Wer sagt denn, dass es beim Rollenspiel immer Elfen, Zwerge und umfangreiche Charakterbögen geben muss? Im Erzählrollenspiel Etwas zu verbergen lösen wir gemeinsam an einem Abend ganz ohne Würfel einen Kriminalfall. Der unerwartete Dreh: Wir alle können schuldig sein, haben aber mindestens ein schreckliches Geheimnis, dass nicht gelüftet werden sollte.
Rollenspiele können mitunter anstrengend sein. Eine feste Gruppe von gut und gerne sechs Spieler*innen muss für eine längere Kampagne gemeinsam Zeit finden, oft steht eine mehrstündige Charaktererstellung an und ein*e Spieler*in muss dann auch noch ein umfangreiches Abenteuer gestalten oder großes Improvisationstalent besitzen. Auch wenn das Hobby unvergleichbare Spieltiefe bietet, ist es zweifelsohne zeitaufwändig und fordernd. Erzähl(rollen)spiele oder auch Indy-Rollenspiele (Independent, weil sie oft ohne Verlag entwickelt und vertrieben werden) setzen genau an diesen Punkten an. Statt auf umfangreiche Kampagnen mit umfangreichen Regeln, sind sie meist auf einen Abend ausgelegt und verteilen die Bürde der Spielleitung auf alle Spieler*innen am Tisch. Das gelingt, indem die Regeln solcher Spiele auf ein Thema zurechtgeschnitten sind und verhältnismäßig klare Anweisungen geben, wie sich eine Geschichte entwickeln kann. In Fiasko erleben wir etwa Drama-Geschichten, in One Last Job tun sich alte Ganovenfreunde zusammen, um einen letzten großen Wurf zu machen und in 3:16 schießen wir uns auf die abstrakteste Weise durch Xeno-Horden. Independent-Rollenspiele erweiteren das Hobby um neue, oft ungewöhnliche Szenarios mit oft innovativen Regeln, die weit über Proben- und Kampfregeln hinausgehen. Der deutsche Verlag System Matters hat sich in der kleinen Reihe zum Ziel gesetzt, solche Spiele professionell für den deutschen Markt zu vertreiben. Etwas zu verbergen ist der neueste Titel der Reihe …
Krimidinner trifft Rollenspiel
Etwas zu verbergen ist ein Erzählrollenspiel, das den Fokus ganz auf eine Kriminalgeschichte legt. Die Übersetzer*innen sprechen daher gerne von einem Krimidinner für Fortgeschrittene (etwa in diesem informativen Podcast). Der Vergleich trifft insofern, als wir letztlich das tun, was wir auch bei einem Krimidinner machen würden: Unter allen Anwesenden einen Mörder ausfindig machen, indem wir den Ort untersuchen und die anderen Spieler*innen befragen. Mehr – oder zumindest anders – als ein Krimidinner ist hingegen der Aspekt, dass wir unseren Fall gleich gemeinsam schreiben und uns nicht auf einen umfangreichen Satz an Informationen und Beschreibungen zurückberufen können. Hier ist viel Phantasie und Kreativität gefragt, selbst wenn wir von den vorgeschlagenen Szenarios Gebrauch machen.
AKT 1 – Wie ich zum Mörder wurde
Der erste Teil einer Runde Etwas zu verbergen besteht üblicherweise in der Erstellung eines Themas und unserer Charaktere. Wir einigen uns grob auf ein Thema und gestalten das Setting um unsere Charaktere herum aus. Haben wir es mit einem klassischen Landhaus zu tun, bei dem auf einer britischen Party ein Gast tot aufgefunden wird? Machen wir mit modernster Kriminaltechnik Jagd auf einen Serienmörder oder dürfen es doch Elfen, Zwergen und Orks sein? Unserer Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, dass ein ungeklärter Mord stattgefunden hat. Den bauen wir dann gemeinsam aus. Was wissen wir alle über den Mord, was macht ihn interessant? Und: Was sind Orte, die für die Tat relevant sind? Nach kurzer Zeit sollten wir so ein Gefühl für das Setting, eine Handvoll umrissener Orte und einen spannenden Toten vor uns liegen haben.
Etwa so kann der Aufbau nach Akt 1 aussehen
Damit können wir schon beginnen, unsere Charaktere zu erstellen. Statt Charakterwerte zu erwürfeln und umfangreiche Hintergrundgeschichten zu entwerfen, konzentrieren wir uns dabei auf ein paar Kernaspekte und die Frage, wie wir den Mord verübt haben. Wir erstellen insgesamt vier Hinweise, die uns als Tatverdächtige*n ausweisen und sogar zwei handfeste Beweise: Einmal für unsere Schuld und einmal für unsere Unschuld. Um letztere zu erklären, entwickeln wir zudem ein Geheimnis, das zwar alles andere als angenehm sein sollte, aber immerhin kein Mord ist. Im Optimalfall gelingt es uns so, eine Hinweisspur zu entwickeln, die den Mord erklärt oder unser Geheimnis zu entkräften ist. Beispiel gefällig?
Ich verkörpere eine Salonlöwin auf einer Feier mit plötzlichem Todesfall. Es könnte herauskommen, dass meine Fingerabdrücke auf dem Cognacglas des Opfers waren (erster Hinweis), ich in einem hitzigen Gespräch mit dem Opfer verwickelt war (zweiter Hinweis), Apothekerin mit Zugang zu Gift bin (dritter Hinweis) und die Party gerade verlassen wollte, als der Mord bemerkt wurde (vierter Hinweis). Mein verdächtiges Verhalten lässt sich allerdings durch mein Geheimnis erklären: Ich hatte eine Affäre mit dem Toten, der nicht bereit ist, seinen Partner für mich zu verlassen. Nun fehlen noch zwei Beweise, die im Spiel entweder meine Schuld oder Unschuld beweisen können. So gibt es entweder einen Zeugen, der gesehen hat, wie ich Gift in das Glas gefüllt habe (Beweis meiner Schuld), oder aber das Opfer ist nicht an Gift gestorben und meine Tötungsweise damit ausgeschlossen (Beweis meiner Unschuld). Was machen wir nun damit?
Unsere Charaktere haben alle Dreck am Stecken ...
Akt 2 und 3 – Die Ermittlung
Das eigentliche Hauptgeschäft eines jeden Krimis und auch einer Partie Etwas zu verbergen ist das Investigieren. Dazu stehen uns klar definierte Aktionen zur Verfügung, die wir nutzen, um den oder die Täter*in zu finden. Schon zu Beginn haben wir dabei einen Hinweis über eine*n Hautverdächtige*n. Ein Mitspieler könnte so wissen, dass ich Apothekerin mit Zugang zu Gift bin und mich daher verständlicherweise zur Hauptverdächtigen gemacht haben. Dann können wir der Reihe nach Orte besuchen oder unsere Mitspieler*innen befragen. Mechanisch bedeutet dass, das wir Hinweiskarten ziehen und diese entweder für uns behalten (sie weisen auf uns selber hin, oder bekräftigen unsere Theorie), oder dass diese an die Öffentlichkeit kommen. So sammeln wir mit der Zeit Hinweise auf eine*n Verdächtige*n, den wir ab einer gewissen Anzahl von Hinweisen beschuldigen können, um so den dritten Akt auszulösen. Jetzt erst wird zufällig entschieden, welcher der beiden Beweise stimmt. Unsere beschuldigte Apothekerin wurde also entweder wirklich beobachtet, wie sie Gift in das Glas gefüllt hat oder wir können einen Giftanschlag ausschließen. Damit ist das Spiel jedoch noch nicht beendet. Die Polizei ist gerufen, wir sind in einem Zimmer festgesetzt worden, aber Scotland Yard ist noch nicht da und das Spiel noch nicht um. Es bedarf noch eines weiteren Hinweises, um uns ein- für allemal zu überführen und so die Möglichkeit zu bekommen, den Tathergang zu schildern. Oder gibt es doch Beweise für jemand anderen?
... aber nur eine*r kann der*die Mörder*in sein
Die System-Matters Ausgabe
Etwas zu verbergen stammt ursprünglich aus der Feder von Allan Dotson und ist 2016 als Something to Hide erschienen. Die Originalversion bekommt man zum Freundschaftspreis als Download und enthält damit alles, was man zum Spielen braucht. Aber auch, wer des Englischen mächtig ist, sollte durchaus zur liebevollen deutschsprachigen Umsetzung greifen. Während das Originaldokument nämlich ganz im Independent-Sinne aus lediglich zwölf Seiten ohne jegliches Bildmaterial und Layoutspielereien auskommt, legen Hannah Möllmann und Jörg Hagenberg weit mehr als eine bloße Übersetzung vor. Durch das ansprechende Ringbuchdesign haben wir das Gefühl, uns durch ein Kriminaldossier zu lesen. Textmarker hebt Beispiele hervor, Bilder sind mit Klebeband, Heftklammern, Post-It oder Tackernadeln eingefügt und Kaffeflecken überziehen die Seiten. Mit viel Liebe zum Detail ziehen sich Eselsohren, Tackernadeln und Heftklammern sogar auf die Rückseite durch. Das macht selbst in der PDF-Version einigen Eindruck, die natürlich ordentlich verlinkt wurde und so auch am Spieltisch eingesetzt werden kann.
Im A5-Querformat kommt das Buch dabei auf beachtliche 84 Seiten. Auch wenn die Regeln die gleichen bleiben, werden sie hier nicht nur schön gestaltet, sondern auch um hilfreiche Kommentare ergänzt. Zudem wurde Platz für Sicherheitstechniken gefunden, um mit unangenehmen Spielszenen besser umgehen zu können und ein illustrierter Spielaufbau sowie eine äußerst hilfreiche Übersicht über alle möglichen Aktionen hinzugefügt. Etwa die Hälfte des Buches ist schließlich mit sogenannten Schnellstartern versehen. Die ermöglichen es, den ganzen ersten Akt auszublenden und liefern neben einer Themenbeschreibung fünf vorgefertigte Charaktere samt Hinweisen, Geheimnis und passendem Ort. Die drei Schnellstarter – ein Mord im Teuteborger Wald, ein düsteres Fantasy-Dorf und die Morde von Jack the Ripper – erlauben es direkt mit Akt 2 zu beginnen oder können als nützliche Beispiele für Charaktere und ihre Hinweise genutzt werden. Dennoch sollte man nicht den falschen Eindruck bekommen, dass man mit dem Spiel einfach ohne jede Vorbereitung loslegen kann. Man sollte sich die Zeit nehmen, den eigenen Mordfall gut zu verinnerlichen, sich über die Beziehungen der Charaktere klar werden und in das Thema einfühlen. Die Schnellstarter können helfen, das Spiel kennenzulernen, das volle Potential entfaltet sich jedoch meines Erachtens erst, wenn man Thema und Charaktere gemeinsam erstellt und sich so voll mit den Geschehnissen identifizieren kann.
Nichts zu verbergen
Schauen wir nur auf die Regeln, ist Etwas zu verbergen zwar klug gestaltet, aber wenig aufregend. Wir sammeln Hinweise, legen uns unliebsame Hinweise weg und können etwas mit geheimen Informationen arbeiten. Da alle Tathergänge gleichermaßen möglich sind, ist auch echtes Kombinieren nicht möglich. Das Spiel gibt uns kein System an die Hand, um einen Mordfall zu erstellen, der eindeutig gelöst werden kann, sondern erschafft einen Rahmen, um eine Geschichte von Geheimnissen und gegenseitigen Verdächtigungen zu erzählen. Das Spiel ist eben ein Erzählspiel und lebt davon, dass wir unsere Charaktere in Szenen ausspielen, Atmosphäre schaffen und so eine Geschichte erzeugen, die uns in Erinnerung bleibt. Und das macht das Spiel mit verhältnismäßig wenig Aufwand enorm gut. Es mag ein paar Züge brauchen, bis wir die übersichtlich zusammengefassten Aktionen ganz verstehen und in das Spiel eintauchen, in der richtigen Runde entwickelt sich dann aber schnell eine spannende Kriminalgeschichte mit bleibendem Eindruck.
Eine erfolgreiche Runde Etwas zu verbergen setzt Kreativität und die Bereitschaft voraus, sich auf die Geschichte einzulassen. Es reicht also nicht, sich anhand seiner Informationen durchzufragen und wir können uns auch nicht wie bei Kriminalbrettspielen auf die bloßen Regeln und harten Fakten konzentrieren. Selbst mit Schnellstarter müssen wir durchgehend aktiv dabei sein und eine Geschichte erzählen wollen. Ist das gegeben, werden wir einen unvergesslichen Abend erleben und haben am Ende sogar einen Mordfall in der Hinterhand, den wir unserer Rollenspielrunde vorsetzen können. Vielleicht sogar mit Elfen, Zwergen und Orks …
Der Rezension lag die PDF-Version des Buches zu Grunde, dem auch die Bilder mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen sind.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de