Der Autor Frank Herbert setzt in seinen Romanen wenig auf Leser*innenführung. Es wird der Wissensstand der Protagonist*innen vorausgesetzt. Grundlegende Konzepte und Begriffe werden nicht erklärt oder durch ein Glossar übersetzt, sondern müssen aus dem Kontext und realgeschichtlichen Vorbildern erschlossen werden. Das macht den Einstieg in Dune bisweilen recht sperrig. Um den Weg nach Arrakis zu erleichtern, stellen wir die Welt dar, wie sie zu Beginn des ersten Buches geschildert wird. In den darauf folgenden Texten dieser Reihe werden wir uns nach und nach den ersten drei Büchern widmen. Wir wollen in allen Beiträgen versuchen, nicht einfach nur eine Zusammenfassung zu schreiben, sondern auch den Kontext der Bücher zu erörtern.
Die Herrschaft der Häuser
Herberts Space Opera Dune ist in einer weit entfernten Zukunft angesiedelt. Nachdem die Menschheit vor tausenden von Jahren künstliche Intelligenz und Computer auslöschte, wurde ein feudales Sternenimperium errichtet. An dessen Spitze herrscht der Padishah Imperator des Hauses Corrino, der dem Landsraad vorsteht. In diesem Gremium diskutieren sowohl das Haus Corrino als auch andere mehr oder weniger mächtige Häuser zentrale Fragen. Zu diesen Adelsfamilien gehören auch die Atreides und die Harkonnen. Zu Beginn des ersten Buches von Dune herrscht Shaddam IV von Haus Corrino über das bekannte Universum. Dem Haus Atreides steht Graf Leto vor. Der Heimatplanet der Atreides namens Caladan ist eine mit Ozeanen übersäte Wasserwelt. Haus Harkonnen hingegen wird von Baron Vladimir Harkonnen geleitet. Ihre Heimatwelt Giedi Prime gilt als stark industrialisiert.
Der Name des Imperators, "Shaddam", mag zunächst wie eine Anspielung auf den ehemaligen Diktator des Iraks Saddam Hussein gelten. Allerdings war dieser zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von Dune noch gar nicht an der Macht. Der Titel "Padishah" hingegen lässt sich deutlich auf das Osmanische Reich zurückführen, dessen Machthaber genau diese Bezeichnung für sich im Osmanischen verwendeten (in anderen Sprachen ist der Begriff "Sultan" geläufig). Shaddam IV. regiert sein Reich auch durch seine militärische Macht, welche sich vor allem auf die Sardaukar stützt. Diese Krieger werden von Geburt an zum Kämpfen erzogen und sind dem Imperator auch aufgrund großzügiger Privilegien treu ergeben. Gut möglich, dass Herbert an die osmanischen Janitscharen dachte, als er die Idee für die Sardaukar ausformulierte. Diese stellten über Jahrhunderte die Eliteeinheiten des Sultans dar.
Während über den Planeten der Corrinos nicht vieles bekannt ist, wird Caladan, die Heimatwelt des Hauses Atreides, als regen- und wasserreicher Planet dargestellt – im starken Kontrast zum Wüstenplaneten, auf dem ein Großteil der Handlung von Dune spielt. In Denis Villeneuves Verfilmung von Dune sieht man die Atreides vor einer nordeuropäischen Küstenlandschaft mit grauem Himmel über dunklen Gräber spazieren. "Atreiden" erinnert an die Familie der "Atriden", der griechische Heldengestalten aus dem Trojanischen Krieg wie Agamemnon angehörten.
In inniger Feindschaft sind die Harkonnen mit den Atreides verbunden. Ihr Anführer Vladimir wird als fetter, dekadenter Unmensch dargestellt, der nicht vor Verrat und Mord zurückschreckt. Dies wäre aus heutiger Sicht durchaus noch akzeptabel. Weitaus problematischer ist, dass der Baron als einziger homosexueller Charakter, der vor der Nutzung von K.O.-Tropfen nicht zurückschreckt, eine schwulenfeindliche Figur darstellt. Frank Herberts starke Abneigung gegenüber Homosexualität wird durch seinen Sohn Brian in der Biographie Dreamers of Dune eindrücklich geschildert. Tragischerweise war Brians Bruder Bruce selbst schwul und hatte nicht nur deshalb ein mehr als schwieriges Verhältnis zum gemeinsamen Vater. Der Name “Vladimir” ist wahrscheinlich eine Anspielung auf Vladimir Iljitisch Uljanov, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Lenin. Im Konflikt zwischen Atreides und Harkonnen könnte man also auch den Kalten Krieg verdeutlicht sehen – für ein US-amerikanisches Buch aus den 1960er Jahren sicherlich keine Überraschung.
Spiceabbau und Geistlichkeit
Nichtsdestotrotz drängt sich der Eindruck auf, dass mit der Entscheidung für eine feudale Ordnung in seinen Büchern Herbert modernen Konflikten eher aus dem Weg gehen wollte. Nicht verschiedene Gesellschaftsentwürfe, sondern Herrschaftsstile stehen sich hier unversöhnlich gegenüber. Die brutale Rücksichtslosigkeit der Harkonnens gegen die wohlwollende Herrschaft der Atreides.
Allerdings sind die großen Häuser nicht die einzelnen Akteure in Dune. Nach der Zerstörung der Computer stellt sich für die Menschheit die Frage, wie interstellare Reisen ohne ihre Rechenkraft möglich sein soll. Die Antwort darauf ist Spice, eine Art Wunderdroge, mit der die kognitiven Fähigkeiten der Menschen auf das Niveau von Computern und darüber hinaus erhöht werden können. Spice wird von den Navigatoren der Raumgilde genutzt und von Mentaten genannten Politikberater*innen. Sein universell nützlicher Charakter macht Spice zum begehrtesten Handelsgut. Abgebaut wird es exklusiv auf Arrakis – dem titelgebenden Wüstenplaneten. Die Lebensbedingungen auf Arrakis sind harsch. Extreme Hitze, kaum Wasser, Sandstürme und gigantische Würmer, die den Wüstenboden durchkämmen, machen den Kolonisator*innen zu schaffen.
Spice funktioniert wie ein Treibstoff für die Raumfahrt, eine abhängig machende Substanz wirkt lebensverlängernd und wird in der Wüste abgebaut. Während die Funktion der Droge eine Anspielung auf US-amerikanische Alternativkultur der 1960er Jahre sein könnte, ist Herbert bzgl. des Treibstoffes sehr eindeutig in seinen Bezügen. Der gesamte Handel im bekannten Universum wird durch CHOAM kontrolliert. Im Vorstand dieser Firma sitzen sowohl der Padishah als auch der Landsraad als Zusammenkunft der adeligen Häuser. Es ist daher nicht überraschend wenn Herbert schreibt: "Yes, there are analogs in Dune of today’s events (...) CHOAM is OPEC." Die Gleichsetzung der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) mit CHOAM wirkt wie ein sehr politischer Anspruch, Herbert relativiert dies jedoch: "I’m in the entertainment business first."
Allein die auf Dune einheimischen Fremen haben sich den Lebensbedingungen so weit angepasst, dass sie draußen in der Wüste überleben können. Die Lebensweise und Kultur der Fremen wird in Dune idealisiert und romantisiert. Sie haben es geschafft, im Einklang mit dem Planeten zu leben und dabei eine unheimliche Stärke entwickelt. Wie Kara Kennedy festhält, greift Herbert auf zwei irdische Vorbilder zurück: "Their name, Fremen, echoes the surname some African-American slaves gave themselves once free and foreshadows the revealing of their historical oppression. Later, Herbert uses specific names from Islam to forge a clear connection with Islamic societies." Letzteres zeigt sich deutlich im anderen Namen der Fremen, Ichwan Bedwine, was an Beduinen erinnert. Die Fremen erwarten das Kommen des Mahdi, einer messianischen Erlösergestalt, die auch im islamischen Kontext eine Rolle spielt.
Herbert belässt es jedoch nicht bei der Verarbeitung von islamischen Begriffen. Die undurchsichtigste Fraktion in Dune sind die Bene Gesserit. Dabei handelt es sich um einen Schwesternorden, deren Mitglieder über unheimliche Fähigkeiten verfügen. Durch ein rigoroses Training sind die Schwestern in der Lage, ihren Körper so präzise zu beherrschen, dass es für Außenstehende oftmals wie Hexerei wirkt. Ihre markanteste Fähigkeit ist “die Stimme”, die der Sprecherin unwiderstehliche Autorität verleiht. Die Bene Gesserit treten als religiöser Orden auf, verfolgen jedoch weltliche Ziele mit großer Ausdauer. Ihr Ziel ist das Schaffen eines "Kwisatz Haderach". Dieser Begriff aus der jüdischen Tradition der Kabbalah bezeichnet einen wundersamen Sprung von einem Ort zu einem anderen, wie Emanuel Lotto, der israelische Übersetzer von Dune berichtet. Die englische Aussprache des Namens Bene Gesserit (also: “Bene Dschesserit”) verweist zudem auf den römisch-katholischen Orden der Jesuiten (englisch "dschesuits" ausgesprochen). Kara Kennedy nennt auch einige inhaltliche Punkte zur Nähe von Bene Gesserit und Jesuiten, weshalb sie sogar so weit geht und den Ausdruck “Female Jesuits” verwendet.
Das Universum von Dune ist kein hoffnungsvolles. Es gibt keine Kräfte des Guten, die umstandslos zur Identifikation einladen. Auch die Atreides bleiben bei allen charakterlichen Stärken letztlich Feudalherrscher und die Fremen zeigen immer wieder eine brutale moralische Indifferenz. Die Gesellschaft von Dune ist reaktionär, aber die Themen der Bücher sind es nicht, wie wir in den folgenden Beiträgen zeigen wollen.
Ein Artikel von Philipp Wilhelm Kranemann & Tom David Uhlig
Zu allen Artikeln der Dune für Dummies Reihe
Literaturempfehlung:
Huddleston, Tom (2023): The Worlds of Dune. The Places and Cultures that Inspired Frank Herbert, Quarto