Literatur

Der Zeitbrüchige 3 – Reise in die Vergangenheit

Marty hat sich, so gut es ging, viele Jahre aus der Gesellschaft zurückgezogen und blieb nie länger als nötig an einem Ort. Die Furcht, eine weitere gravierende Veränderung der Zeit auszulösen, sitzt ihm nach all den Ereignissen stets im Nacken. Doch durch Jamies erfolgreiche Ausflüge in die Vergangenheit inspiriert, wagt Marty wieder einen Sprung – nur einen kleinen, zum Mauerfall 1989. Jedoch geht der gehörig schief und Marty strandet unvorhergesehen im Jahr 1555.

Bei Der Zeitbrüchige III handelt es sich um die Fortsetzung von Der Zeitbrüchige bzw. Der Zeitbrüchige II, eine Rezension zu den ersten beiden Teilen findet ihr auch bei uns. Lest ihr hier weiter, erwarten euch Spoiler zu den vorigen Geschehnissen aus der Buch-Serie.

Marty, also der „zeitbrüchige“ Jamie aus dem ersten Buch, ist im dritten Teil wieder der Hauptcharakter der Geschichte. Wir starten dort, wo uns der zweite Band verlassen hat. In der Gegenwart von Jamie aus Buch 2, den Marty um Hilfe ersucht, um in der Vergangenheit das Leben seiner Familie zu retten. Doch beginnen wir am Anfang.

Marty hat sich die letzten 19 Jahre weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, da er eigentlich in dieser Zeitlinie gar nicht existieren dürfte. Daher hat er nicht nur den Kontakt zu seiner Mutter und seinem jüngeren Ich stark begrenzt, auch hat er sich selbst auferlegt, so wenig wie möglich in der Welt aufzutauchen. Keine sozialen Kontakte, nur unauffällige Jobs, bei denen keiner Fragen stellt und mehrere Wohnortswechsel.

Er war vorsichtig, wollte nicht wieder schuld daran sein, durch sein Eingreifen etwas Gravierendes in der Zeit zu verändern, wie er es mit dem verhinderten Attentat am 11. September 2001 bereits getan hatte. Denn die Welt war nun eine andere, und nicht zwingend besser als vorher. Doch Jamie, sein jüngeres Ich, hat sich trotz aller Warnungen weiter an Zeitsprüngen versucht, jedoch nur als Zeit-Augenzeuge, um so beispielsweise den Untergang der Titanic mitzuerleben. Das hatte keine nennenswerten Auswirkungen auf die Zeitlinie, also beschließt Marty, nach all den Jahren, es Jamie gleich zu tun.

Noch während er beginnt durch die Zeit zu reisen, merkt er, dass etwas nicht stimmt – und mit diesem Gefühl sollte er recht behalten. Statt in Berlin 1989 zu erscheinen, landet er in einer unbekannten ländlichen Umgebung, die sich später als die Region Nürnberg des Jahres 1555 herausstellt. Darauf in keiner Weise vorbereitet, schlittert Marty von einem Problem ins nächste, wird überfallen, schwer verwundet, erfährt Hilfe, eckt an und bleibt doch im 16. Jahrhundert gefangen. Er kann nicht mehr durch die Zeit reisen! Marty muss sich zwingend arrangieren, doch das ist nicht so einfach, als moderner Mensch in einem mittelalterlichen Deutschland zur Zeit des Religionsfriedens und es dauert nicht lange, bis die Inquisition Wind von diesem seltsamen Fremden bekommt …

Unfreiwilliger Neubeginn in einer anderen Zeit

Wir sind nun schon durch einige Zeiten und Verflechtungen mit Jamie und Marty unterwegs, doch im dritten Band ändert sich nun der Story-Schwerpunkt, den wir bisher gewohnt waren. Natürlich geht es weiterhin um Marty, der sich 1555 Jacob nennt. Doch dem Fakt geschuldet, dass er die Fähigkeit des Zeitreisens vorerst verloren hat, begleiten wir den in seinen Vierzigern befindlichen Mann nicht durch die Zeit, sondern bleiben mit ihm im Spätmittelalter bzw. der frühen Neuzeit.

Vorbereitet war Marty vor seinem Zeitsprung auf die Lebenswirklichkeit von 1989, nicht auf das Mittelalter. Trotz seines Geschichtsstudiums ist er kein Fachmann für diese Zeit und gerät nicht nur wegen seiner überdurchschnittlichen Größe, der Kleidung, seiner seltsamen Sprache und seinem hohen Bildungsgrad in Schwierigkeiten. Seine modernen Ansichten, für die heutige Zeit selbstverständlich, sind in dieser Epoche so revolutionär, dass sie einem Menschen das Leben kosten können. Teilweise war ich dennoch etwas verwundert wie Marty, erfahrener Zeitreisender, übervorsichtig im Hier und Jetzt, zudem Geschichtsstudent und gebildet, teilweise so arglos in Situationen hineingeht, in denen er dann mit seinem Verhalten ein Pulverfass entzündet. Zwar bleibt er in seinem Handeln seinem Gerechtigkeitssinn treu, indem er beispielsweise heimlich Frauen im Schreiben unterrichtet, andererseits stellt er sich aber offensiv gegen die Kirche, indem er „bloß“ den Gottesdiensten fernbleibt – ein Verhalten, das in direktem Widerspruch zu seiner sonstigen Vorsicht steht und das gesamte Dorf und die kirchlichen Vertreter zusätzlich auf ihn aufmerksam machen.

Martys, bzw. Jacobs Handlungen und die daraus resultierenden Konflikte sind dennoch essenziell, da sie es sind, die eine reiche Vielfalt an Handlungssträngen ermöglichen und das für diese Buchreihe neue mittelalterliche Setting mit Leben füllen. Es spannt sich quasi ein Netz von Geschichten, das von der Stille der Klöster und der Abgeschiedenheit der Dörfer, über die komplexere Kirchen- und Dorfpolitik, wie auch Einsichten in Familien- und Sozialgefüge bis zur Flucht über die Alpen nach Italien reicht. Das allein sorgt für abwechslungsreiche Einblicke in diese umfangreiche Epoche Europas und wie eine Person von heute in ihr wohl agieren und auch langfristig leben könnte. Daher gestaltet sich der Abschluss des Romans, im Vergleich zum ausführlichen Rest des Buches, auch überraschend rasch. Der untypische Schluss überzeugt letztendlich und schürt die Spannung auf einen hoffentlich noch geplanten vierten Teil der Reihe, mit Jamie in der Gegenwart.

Fazit

Während ich eine direktere Fortsetzung der in Buch 2 aufgebauten Handlungsstränge erwartet hatte, bietet Der Zeitbrüchige III von Christian Reisböck stattdessen eine tiefere Erkundung der historischen Lebensumstände des Spätmittelalters zur Zeit des Religionsfriedens um 1555. Diese unerwartete Schwerpunktsetzung eröffnet dem Lesenden Einblicke in das mittelalterliche Alltagsleben der Story und die Herausforderungen, die damit einhergehen. Die dadurch entstehenden Handlungsstränge und Fallstricke, denen sich der moderne Protagonist Marty bei seiner Zeitreise ins Mittelalter stellen muss, verlangen ihm Anpassungsfähigkeit und schnelles Denken ab. Durch diese neue Richtung entsteht eine Reihe spannender Begegnungen und Konflikte, die Marty – und damit auch den Lesenden – stets in Atem halten.

Besonders Martys Charakterentwicklung trägt zu all dem entscheidend bei. Während er zu Beginn noch sehr darauf bedacht ist, im Jetzt nicht aufzufallen, um keine Gefahr für die Zeit zu sein, scheint sein unfreiwilliger Aufenthalt im Mittelalter zu einem grundlegenden, wenn auch stillen Wandel seiner Überzeugungen zu führen. Marty, der sich verliebt und schließlich eine Familie gründet, beginnt die Einflüsse auf die Geschichte nicht mehr als sein Problem zu sehen. Dieser Umbruch erreicht im wortwörtlich explosiven Ende des Romans seinen Höhepunkt und zeigt, wie tiefgehend seine Beziehungen und Erlebnisse im Spätmittelalter seine gesamten Ansichten transformiert haben. Trotz des recht abrupten Endes bleibt der dritte Band eine fesselnde Fortführung der Serie, die Neugier auf weitere Abenteuer weckt, die hoffentlich noch kommen werden. Ich bleibe gespannt.

Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.

Dieser Artikel ist erschienen bei: Zauberwelten-Online.de

Der Zeitbrüchige 3 - Reise in die Vergangenheit

Nadine Kaiser

Text

Nadine ist in der Science-Fiction-Literatur zu Hau...

Weiterführende Links zu "Der Zeitbrüchige 3":

Christian Reisböck

Kommentare

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