“He enjoyed relating his stories to my mother (...)
Mom enjoyed hearing his tales.
She was an excellent listener.”
Brian Herbert, Sohn von Frank Herbert, schildert in seiner Biographie über seinen Vater, wie dieser mit dem Verfassen von Dune begann. Frank Herbert soll zunächst überlegt haben, seinen Roman auf dem Planeten Mars spielen zu lassen. Allerdings erschien ihm dieser dann jedoch zu sehr mit bereits vorhandenen Vorstellungen der Leserschaft verbunden zu sein. Es musste ein eigener Planet mit Sprachen geschaffen werden, die jedoch von irdischen Vorbildern inspiriert sind. An einem Winterabend bekommt der junge Brian mit, wie sein Vater der Mutter eine erste Kostprobe des Buches vorliest. “The language is beautiful”, soll das erste Urteil von Beverly Stuart-Herbert gewesen sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass Herbert eng mit seiner Frau zusammengearbeitet hat. Noch für das sechste Buch der Dune-Reihe schlug sie den Titel vor. Ihr Tod traf den Autoren ins Mark, wie der Sohn berichtet: “Following Beverly Herbert’s death, the only productive writing Dad did involved the fulfillment of promises made to her. (...) Without his companion of nearly four decades, my father could not go on.” Vor dem Welterfolg von Dune bedeutete dies selbstredend weitreichende Entbehrungen für die Familie. Ohne Beverly Herberts Einkommen hätte Frank sich nicht intensiv dem Schreiben widmen können. In den Jahren vor ihrem Tod kümmerte sie sich auch um das inzwischen nicht unbeträchtliche Vermögen. Ihre Bedeutung für die Entstehung der Bücher sollte keineswegs unter den Teppich gekehrt werden wie Wüstensand. Tatsächlich hat Herbert eine zentrale Figur von Dune nach seiner Ehefrau geschrieben. Lady Jessica, eine Bene Gesserit und Mutter der Hauptfigur Paul Atreides, ist stark von Beverly Herbert inspiriert, wie der gemeinsame Sohn Brian feststellt: “Lady Jessica, with her beauty, intelligence, loyalty and love, represented the way my father felt for my mother.”
Dune ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Im Folgenden werden wir die Inhalte der drei Teile vorstellen und dabei besonders auf die Rolle der Lady Jessica eingehen.
Achtung: Spoilerwarnung!
Verraten und verkauft
“And it is generally accepted now that the Lady Jessica’s latent abilities were grossly underestimated”
– from: ‘Analysis: The Arrakeen Crisis’ by the Princess Irulan
Der Imperator hat entschieden: Das Haus Atreides wird seinen Heimatplaneten verlassen und anstatt der Harkonnen Herrscher über den Wüstenplaneten Arrakis. Allerdings ist dies nur ein Vorwand, um sich der Atreides zu entledigen. Selbst Herzog Leto, der die Atreides anführt, weiß von dieser Gefahr, stellt sich ihr jedoch. Auch die Leser*innen wissen früh Bescheid, denn zur Lektüre des Romans gehört es, dass man schon vor der eintretenden Handlung durch kleine Fluff-Texte der Prinzessin Irulan über die Handlung informiert wird.
Lady Jessica, Angehörige des Ordens der Bene Gesserit und Konkubine von Herzog Leto Atreides, bereitet ihren Sohn Paul und sich selbst auf die Abreise zum Wüstenplaneten "Dune" vor. Die Mutter ihres Ordens ist keineswegs darüber erfreut, dass Jessica einen Sohn zur Welt brachte. Die Anweisung der Bene Gesserit war, dass eine Tochter geboren werden sollte. Jessica wird zum einen vorgeworfen, dass sie sich aus Stolz so entschied: sie dachte, sie könne den Kwisatz Haderach, den Messias ihres Ordens gebären. Zum anderen hätte sie auf die Bedürfnisse des Herzogs, der einen Sohn wolle, Rücksicht genommen. Außerdem habe Jessica ihren Sohn in den Fähigkeiten des Ordens unterrichtet, weshalb dieser nun die "Stimme" nutzen könne, um andere Personen zu beeinflussen. Die Vorwürfe wiegen schwer, allerdings wird sie noch von der Ehrwürdigen Mutter darauf hingewiesen, dass die Missionaria Protectiva auf Dune aktiv geworden wäre. Ein Hinweis, der für die Entwicklung des Buches zentral ist.
Auf Arrakis schließlich schnappt die Falle zu: Der Leibarzt des Hauses Atreides ermöglicht dem Haus Harkonnen den Angriff. Zur Unterstützung des Unterfangens stellte der Imperator seine Eliteeinheiten, die "Saudakar", zur Verfügung. Die Raumfahrergilde, die die gesamte Raumfahrt steuert, transportierte die Truppen gegen eine beträchtliche Summe. Die Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit war eingeweiht. Herzog Leto wird ermordet. Der vielfache Verrat an den Atreides und ihren Gefolgsleuten wirkt besonders schwer, weil es sich im Falle des Imperium von "Dune" um ein feudales System handelt: Es erfordert Treu und Glauben gegenüber und an die Herrschenden, die im Gegenzug ihren Schutz gewähren.
Durch Unterstützung einiger weniger überlebender Loyaler gelingt Jessica und Paul die Flucht. Bald werden sie den Fremen, den Eingeborenen von Dune, begegnen.
Mutter von Muad’Dib
Die erste Begegnung mit dem Wüstenvolk von Arrakis ist gefährlich, denn das Misstrauen der Fremen gegenüber Fremden ist groß und die Bereitschaft zur Hilfe in der unbarmherzigen Umgebung gering. Jessica sieht aufgrund ihrer Ausbildung eine Chance. Sie besinnt sich auf die Missionaria Protectiva: Bene Gesserit, die religiöse Propaganda auf Dune verbreiteten und die Ankunft des Lisan al Gaib, der Erlösergestalt der Fremen, predigten. Nachdem sie den Fremen und deren Anführer Stilgar ein vermeintliches Zeichen aus deren Prophezeiungen zeigte, nimmt die Gruppe sie auf. Paul wird zunächst geringgeschätzt und gilt eher als ein Anhängsel seiner Mutter, die bereits in Gedanken ihre Möglichkeiten auslotet: “an entire culture to military order. What a priceless thing is here for an outcast Duke!”
Wenig später wird Jessicas Sohn Paul von einem Fremen zu einem rituellen Zweikampf auf Leben und Tod herausgefordert. Jessica will intervenieren, allerdings wird es ihr vom Anführer der Fremengruppe untersagt. Ohne Zweifel ist sie besorgt um ihr Kind: “But he’s only fifteen (...) I must stop this.” Ihre Sorge verändert sich nach dem Tod von Pauls Gegner: “He has killed a man in clear superiority of mind and muscle. He must not grow to enjoy such a victory.” Pauls Sieg gewährt ihm Respekt unter den Fremen und die Wahl eines Namens. Er entscheidet sich für Muad’Dib, den Fremennamen für eine kleine Wüstenmaus. Durch die ritualisierte Einnahme von Gewürz erwacht in Paul die Fähigkeit, die Zukunft zu sehen. Seine Visionen sind beunruhigend: Es scheint sein Schicksal zu sein, die Fremen in einen intergalaktischen Djihad zu führen, bei dem unvorstellbare Gräueltaten verübt werden. Pauls wägt in seinen Entscheidungen ständig ab, seine Nächsten zu schützen und dieses Schicksal zu vermeiden.
Jessica bemüht sich weiterhin, ihren Sohn zu leiten, was sich auch in der Wahl der möglichen Partnerin zeigt. Vertraut mit höfischen Intrigen und der Heiratspolitik im Imperium, will sie vermeiden, dass Paul sich eine Fremin zu Frau nimmt.
Jessicas Rolle für die Fremen wird sich rasant ändern. Da deren Ehrwürdige Mutter im Sterben liegt, wird Jessica als mögliche Nachfolgerin getestet. Sie besteht, aber verheimlicht zuvor, dass sie schwanger ist. Jessica weiß, dass der Fötus grundlegend verändert wird: “I did it, my poor, unformed, dear little daughter. I brought you into this universe and exposed your awareness to all its varieties without any defence.”
Priesterin des Propheten
Im dritten Teil des Buches gerät Jessicas Rolle deutlich in den Hintergrund. Sie akzeptiert Pauls Fremengeliebte Chani. Während eines öffentlichen Auftritts von Paul stellt er klar, dass er der Anführer der Fremen ist und nicht Jessica: “Does my mother rule? (...) Stilgar and all the other troop leaders ask her advice in almost every major decision. You know this. But does a Reverend Mother walk the sand or lead a razzia against the Harkonnens?” Paul befand sich bereits im bewaffneten Kampf gegen die Harkonnen. Er beruft sich auf seine Erfolge, um die Herrschaft an sich zu reißen. Nach seiner Rede gibt er seiner Mutter eine schlichte Anweisung: “Wait here.” Zuvor hätte er seiner Mutter wahrscheinlich keine Befehle geben können.
Die Rebellion gegen das Haus Harkonnen und damit dem Imperator nähert sich dem Ende. Paul wurde zum Kwisatz Haderach der Bene Gesserit, zum Lisan Al’Gaib der Fremen, zum Mahdi und Messias. Seine Mutter jedoch zweifelt noch: “I’ve had a hand in whatever you are”, beginnt sie, doch Paul macht ihr sofort klar, dass sie sein Dasein gar nicht verstehen kann: “You should fear me, Mother. I am the Kwisatz Haderach.”
Paul Muad’Dib Atreides nimmt anschließend die Tochter des Imperators, Prinzessin Irulan, zur Frau. Ihrem Vater raubt er Titel und Vermögen. Jessica bittet ihren Sohn, nach Caladan, dem Heimatplaneten der Atreides, zurückkehren zu können:
“I need a time of peace and stillness in which to think.” “That you shall have”, sagt Paul.
Dune als Coming of Age
Brian Herberts Sicht auf Lady Jessica scheint sehr von der guten Beziehung zu seiner Mutter, Frank Herberts Frau, geprägt. Im Buch ist Lady Jessica nämlich keineswegs allein “schön, intelligent, liebevoll und loyal”, sondern ebenso unheimlich und rätselhaft. Als Apostatin der mysteriösen Bene Gesserit ist sie eingeweiht in die Geheimnisse des Schwesternordens, verfolgt ihm gegenüber jedoch eine eigene Agenda. Die Gründe für ihren Eigensinn liegen wohl tatsächlich in der stärkeren Bindung zu ihrer Familie, allerdings wird ihre Loyalität immer wieder von Charakteren in Frage gestellt, denen die Leser*innen zu vertrauen gelernt haben. Der den Atreides treu ergebene Mentat Thufir Hawar etwa verdächtigt sie zeitweise, mit den Harkonnen im Bunde zu sein. Auch für Paul scheinen ihre Motive nicht immer ganz durchsichtig. Die zunehmenden Fähigkeiten Pauls machen Lady Jessica als Charakter ein Stück weit obsolet, sie verliert an Bedeutung für den weiteren Handlungsverlauf. Das Verhältnis von Mutter und Sohn scheint sich mit dem Fortgang der Geschichte umzudrehen. Während Jessica zu Anfang ihren Sohn auf seine Zukunft vorbereitet und ihm dabei auch Wissen vorenthält, gewinnt Paul mit seiner hellseherischen Gewissheit über das eigene Schicksal und auch der Rolle seiner Mutter darin. Es ist ein Ablöseprozess als Ermächtigungsfantasie: Die eigenen Eltern werden so sehr überflügelt, dass sie auf die Größe von Kindern schrumpfen. Lady Jessica ist als Charakter insgesamt aber mehr als die archetypische unheimliche Hexenmutter, von der sich der Sohn emanzipieren muss. Ihre Renitenz gegenüber den Bene Gesserit, ihre Unabhängigkeit setzen die Ereignisse von Dune überhaupt erst in Gang. Sie ist gerade in der ersten Buchhälfte so ziemlich der einzige Charakter, der nicht nur reagiert, sondern bewusst agiert. Sie hat die Handlung des Buches ausgelöst, bevor der Imperator den Befehl gab, die Atreides nach Arrakis zu schicken.
Ein Artikel von Philipp Wilhelm Kranemann & Tom David Uhlig
Zu allen Artikeln der Dune für Dummies Reihe