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Wie aus dunklen Themen etwas Schönes entsteht

Nora Bendzko im Genretalk über Dark Fantasy

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Kategorie: Interview Literatur

Dass Fantasy mehr sein kann als strahlende Held*innen in Rüstung ist wohl mittlerweile allgemein bekannt. Die Dark Fantasy stellt eine teils romantisierte Form dunkler Phantastik vor, die das Paradigma umkehrt. Schwere Themen, Gewalt und Horror vermischen sich mit düsterer Romantik. Eng verwoben mit der schwarzen Szene, ist das Genre aus der aktuellen Phantastik kaum noch wegzudenken. Autorin und Sängerin Nora Bendzko hat diese Spielart schon früh für sich entdeckt und verbindet sie mit einer modernen Vorstellung von Literatur, die bewusst neue Erzählperspektiven aufgreift. Im Genretalk gibt sie uns einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart des Genres und diskutiert anhand ihres aktuellen Romans Die Götter müssen sterben wie Fantasy jenseits von Klischees aussehen kann.

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Liebe Nora, du bist Fantasyautorin und Sängerin in Metalbands. Phantastik, insbesondere dunkle Spielarten, durchziehen dein Schaffen. Stell dich uns doch bitte noch etwas näher vor und gib uns einen Einblick darüber, was dich an der Phantastik begeistert.

Nora Bendzko: Hallo, ich bin Nora Bendzko. Autorin, Lektorin, Sängerin, Studentin, im schönen Wien lebend. Die Liebe für die Dunkelheit ist schon früh in mir erwacht. Als kleines Mädchen liebte ich es, düstere Märchen erzählt zu bekommen, als Teenagerin habe ich Edgar Allan Poe und andere große Namen der Schwarzen Romantik verschlungen, und mein Herz schlägt für Rock und Metal. Ich mag die großen Gefühle, die damit einhergehen, wie aus dunklen Themen wie Angst und Schmerz etwas Schönes entsteht. Bei der Phantastik kommt die Grenzenlosigkeit des Genres hinzu. Sie macht alles an Gedankenspiel möglich.

Andreas (ZW): Wie man schon deiner Homepage entnehmen kann, interessierst du dich besonders für Dark Fantasy. Was macht da für dich den besonderen Reiz aus und wie würdest du Dark gegenüber klassischer oder High Fantasy abgrenzen? 

Nora: Ich sehe Dark Fantasy als einen Oberbegriff für Phantastik mit düsteren Einschlägen. Das können sowohl dunkle Märchenwelten als auch abgründige Dystopien sein. Teils sehe ich eine Nähe zur Gothic-Ästhetik. Dark Fantasy beschäftigt sich mit Themen, die als bedrückend gelten, wie Gewalterfahrung und Traumata. Viele, die sie schreiben, poetisieren aber auch diese Themen und nehmen ihnen so den Schrecken. Der größte Unterschied zur klassischen High Fantasy dürfte wohl sein, dass es oft keine Schwarz-Weiß-Schemata von Gut versus Böse gibt. Stattdessen gibt es viel mehr Grauzonen, und die sind natürlich sehr spannend zu erörtern.

Andreas (ZW): Neulich hatte ich einen ausführlichen Genretalk zur zweiten Wurzel der Fantasy geführt. Dabei ging es viel um Grim and Gritty und Sword and Sorcery. Wie verhält sich Dark Fantasy zu dieser härteren Gangart?

Nora: Selbst würde ich Grimdark und Sword and Sorcery als Unterkategorien von Dark Fantasy begreifen. Ersteres hat ja eine ungemein düstere Ästhetik, oft viel Gewalt, ist tendenziell ab 18. Sword and Sorcery ist ebenfalls sehr erwachsen, mitunter wegen brachialer Action. Dark Fantasy muss aber nicht unbedingt gewalttätig sein. Sie kann völlig blutlos daherkommen und trotzdem eine grunddüstere Stimmung mitbringen. Hier denke ich an Klassiker der Schwarzen Romantik, die sich mit Melancholie, Todessehnsucht oder dem Jenseits beschäftigen.

Andreas (ZW): Damit haben wir eine grobe Vorstellung, worum es in der Dark Fantasy geht. Was sind denn Klassiker des Genres? Womit fing es an und was würdest du uns auch heute noch ans Herzen legen, wenn wir in das Genre einsteigen wollen. 

Nora: Ich habe ja bereits die Schwarze Romantik erwähnt. Die Anfänge der Dark Fantasy sehe ich dort, bei Autoren wie Edgar Allan Poe, E. T. A. Hoffmann und Charles Baudelaires, die düstere Fantasien in ihren Werken zentriert haben. Aber auch Klassiker des Gothic Horror, wie Bram Stokers Dracula, sind hier zu nennen. Kreaturen der Nacht, wie Vampire und Dämonen, spielen bis heute eine wichtige Rolle in der Dark Fantasy. Ein Werk, das mich sehr beeinflusst hat, ist der Manga Berserk von Kentaro Miura. Er ist deshalb interessant, weil er erst als klassische High Fantasy beginnt, um nach einem alles verändernden Ereignis, der Eklipse, einen Genre-Wechsel zu machen. Wir fangen mit einer Welt voller Könige, Ritter und Prinzessinnen an, damit sie hoffnungslos von Dämonen überrannt wird. Dieses Subversive, die Abwendung von einer “klassischen” Fantasy, sehe ich als sehr typisch für das Genre. Diese Bemühung können wir auch in Werken wie A Song of Ice and Fire von George R. R. Martin finden, der sich gezielt von Tolkiens Erbe wegbewegen wollte. 

Andreas (ZW): Kommen wir noch einmal zu dir. Du hast diverse Dark-Fantasy-Werke verfasst, welche Bücher oder Reihe würdest du uns denn empfehlen? Und worauf bist du dabei besonders stolz.

Nora: Ich habe ursprünglich als Indie-Autorin angefangen und dabei mehrere düstere Adaptionen von Grimm-Stoffen herausgebracht, die Galgenmärchen. Nach fünf Jahren des Ausprobierens sehe ich zwar einiges in ihnen, was ich anders und besser hätte machen können, aber das gehört zur Kunst dazu. Teils hat sich mein schreiberischer Zugang sehr verändert, während ich die Reihe veröffentlicht habe. Die erste Novelle, Wolfssucht, wurde anfangs noch als “Horror” vermarktet und dürfte das härteste aller Galgenmärchen sein, u. A. weil es sexuelle Gewalt verarbeitet. Die Kurzgeschichte “Bärenbrut” knüpft daran an, während ich bei Kindsräuber erstmals kein Unhappy End geschrieben habe. Trotz aller Widrigkeiten findet darin die Protagonistin, die sich in einem kriegszerrütteten Prag durchschlagen muss, noch etwas Glück. Einen weiteren Bruch gab es in Hexensold, das ebenfalls nicht mehr ausschließlich düster war. Außerdem habe ich es darin gewagt, zentral Queerness mit dem genderfluiden Protagonisten Elegio zu behandeln. Wenn ich nach Empfehlungen zu Galgenmärchen gefragt werde, sage ich gerne: Schau, was dich von Genre und Inhalt am meisen anspricht – oder auch, was du vielleicht nicht lesen möchtest. Ich bin allerdings fraglos stolz auf Hexensold und denke, dass dort viele Lesende hineinfinden können. Anders als bei den ersten Galgenmärchen gibt es darin gleichermaßen Licht und Dunkelheit. Abgesehen davon liebe ich einfach die Story, die Figuren und ihre Beziehungen sind spannend, es gibt Kämpfe zwischen Assassinen, Hexen und wiederkehrenden Toten, was will man mehr?

Andreas (ZW): Ganz frisch erscheint Die Götter müssen sterben bei Droemer Knaur. Das Buch wird als historische Fantasy beworben. Zur historischen Fantasy hatte ich deine mitwienersche Kollegin Melanie Vogltanz ja schon einmal interviewt. Würdest du Die Götter müssen sterben denn auch als Dark Fantasy beschreiben? 

Nora: Der Verlag mag den Roman als historische Fantasy bewerben, ich bezeichne ihn selbst als Dark Fantasy. Ich verarbeite darin einige tragische Stoffe, wie Amazonen-Mythen und Lore zum Trojanischen Krieg. Es gibt einiges an Action, aber auch explizite Sexualität, der Roman ist auf jeden Fall für Erwachsene. All das, was ich schon bei den Galgenmärchen an düsteren Themen und Ästhetik mochte, ist ebenfalls in Die Götter müssen sterben enthalten. Historische Fantasy hat nicht selten Nähe zur Dark Fantasy, man denke nur an all die Werke, die das “dunkle Mittelalter” verarbeiten. Das sehe ich nach mehreren Jahren Schreiben allerdings auch kritisch. Wenn wir uns die Vergangenheit immer nur als rau und ungerecht vorstellen, so kann uns das einschränken. Etwa, wenn die Darstellung von Frauen, queeren Menschen, People of Color und anderen Marginalisierte nur auf Diskriminierung beschränkt ist, weil “damals ist es ja so gewesen”. Meiner Meinung nach zeichnet sich gute Dark Fantasy dadurch aus, dass Gewalt in ihr kein Selbstzweck ist.

Andreas (ZW): Du machst dich in Talkrunden oder öffentlichen Debatten auch immer wieder stark für Diversität in der Phantastik. Wie prägt das dein Schreiben? Hast du vielleicht ein treffendes Beispiel aus Die Götter müssen sterben, wie du Diversität in Stil oder Weltenbau realisierst?

Nora: Irgendwie bin ich da hineingeruscht. Es war und ist ein Prozess, ich beschäftige mich erst seit kurzem mit meiner multikulturellen Identität als Kind einer deutsch-marokkanischen Familie sowie der Erkenntnis, dass frau mehr als nur Männer lieben kann. Schreiberisch taste ich mich da immer mehr voran. In Die Götter müssen sterben habe ich mich erstmals an mehr als nur ein paar Charaktere getraut. Dabei hole ich das in den Vordergrund, was längst in der griechischen Mythologie existiert. Es gibt so viele offene Queerness, oder kanonische nichtweiße Figuren. Die Amazonen in meinem Roman sind in drei Hauptstämmen über den Kaukasus, Anatolien und Libyen verteilt – für all das findet man Quellen. Wenn man nur die Augen öffnet, kann man so vieles finden. Ich glaube, mehr als alles andere versuche ich, zu hinterfragen. Das, was als Standard, als normal in der Fantasy gilt, ist es oftmals nicht und kann leicht gebrochen werden. Ich belasse das nicht nur bei Figuren und Weltenbau. Meine Texte spielen auch mit perspektivischen und erzählerischen Brüchen, ich schiebe gerne mal eine Kurzgeschichte oder ein Lied ein. Die Götter müssen sterben beginnt etwa aus der Perspektive einer Athenerin, in deren Stadt Amazonen einfallen. Natürlich sieht sie die Kriegerinnen mit einem von Legenden verzerrten Blick. Ebendiese Athenerin lebt später mit Amazonen zusammen. Dabei löst sie sich von partriachalischen Denkweisen, die sie in Athen gelernt hat. Das zeige ich sprachlich u. A. damit, dass sie in ihrem früheren Leben generisches Maskulinum benutzt, im Amazonenreich dagegen sind neutrale Formen und wenige generische Feminina üblich. Je nach Perspektive und Anwendung wechseln diese Formen im Laufe des Romans.

Andreas (ZW): Wie schon erwähnt singst du auch in Metalbands. Metal und Phantastik gehen offenbar oft zusammen. Geht das bei dir auch Hand in Hand und wie erklärst du dir, dass beides so gut zueinander zu passen scheint?

Nora: Ja, witzigerweise kenne ich so einige Fantasy-Kolleg*innen, die bevorzugt Metal hören. Ich vermute, das liegt daran, dass dieses Genre immer offen für Fantasy-Inhalte war. Viele klassische Metal-Bands wie Manowar oder Blind Guardian greifen Mythologie oder Werke wie die von Tolkien in ihren Lyrics auf. Und schreddernde Gitarren sind einfach der perfekte Soundtrack zu einer epischen Fantasy-Schlacht. Die Kleidung nicht zu vergessen, Lack, Leder und Gothic-Rüschen sind sehr anziehend. Damit kann man irgendwo selbst zur Fantasy-Figur werden, vielleicht macht das den besonderen Reiz aus.

Andreas (ZW): Zuletzt aber noch einmal zu deinen Zukunftsplänen. Dein frisch erschienenes Die Götter müssen sterben habe ich bereits erwähnt. Was dürfen wir in näherer Zukunft sonst noch von dir erwarten. Und wenn du dir von der Phantastikszene etwas wünschen dürftest. Was wäre das?

Nora: Tatsächlich habe ich noch keine festen Zukunftspläne. Je nachdem, was mit Die Götter müssen sterben passiert, sehe ich weiter. Es wird auf jeden Fall Neues von mir geben, vor kurzem hat mich die Agentur Schlück unter Vertrag genommen. Vielleicht kehre ich auch eines Tages zu den Galgenmärchen zurück, sofern ein kreativer Funke und die Ressourcen da sind. Ich weiß, es gibt einige, die es sich wünschen, zumal da noch ein paar Ideen schlummern. Die Zeit wird zeigen, welche Geschichte als nächstes folgt. Wenn ich mir etwas von der Szene wünschen könnte, dann wäre es ein größeres Umdenken. Die Zeit der sich immer wiederholenden Völkerfantasy ist vorbei, es muss zu etwas Neues kommen. Wir haben die Wahl, moderne Ideen in unserem Schreiben zu umarmen, oder es nicht zu tun und in der wachsenden Unbedeutsamkeit des Genres zu verschwinden. Wenn wir nicht groß in der Fantasy denken können, wo dann?

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