhe und die Mäuler auf. Sie alle in dieser Halle und ihr alle da draußen: Ihr seid mein Wir. Und ihr verlangt nach diesem Spiel, weil ich es euch unterbewusst aufgezwungen, euren Verstand vergewaltigt und gebrochen habe. Ihr wollt es, genauso wie ihr T-Shirts mit meinem Konterfei und Kaffeetassen mit dem Schriftzug Count Mortis – Willkommen in der Hölle wollt. Eigentlich begehrt ihr mich, aber ihr bekommt nur, wofür ihr bezahlen könnt.
Kommentar von Faye Hell:
Man hat mir mal beigebracht, dass der erste Satz eines Romans der bedeutendste wäre. Vielleicht ist das nicht die ganze Wahrheit, aber ich denke, dass er einschlagen muss. Wehtun muss. Im Idealfall zwingt er einen irgendwie dazu, das Buch noch mal kurz zur Seite zu legen. Den ersten Satz in Rigor Mortis habe ich sicher zwanzigmal geschrieben und zwanzigmal gelöscht. Aber wenn ich nicht davor zurückscheue, eine Figur wie Richard Darius zum Ich-Erzähler meines Romans zu machen, dann darf ich auch vor diesem Satz nicht zurückscheuen.
Niemand könnte meiner eigenen Persönlichkeit fremder sein als ein Charakter wie Darius. Dennoch prägt er diesen Roman und sein Archetyp … darauf kann ich jetzt nicht näher eingehen, ohne Zusammenhänge zu spoilern.
In einer idealen Welt gibt es keinen Richard Darius. Da aber unsere Welt erschreckend weit weg von einem Ideal ist, finde ich es nicht unerheblich, sich in einer fiktionalen Welt mit diesem schmerzhaften (Zerr)bild der Wirklichkeit zu konfrontieren.
Aber Belletristik sollte doch unterhalten?
Gewiss!
Doch wer sagt, dass man sich zwischen Kritik und Unterhaltung entscheiden muss?
Textauszug Zwei: Alaska
Eine elementare Angst, die weder mit Worten noch mit Gesten zu fassen war, die sich erst klirrend glatt über ihren Rücken schob und sich dann widerwärtig säuselnd an ihren steifen Hals schmiegte, ergriff von ihr Besitz. Es war mehr als die Furcht vor der Aufgabe. Es war die Furcht an sich, das unausweichliche Unbehagen in seiner reinsten Erscheinungsform, demaskiert und auf den schmerzhaftesten Punkt im Geist eines jeden Menschen gebracht. Irritiert fasste sie sich in den Nacken, schüttelte den Kopf und tat, was wir alle tun: nachdrücklich leugnen, was wir intuitiv bereits wissen, sobald wir es nicht rational erklären können.
"Echt jetzt, verdammt, reiß dich zusammen!", wiederholte sie die Forderung, die sie eben erst an sich selbst gestellt hatte, mit etwas mehr Nachdruck, und sie konnte spüren, wie die alarmierende Furcht der indoktrinierten Überzeugung wich. "Du bist die Expertin. Das ist deine Leidenschaft und das ist deine Chance. Nicht nur, dass man dir gutes Geld bezahlt, nein, auf diese Weise hast du endlich die Möglichkeit, nach der Reise einen weiteren Monat hierzubleiben und den Forschungsschwerpunkt deiner Arbeit vor Ort eigenständig umzusetzen. Betrachten wir das Ganze nüchtern: Ohne das hier bist du geliefert. Kein Geld, keine Forschung, keine Dissertation, keine Unistelle. Aus und vorbei. Der ganze verdammte Traum für die Tonne."
Sie atmete tief ein, drückte das Kreuz durch, hob das Kinn an und zog die Mundwinkel in die Höhe, atmete langsam aus und schenkte ihrem Abbild ein gequältes, aber letztendlich doch überzeugendes Lächeln.
"Mein Name ist Rosa Martin, ich bin Doktorandin an der Geschichte-Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz, mein Forschungsschwerpunkt ist der Goldrausch in Alaska und dem Yukon Territory zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts und ich bin Ihre Reiseleiterin. Heute ist Sonntag, der zehnte Juli 2005, und das ist der Beginn unseres gemeinsamen Abenteuers. Glückauf!"
Kommentar von Faye Hell:
*räusper*
Wenn ich gerade erklärt habe, dass ich Darius keinesfalls bin, so muss ich gleich einräumen, dass dafür viel von mir in Rosa Martin steckt. Ich habe selbst an der Geschichte-Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz studiert, ich bin (wie Rosa) in der Obersteiermark aufgewachsen und ich bin eine echte Bergbau- und Goldrauschfanatikerin. Ich interessiere mich dafür, seit ich als Kind das erste Mal in einem Bergwerksstollen gewesen bin. Und es ist der Goldrausch gewesen, der mich nach Alaska beziehungsweise ins Yukon Territory gebracht hat. Die Reiseroute, die Rosa mit ihrer Reisegruppe absolviert, ist jene, die ich selbst mit Mister Hell gefahren bin. Alles, was ich im Roman landschaftlich schildere, habe ich mit eigenen Augen gesehen. Die historischen Passagen basieren (teilweise sehr detailgetreu) auf Fakten, die ich unter anderem vor Ort recherchiert habe. Demnach ist Rigor Mortis in der Tat nicht nur ein Horrorroman, sondern sehr wohl auch ein historischer Roman. Und wenn ihr Faye in diesem Buch findet, dann findet ihr sie in Rosa.
Textauszug Drei: Yukon Territory
Sie tranken Malzkaffee aus Blechdosen, aßen halbgetrockneten Zwieback und saßen, in ihre jeweiligen Gedanken versunken, vor der kleinen Hütte, die sie aus feuchtem Holz gebaut hatten. Die Spalten zwischen den Stämmen mit Dreck und Moos verstopft, das schiefe Dach mit Grasnarben gedeckt, der Fußboden nicht mehr als festgestampfte Erde, die beiden winzigen Öffnungen neben der Eingangstür mit Einmachgläsern aufgefüllt. Derart blickte die schäbige Hütte aus ihren Fenstern wie aus den Facettenaugen eines widerwärtigen Insekts auf die Wildnis, die der Mensch zu unterwerfen und zu berauben gedachte.
Keith wollte sich gerade erheben, Malzkaffee nachschenken und im rotglühenden Blechofen der Hütte Holz nachlegen, als er mitten in der Bewegung erstarrte. Über den Hügel hinter dem Claim kam festen Schrittes ein Mann des Weges marschiert und hielt unbeirrbar auf die Hütte zu. Er war keineswegs gewandet, wie es die Umstände erfordert hätten. Er war gewandet, um zu repräsentierten, und das, was er überheblich zur Schau trug, ließ Keith das Blut in den Adern gefrieren. Dieser Fremde an diesem einsamen Ort war zu perfekt, um nur zu sein, was er zu sein vorgab, nämlich ein Mensch. In jedem seiner Schritte war so viel mehr als bloße Existenz, so viel mehr als entstehen, erzeugen und schlussendlich stumm vergehen. Er war von furchteinflößend stattlicher Gestalt. Am Kopf trug er einen schwarzen Hut, die Krempe tief ins Gesicht gezogen, sein bodenlanger Mantel wehte über dem steinigen Abhang wie die Schwingen eines Raben.
Als Keith die Sprache wiederfand, was vor dem Wiederfinden seiner Beweglichkeit geschah und somit die einsilbige Aufforderung sofort der undurchführbaren Lächerlichkeit preisgab, hauchte er den vom Kaffee heißen Atem in die eiskalte Luft und spie mit der weißen Wolke das eine Wort aus: "Lauf!"
An diesem Ort lernte man schnell, dass es sich zu kämpfen lohnte, aber dass es dennoch manchmal besser war zu fliehen und erst bei der Rückkehr die verbliebenen Scherben einzusammeln. Der Claim war alles. Einzig und allein das nackte Überleben war noch mehr. Ohne zu zögern oder gar nachzufragen, sprang Arthur auf, bereit dazu, seinen Freund auf seine Bitte hin mit sich hinfort zu reißen und alles zurückzulassen. Doch was da Unmenschliches über den Hügel kam, war nicht an die lähmenden Gesetzmäßigkeiten des Tatsächlichen gebunden. Eben war der rabengleiche Mann gut hundert Meter entfernt, einen Wimpernschlag später stand er direkt vor ihnen.
"Meine Herren, mir persönlich wäre es lieber, ihr würdet verweilen und diesen besonderen Moment mit mir teilen", sprach der unerwartete Gast, und beide Männer sanken kraftlos und ohne Widerworte auf die Holzstämme nieder, die ihnen als Schemel dienten.
Das markante, glattrasierte Gesicht des Fremden war leichenblass. Das Haupthaar, das am Nacken unter dem breitkrempigen Hut hervorlugte, war schwarz wie jedes einzelne Stück seines Gewandes. Schwarz wie seine seelenlosen Augen. Ein abfälliges Lächeln umspielte seine schmalen Lippen und seine Nasenlöcher waren gebläht wie die Nüstern eines tollwütigen Tiers. Unter seinem bodenlangen Lodenmantel trug er Hosen aus Leder, ein hochgeschlossenes Hemd und darüber eine enganliegende Weste aus Samt, die mit verschlungenen, silbernen Zeichen bestickt war. Um seine Hüfte hatte er einen breiten Patronengurt geschlungen, im Holster steckte ein silberner Revolver mit auffällig langem Lauf. Es war nicht ungewöhnlich, dass die wenigen Menschen, die es hoch in den Norden verschlug, ihre Waffen offen trugen, doch dieser Revolver wurde zur Schau getragen wie ein herrschaftliches Insigne.
"Ihr sucht nach Gold. Es ist diese Suche, die euch am Leben hält, die euch zu mir geführt hat. Ihr werdet Gold finden. Verdammt viel Gold. Das wird sie anlocken, die Menschen. Sie werden kommen, um zu besitzen, und sie werden bleiben, um in meiner Stadt zu leben."
Kommentar von Faye Hell:
Da ist er. Randall Henderson. Der Holzbaron von Dawson City. Und das sind die ersten Zeilen, die ihn durch mein mehrbändiges Werk schreiten lassen. Randall Henderson ist mein "Man in Black" und er ist eine der wohl klassischsten Figuren, die ich jemals auf meine Leser*innen losgelassen habe. Irgendwie musste ich häufig an einen jungen Johnny Cash denken. Und ich habe auch viel Johnny Cash gehört, während ich an diesem Handlungsstrang geschrieben habe. Ich bin ein großer Westernfan und ich liebe vor allem Dark Western, demnach würde ich Rigor Mortis auch insgesamt als Dark Western bezeichnen. Wenn das Buch in diese Kategorie fällt, dann wegen Randall. Und allen, die jetzt gerade über diesen Namen stolpern und sich denken „Da klingelt doch etwas", denen kann ich versichern, dass dies gewollt und kein Zufall ist. Wenn überhaupt, dann ist es ein Kniefall vor meinem König. Der Vorname referenziert tatsächlich auf THE STAND von Stephen King, der Nachname ist ein historischer und er erinnert an einen Mann, der maßgeblich an der Entstehung von Dawson City beteiligt gewesen ist. Natürlich ist mein Randall Henderson weder der eine noch der andere, aber ich wollte meinen Respekt zollen. Und ich wollte euch Angst machen.
Wenn ihr Richard hassen sollt, dann sollt ihr Randall fürchten.
Aber wichtig ist, dass ihr Rosa folgt.
Und ihr vertraut …
Willkommen in Alaska!
Die Neuauflage:
Ursprünglich in einem Band publiziert, aber in schlechten Händen dem Vergessen überantwortet worden, erscheint nun mit Goldrausch Band 1 die auf drei Bände ausgelegte Neuauflage von Rigor Mortis. Überarbeitet und mit Zusatzmaterial versehen, erscheint Rigor Mortis als Softcover und eBook beim auf Hardcore Horror spezialisierten Verlag Hammer Boox. Ein Veröffentlichungstermin für die weiteren Bände ist noch nicht bekannt. So Bastet will, ist auch ein vierter Band nicht undenkbar ...
Über die Autorin:
In der Nähe von Wien wohnt Faye Hell in einem Haus zwischen Wald und Friedhof. Die Katzenfanatikerin und Bastet-Anhängerin beschäftigt sich bevorzugt mit den düsteren Gefilden von Kunst, Kultur und Gesellschaft und ist immer auf der Suche nach Werken, die sie herausfordern und vielleicht sogar ein kleines bisschen quälen.
Ihre Diplomarbeit hat sie im Fachbereich Cultural Studies (Schwerpunkt Film) zum Thema "Serienmörder im Film und ihre historischen Vorbilder" geschrieben.
In ihrer schriftstellerischen Arbeit verbindet sie subtiles Grauen mit expliziter Gewalt und Obszönität.