Rob Daviau kann wohl als Erfinder der Legacy-Spiele bezeichnet werden. Bei diesem Format werden oft einfache Klassiker Spiel für Spiel um weiteres Material und neue Regeln erweitert, wobei zum Teil schonungslos mit dem Spielmaterial umgegangen wird. Mit Aufklebern und Stiften werden Spielpläne und Karten angepasst und manchmal sogar zerrissen. Nach einer Reihe zunehmend einzigartiger Partien sind die Spiele dann weitgehend durchgespielt. Was Daviau mit Risk: Legacy begann, konnte er zusammen mit Matt Leacock in Pandemic: Legacy zu einem durchschlagenden Erfolg machen. Mit Zug um Zug Legacy: Legenden des Westens widmet sich das Duo nun einem weiteren Klassiker. Geht das Konzept erneut auf?
Die Grundzüge des Spieleklassikers Zug um Zug sind schnell erklärt: Wir übernehmen die Rolle einer Eisenbahngesellschaft, die ein Streckennetz aufbauen möchte. Dazu besetzen wir Streckenabschnitte mit unseren Lokomotiven, indem wir die entsprechende Anzahl farblich passender Karten ausspielen. Die Karten wählen wir aus einer geteilten offenen Auslage oder einem verdeckten Zugstapel. Siegpunkte gibt es für das Erreichen geheimer Ziele, die vorgeben, welche Städte wir verbinden müssen: Je weiter entfernt, desto mehr Punkte. Ach ja, es gibt auch Lokomotiven, die für alle Farben verwendet werden können und wir dürfen uns nicht mit den anderen Gesellschaften in die Quere kommen. Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten ist das auch schon alles. Die Regeln sind also so einfach gehalten, dass man sie problemlos mit einer Anfängerrunde spielen kann, was dem Spiel zu Recht den Ruf eines sogenannten „Gatewaygames“ eingebracht hat. Ein niedrigschwelliges Spiel also, das die Tür zu komplexeren Spielen öffnet. Und das scheint auch zu funktionieren, wenn man sich die zahlreichen Ableger anschaut.
Legenden des Westens
Die Legacy-Variante fügt sich nahtlos in das Prinzip ein. Auf der Basis der ebenso einfachen wie soliden Grundregeln werden Spiel für Spiel neue Regelelemente eingeführt. Mit Stickern, Planteilen und neuen Karten entwickelt sich das einfache Spiel immer mehr zum Kennerspiel. Partie für Partie werden wir mit neuen Gebieten und Möglichkeiten, Punkte zu sammeln, motiviert. So geht es mit Volldampf durch die 12 Spiele. Eine Reihe kluger Ideen sorgt dafür, dass die Reise kurzweilig bleibt:
In der ersten Partie ist der Spielplan noch überschaubar. Wer ganz genau hinschaut, kann Spoiler erahnen.
Die erste ist die Erschließung des US-amerikanischen Kontinents für den Eisenbahnverkehr. Historisch halbwegs stimmig, beginnen wir an der Ostküste und erschließen Spiel für Spiel einen weiteren Teil des Spielplans. So entsteht ein immer größeres Schienennetz, das durch unsere Entscheidungen sogar mitgestaltet wird. So gewinnt das Spiel an Dauer und Abwechslung. Durch das schrittweise Hinzufügen behalten wir auch (weitgehend) den Überblick, selbst wenn es gegen Ende ganz schön groß wird.
Spannender als die neuen Regionen selbst, die letztlich nur das Gebiet erweitern, sind die neuen Mechaniken, die die Teile mit sich bringen. Diese sind abwechslungsreich, aber durchweg klar strukturiert und überzeugen durch tolles Produktdesign. Zwar konnte mich nicht jedes Modul gleichermaßen begeistern, aber alle hatten einen interessanten Kniff zu bieten. Besonders gelungen ist auch das Timing. So verlieren die Module durch die Entwertung einiger Karten oder durch natürliche Enden mit der Zeit an Bedeutung. Während die Planteile im Spiel bleiben, sind die Sonderregeln nach etwa zwei Spielen wieder vom Tisch oder fristen ein Nischendasein. Das hilft, den Überblick zu behalten und sorgt durchgehend für motivierende Neuerungen.
Schließlich gibt es noch die Ereignis- und die Storykarten. Erstere beeinflussen das Spiel aller durch leichte Regelanpassungen, während die einzelnen Spieler*innen Storykarten durch das Erfüllen bestimmter Aufträge erhalten. Diese belohnen uns dann mit Siegpunkten oder Geld für bestimmte Aktionen oder geben uns besondere Effekte, die meist nach einigen Anwendungen aufgebraucht sind.
Ausgeglichene Last?
Ein großes Problem vieler Legacy-Spiele kann das Balancing sein. Durch die vielen kleinen Errungenschaften und permanenten Anpassungen des Spielplans kann schnell ein Ungleichgewicht entstehen. Hier steuern die Legenden des Westens mit einigen Mechaniken entgegen. So erhält z.B. der*die Letztplatzierte in der nächsten Partie einen zusätzlichen Spielzug und viele Vorteile beziehen sich nur auf ein Modul, das nach ein paar Partien eben nicht mehr so relevant ist. Dennoch: Wem “Balancing” sehr wichtig ist, der*die wird hier eine schwere Zeit haben. Es gehört schon eine Menge Glück dazu, eine Partie zu gewinnen, und so mancher geschickt platzierte Sticker und so manches passende Ereignis können für eine unverhältnismäßig hohe Geld- bzw. Siegpunktausschüttung sorgen.
Etwas abgemildert wird dies durch den ohnehin schon sehr glückslastigen Kernmechanismus, bei dem Sieg oder Niederlage oft durch die zufällig gezogenen Zielkarten entschieden werden. Man sollte die Legenden aber nicht zu ernst nehmen, sondern als exploratives Spielerlebnis mit Siegpunktanreizen verstehen.
Endstation?
Ein weiteres häufiges Problem der durchaus teuren Legacy-Spiele ist der Wiederspielwert. Zug um Zug: Legenden des Westens wirbt wie die meisten anderen Legacy-Spiele damit, dass man am Ende ein individuelles Spielbrett hat, das man beliebig oft weiterspielen kann. Das stimmt, ist aber sicherlich mit Abstrichen zu sehen. Nach ein paar Änderungen haben wir in der Tat eine voll spielbare Version, die sogar darauf achtet, ein gewisses Balancing beizubehalten. Nur: So richtig hat uns das Angebot nicht gereizt. Schließlich fallen all die interessanten Entdeckungselemente weg, die das Spiel überhaupt so reizvoll gemacht haben. Wer also viel Spiel für wenig Geld sucht, ist hier etwas fehl am Platz. Die Legenden des Westens sind ein intensives Spielerlebnis von 10-12 Stunden mit der Option auf einige weitere Partien mit dem eigenen Spielplan. Für unsere Spielgruppe, die vergleichsweise selten zum Spielen kommt und den Motivationsschub durch neue Erkundungen dankend annimmt, war das Spiel ein Volltreffer. Wer allerdings immer und immer wieder in ein Spiel eintauchen möchte, ist hier nicht ganz richtig.
Fazit:
Ich bin eher zufällig an die Legacy-Variante von Zug um Zug gekommen. Das Grundspiel konnte mich nie so richtig begeistern und der hohe Zeitaufwand, den Legacy-Spiele mit sich bringen, machte mich zusätzlich skeptisch. Doch die Skepsis der ersten Partie schlug schnell in Begeisterung um. Die neuen Mechaniken waren einfach immer wieder motivierend und auch das Thema passt einfach. Zusammen mit der hohen Produktqualität und dem geschickten Timing der neuen Elemente hatte ich ein durchweg positives Spielerlebnis. So sollte Legacy sein.
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Zauberwelten-Online.de