Es gibt diese Herzensprojekte. Für Horrorautorin Faye Hell ist Alaska eines davon. Die Autorin war und ist zutiefst beeindruckt von den endlosen Weiten des lebensfeindlichen Landes. Im ursprünglich 2018 erschienenen Rigor Mortis verwebt sie ihre eigenen Erlebnisse mit Mythologien des Landes, ihrer Profession als Horrorliebhaberin und ihrer einzigartige Begeisterung für das Setting, die aus jeder Zeile spricht.
Band Eins konnte die Autorin selber bei uns vorstellen. Da sich der zweite Teil nahtlos anschließt, gilt das dort Gesagte auch für den vorliegenden Band. Auch Teil Zwei zeichnet sich durch die Verwebung mehrere Handlungs- und Zeitebenen aus, die indirekt aufeinander bezogen sind. Mit dem zweiten Teil zu starten ist keine Option, aber lohnt es sich weiterzulesen oder mit Band 1 einzusteigen?
Gründerjahre
Über die Handlung des Buches möchte ich wenig vorwegnehmen. Es führt gekonnt die Fäden von Teil 1 weiter, legt aber einen etwas anderen Schwerpunkt. Nun ist es Thomas, der sich - unter anderem von einem seltsamen Besucher motiviert - auf die Reise nach Alaska macht, um seine Schwester zu suchen und dabei die bedrohliche Atmosphäre Alaskas und eine Reihe äußerst eigensinniger Charaktere kennenlernt. Flankiert wird dieser Strang von der Geschichte der Gründung der Kupferminenstadt Kennicott und des damit einhergehenden Sündenpfuhls McCarthy. Es war der offenbar unmenschliche Henderson, der die Stadt zum florierenden Wirtschaftsfaktor machte, dafür aber einen eigensinnigen Preis verlangt. Der zurückgezogene Bücherliebhaber Henderson und die mit ihm ins Dorf eingezogenen Schatten stellen für mich die spannendsten Kapitel des Buches dar, die eine bedrückende Auflösung versprechen. Hier kommt eine Atmosphäre auf, die dicht ist wie die Eisdecke über dem Kennicott River im tiefsten Winter.
Deutlich knapper fallen die heftigen Kapitel um den Talkshowmaster 'Count Mortis' aus, die sich durch krasse Sprache, sexualisierte Gewalt und allgemeine Menschenverachtung auszeichnen. Hierzu aber später noch ein paar Sätze mehr …
Alles in allem konnten mich alle Fäden überzeugen, die Verbindungen der Handlungen zeichnen sich jedoch nur langsam ab und können ein etwas fragmentiertes Gefühl erzeugen. Das hat auch was damit zu tun, dass wir es hier mit Band Zwei zu tun haben …
Dazwischen
Ursprünglich war Rigor Mortis als ein einzelner Roman konzipiert. In der Writer’s Cut Edition haben Hammer Boox daraus drei leicht überarbeitete und um Bonusmaterialien ergänzte Bände gemacht. Im Angesicht des Umfanges ist so eine Aufteilung allemal sinnvoll, allerdings leidet genau dieser zweite Band etwas unter der Entscheidung. Als zweiter Band steckt er einfach etwas dazwischen und hat daher mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen. So müssen wir mit einigem Leseabstand zurück in die sehr verzweigte und parallel erzählte Handlung finden. Die Fäden aufzugreifen und wieder vor das innere Auge zu stellen ist gar nicht so einfach und hätte vielleicht durch eine kleine Rückblende erleichtert werden können. Ist die Hürde erstmal erfolgreich genommen, nimmt der Band an Fahrt und Dramatik auf, um uns dann am Ende jedoch auf den dritten Band warten zu lassen. Wir sind einfach im Mittelteil, der nun einmal die Aufgabe hat, die Story weiter zu entfalten und nicht abzuschließen. So lässt einen die Geisterjagd etwas unbefriedigt zurück, was aber natürlich nichts über die Reihe insgesamt aussagt.
Bonusmaterial
Nach der eigentlichen Handlung verwöhnt uns die Writer’s Cut Edition mit einer Kurzgeschichte und einer Reflexion der Autorin. Die Kurzgeschichte hat es dabei in sich. In “Die Stadt der Engel” erfahren wir mehr über die Hintergrundgeschichte von Darius aka 'Count Mortis', der in diesem Band eigentlich etwas zu kurz kommt. Der Charakter zeichnet sich durch eine bestialische Menschenverachtung, Frauenhass und so ziemlich alles, was man abstoßend finden sollte, aus. Er ist quasi die Storyline, die Rigor Mortis ins Extrem-Horror Genre lockt und den Mägen und Moralgefühl der Leser*innen einiges abverlangt. So auch die Bonusgeschichte, die dem Charakter jedoch mehr Tiefe und einige weitere schockierende Aspekte hinzufügt. Obwohl sich einiges in mir gegen die Geschichte sträubt, ist sie eins meiner Highlights des Bandes, weil sie das, was sie tut, einfach konsequent tut. Faye Hell kann extremen Horror und das extrem gut. Sie wäre allerdings nicht Faye Hell, wenn es beim Schockelement alleine bleiben würde. So übernimmt der 'Count' eine gesellschaftskritische Funktion, die sich allerdings im Zeitalter der Kröte ähnlich und meines Erachtens deutlich nuancierter umgesetzt findet.
Äußerst interessant ist der anschließende Bericht über die Entstehungsgeschichte des Buches, in der die Autorin darstellt, wie sie reale Erlebnisse in das Buch einfließen lassen hat. Grundlage des Buches ist eine persönliche Alaskareise, die fast das ganze Buch durchzieht. Erstaunlich ist dabei, dass es oft die absurdesten Szenen sind, die besonders nah an der Wirklichkeit sind.
Abschließend finden sich einige Fotos aus besagter Reise, die das Buch noch persönlicher machen. Sie geben einigen Orten konkrete Bilder und der Autorin ein Gesicht. Damit unterstreichen sie eine der absoluten Stärken des Buches: Die leidenschaftliche persönliche Arbeit am Material. Man merkt nicht erst am Ende, dass es sich hier um ein absolutes Herzensprojekt handelt
Fazit:
Man dürfte meine Begeisterung für Faye Hells Arbeiten bemerkt haben. Ich halte die Horrorautorin für eine der brillantesten Stimmen modernen deutschsprachigen härteren Horrors. Rigor Mortis ist gewissermaßen das eisige Herz, das auch ihr weiteres Schaffen prägt. Einige der Motive hat sie in späteren Büchern etwas gelungener ausgebaut und wenn es um ihr stärkstes Werk geht, so würde ich den letzten Traum nennen und nicht Rigor Mortis. Dennoch haben wir es hier mit einem starken und durch einen äußerst intensiven und persönlichen Zugang geprägten Roman zu tun. Hier findet ein starker Schreibstil mit origineller Handlung und einzigartigem Setting zusammen. Das macht das Buch eindeutig lesenswert. Einzig die Aufteilung als Trilogie lässt mich etwas unentschieden zurück. Das Bonusmaterial und die handhabbarere Aufteilung sagen mir zu, allerdings schwebt genau der zweite Band dazwischen und bleibt daher etwas unbefriedigend. Wer noch zögert und keine offenen Enden mag, sollte sicher auf den dritten Band warten. Ich hätte die Geduld hingegen nicht …
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de