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Klein aber fein!

Christian Vogt über Indie- & Erzählrollenspiele

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Kategorie: Interview Pen & Paper

Schaut man auf die großen, erfolgreichen Rollenspielreihen, ist der Ersteindruck oft abschreckend: Attributsproben, Strukturschaden und ein Stapel Regelbücher, der studiert werden will. Dass es auch anders gehen kann, zeigen zahlreiche kleine Regelsysteme, die oft ganz eigene Ansätze wählen. Im Schatten der großen Reihen fristen sogenannte Indierollenspiele ein buntes Eigenleben, dass unser Hobby und alteingesessene Spielgruppen mit neuen Impulsen versehen kann. Dabei kann so manches Spiel sogar auf eine knappe Seite passen …

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Christian, du bist Autor, Physiker und Rollenspieler. Stell dich uns doch bitte noch einmal etwas näher vor. Wie kriegst du die drei Welten zusammen? 

Christian Vogt: Hi, danke für deine Fragen! Genau, ich bin Autor, Physiker und entwickle Erzählspiele. Meist – aber nicht immer – schreibe ich gemeinsam mit meiner Partnerin Judith. Rollenspiele lassen sich oft hervorragend mit den Romanwelten kombinieren. Zu vielen unserer Erzählwelten (z. B. Aces in SpaceDie 13 Gezeichneten und Eis&Dampf) existieren sowohl Romane als auch Spiele. Oft dient dabei ein Roman als Kickoff, um eine Welt zu erschaffen, die dann im Spiel weiter erkundet werden kann. Was die Physikseite angeht: Das ist mein Brotjob, aber sie fließt auf jeden Fall in unsere Erzählwelten ein. Ich mag es, physikalische Phänomene der Quantenphysik oder Relativitätstheorie, die sich in unserem täglichen Erleben bereits wundersam anfühlen, mit dem Phantastischen zu kombinieren. Dadurch vermischen sich die Genregrenzen von Science Fiction und Fantasy. Zuletzt geschehen ist das im Roman Anarchie Déco, in der sich Magie mittels einer Verbindung von Physik und Kunst wirken lässt, oder in der Novelle Mutterentität, die sich um eine Künstliche Intelligenz in einem Fantasysetting dreht.

Andreas (ZWO): Als Rollenspielautor hast du primär kleinere Formate bedient. Du hast Settings für Fate entwickelt, schreibst Nano Games und hast kürzlich Guerilla Journalists veröffentlicht. Gibt es eine gemeinsame Philosophie hinter deinen Modulen und was erlaubt dir das kleinere Format?

Christian: Ich bin einfach zu faul, Systeme vom Fundament an aufwärts zu entwickeln. ;) Da bieten sich Universalsystem wie Fate an, um es an die Bedürfnisse des eigenen Settings anzupassen. Dadurch habe ich mehr Zeit und Kreativität für Details und die Verbindung von Regeln und Stimmung übrig. Ein kleines Format erlaubt außerdem eine gewisse Zugänglichkeit. Ein kleines, einfaches Spiel lässt sich schneller in einem Gelegenheits-Fewshot umsetzen, wenn man nicht vorher einen Backstein an Regeln verinnerlichen muss. 

Andreas (ZWO): Man darf deine Spiele sicher in die Ecke der Indie- & Erzählrollenspiele stellen. Beides Begriffe, die man vielleicht mal aufgeschnappt hat, aber gar nicht so einfach zu entwirren sind. Was ist denn ein Indierollenspiel?

Christian: Das ist gar nicht so leicht. Ich würde sagen: Spiele, die nicht gezielt von großen Verlagen gepushed werden. Indierollenspiele sind daher oft im Eigenverlag umgesetzt oder erscheinen in kleinen Verlagen oder in einem Nischensegment großer Verlage. Das ist aber eine subjektive Interpretation und alles andere als eindeutig. 

Andreas (ZWO): Und was ist in Abgrenzung dazu ein Erzähl(-rollen)spiel? 

Christian: Erzählspiele sind für mich Rollenspiele, deren Regelsysteme den Fokus darauf legen, durch Regeln das Narrativ zu formen. Sie bieten allen Spielenden Möglichkeiten, die Geschichte aktiv mitzugestalten, also nicht nur zu bestimmen, wie etwas passiert, sondern was passiert. Das geschieht z. B. durch das Vergeben von Erzählrechten oder gezieltes Fragen als Teil von Spielzügen. Oft werden Erzählsysteme als regel-leicht interpretiert, ich finde aber, dass das nicht unbedingt der Fall sein muss.

Andreas (ZWO): Vielleicht kannst du uns mit zwei besonders prägnanten Beispielen eine nähere Vorstellung von solchen Spielen geben. Welche findest du besonders interessant und was zeichnet sie aus?

Christian: Fate Core bietet für mich eine tolle Mischung aus dem Erzählansatz und klassischen, crunchigen Elementen, die ich auch sehr mag (z. B. traditionelle Fertigkeiten). Außerdem gefällt mir City of Mist, das interessante Spielzüge enthält und dabei ein innovatives System bietet, über sogenannte Tags Kompetenzen eines Charakters abzubilden. Gleichzeitig entwickeln sich Charaktere bei beiden Systemen stetig weiter, sei es vertikal (= sie werden besser) oder horizontal (= sie werden anders). Guerilla Journalists wurde stark von City of Mist und Fate inspiriert. 

Andreas (ZWO): Um das Begriffschaos zu vervollständigen. Du selber hast auch einige Nanogames verfasst, etwa für Roll Inclusive. Was ist denn nun ein Nanogame und was für Chancen siehst du in dem Format?

Christian: Nanogames sind in meinen Augen Spiele, die vor allem kurz sind, also auf wenigen Zeilen bis Seiten beschrieben werden und sich innerhalb von wenigen Minuten bis maximal einer Stunde spielen lassen. Sie eignen sich als schnelles Spiel für zwischendurch oder als Warm-Up für größere Spiele, oder um z. B. den Hintergrund oder die Beziehungen von Charakteren in größeren Spielen zu erkunden.

Andreas (ZWO): Vielleicht lässt sich schon grob zusammenfassen, dass sich diese Ansätze und Formate als besonders avantgardistisch erweisen. Wer genau hinguckt, kann beobachten, wie auch größere Rollenspielreihen langsam „Indie“-Ansätze aufnehmen. Hast du dafür ein Beispiel? 

Christian: Shadowrun greift mit seinem schnellen, leichten Shadowrun Anarchy sicherlich Erzählansätze auf und selbst der Platzhirsch Dungeons & Dragons (DnD) hat sich in der fünften Edition erfolgreich um Zugänglichkeit bemüht. Ich bin aber alles andere als ein Experte für die Entwicklungen in den traditionellen Systemen. Was mir aber auffällt: viele Indiespiele werden von marginalisierten Autor*innen entwickelt und verschaffen queeren oder nicht-eurozentrischen Perspektiven Sichtbarkeit, als Beispiel sei hier Monsterhearts oder Hearts of Wulin genannt. Die Entwicklung zu einer umfassenderen Representation wurde auch von DnD aufgegriffen und DnD wird dafür oft lobend erwähnt, es sollte aber nicht vergessen werden, dass die ersten große Erfolge auf dem Gebiet von marginalisierten Indie-Autor*innen erstritten worden sind.

Andreas (ZWO): Oft werden solche kleineren Spiele zusätzlich zu den Klassikern gespielt. Warum sollte man seiner großen Runde auch mal einen Abstecher in Richtung Indie gönnen? Was können wir davon lernen? 

Christian: Ich habe aus Erzählspielen mitgenommen, als Spieler proaktiv Wendungen vorzuschlagen, und als Spielleitung nicht alles in Stein zu meißeln, sondern immer wieder die Spielenden einzuladen, Details, Orte oder NPCs mitzugestalten und sich die Geschichte freier entwickeln zu lassen, indem man nur wenige Eckpunkte festsetzt und zulässt, dass sich der Rest dynamisch entfaltet. Das sind alles Prinzipien, die sich auch gut auf traditionelle Systeme übertragen lassen und den Spielspaß auch dort erhöhen.

Außerdem kann man einige Erzählspiele auch in die liebgewonnenen Welten einbetten, um etwas Abwechslung und neue Impulse zu erhalten. Das Krimispiel Etwas zu verbergen kann man auch in Aventurien verorten oder einer Enthüllungsstory von Guerilla Journalists im Shadowrun-Universum nachgehen. Diese kann dann wunderbar als Aufhänger für den nächsten Run der ursprünglichen Gruppe dienen. 

Andreas (ZWO): Wer dich und deine Spiele kennt, weiß, dass du deinen Geschichten immer eine gute Prise Politik mitgibst. Wie schätzt du die Einsatzmöglichkeiten von solchen Spielen auch etwa im Rahmen politischer Bildungsarbeit oder auch einfach nur zur Erweiterung des Horizontes ein?

Christian: Ich hoffe, dass Menschen, die sich mit RPG und politischer Bildungsarbeit beschäftigen, solche Spiele durchaus nutzen können in ihrer Arbeit. Es gibt Leute, die sich darauf spezialisiert haben, ich gehöre aber nicht dazu. In der privaten Runde schadet es sicher nicht, Spaß haben und sich dabei politische Fragen zu stellen. Alles ist politisch – wenn man Politik aus den eigenen Runden fern halten will, ist das auch nur ein Status-Quo-Radikalismus.
Für diejenigen, die sich für das Thema interessieren, zähle ich hier ein paar Beispiele für Spiele mit klarem politischem Fokus auf: Der tiefe Wald von Avery Alder und Mark Diaz Truman ist ein kartenbasierten Worldbuildingspiel mit antikolonialistischem Fokus; die feministischen PBtA-Systeme Bluebeards Bride von Whitney “Strix” Beltrán, Marissa Kelly und Sarah Richardson sowie The Watch von Ash Kreider und Andrew Medeiros, die sich beide auf ganz unterschiedliche Weise mit der Unterdrückung durch das Patriarchat auseinandersetzen; Winterhorn von Jason Morningstar, in dem der Kampf von Regierungen gegen aktivistische Gruppe thematisiert wird; sowie das mehrfach preisgekrönte Rosenstrasse von Moyra Turkington und Jessica Hammer, das sich mit den Anfängen des Holocaust 1933 in Berlin beschäftigt. 

Andreas (ZWO): Das ist eine spannende Liste! Abschließend würde mich natürlich interessieren, was wir von dir rollenspielerisch, aber auch belletristisch in Zukunft erwarten dürfen. Langweilig dürfte dir auch 2022 nicht werden, oder?

Christian: Bald erscheint Judiths und mein nächster Roman Schildmaid – Das Lied der Skaldin bei Piper: ein feministischer Viking-Age-Road-Trip mit 20 Frauen auf einem Langboot. Außerdem arbeiten wir gerade an der Fortsetzung unser utopischen Hopepunk-Dystopie Wasteland. Spieletechnisch habe ich gerade Mudbastards fertiggestellt: in diesem von Ghostbusters inspirierten Fate-Setting spielt man eine Gruppe von Biopunk-Kammerjäger*innen, die Monster in einer Kanalisation unter einem Sprawl jagen und bei allen Einsätzen die öffentliche Meinung im Blick halten müssen. Mudbastards ist bisher nur auf unserem Patreon erschienen, aber vielleicht kommt es irgendwann auch auf itch.io.

Andreas (ZWO): Vielen Dank für deine Antworten!

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