Ruka (ZWO): Hallo liebe Silke und erst einmal vielen Dank, dass Du uns ein wenig mehr über Dich und Deine Werke erzählen möchtest. Magst Du uns einen Einblick geben, wie Du zur Phantastik gekommen bist?
Silke: Hallo Ruka, auch von mir vielen Dank für dieses Interview. Ich glaube, mich haben zwei Dinge besonders geprägt: einmal die Unendliche Geschichte. Dieses Buch hat mich schwer in seinem Bann gezogen und war ein „Aha“-Erlebnis. Ich habe für mich begriffen, dass es völlig in Ordnung ist, einerseits in der realen Welt zu leben, andererseits immer mal wieder in die der Fantasie einzutauchen. Das ist Urlaub für die Seele.
Zum Zweiten die Büchersammlung meines Opas. Meine Oma hatte sie seit seinem Tod eingelagert und beim Räumen ausgepackt, da war ich etwa vierzehn/fünfzehn. In dieser Sammlung fand sich ausschließlich Phantastisches, von Lovecraft über Ambrose Bierce bis Perry Rhodan. Aber der eigentliche Punkt war, dass meine Oma zudem einige ‒ allerdings nicht mehr lesbare ‒ Manuskripte meines Opas besaß. Sie wusste nicht mehr, worüber er konkret geschrieben hatte, vermutlich waren auch seine Themen von der Phantastik inspiriert, aber seit diesem Tag ließ mich der Gedanke „Selbst Schreiben? Das will ich auch mal machen!“ nicht mehr los.
Ruka (ZWO): Was ist für Dich im Bereich Phantastik besonders wichtig?
Silke: Ich habe den Vorwurf des Trivialen an phantastische Literatur nie verstanden und bin froh, dass dieser angebliche Makel verblasst. Für mich ist die Phantastik eine Bereicherung des Alltags, in dem sich meist wenig Platz für Magisches, Unerklärliches oder Abenteuerliches findet. Sie bietet unendlich viel Raum, ob es die Leser und Leserinnen in die High Fantasy zieht, ob sie in die Abgründe der Dark Fantasy abtauchen oder Utopien erforschen wollen. Für mich ist sie ein weites Land mit verschwimmenden Grenzen. Und sie bietet noch ganz andere Möglichkeiten. Wie uns Musik oder die Bildende Kunst an Zipfeln unserer Selbst packen können, über Töne oder Farben Gefühle in uns auslösen, kann uns die Phantastik packen und die Augen für etwas öffnen. Das darf auch ein ganz persönliches Thema sein. Dabei denke ich wieder an die Unendliche Geschichte zurück, die mich durch viele Phasen meiner Kindheit und Jugend begleitet hat. Phantastische Literatur kann Werte anbieten, die ich, wenn ich gemeinsam mit den Buchfiguren tief im Abenteuer verstrickt und mit jeder Faser dabei bin, ganz anders aufnehme.
Damit will ich die Phantastik nicht bis zum geht nicht mehr idealisieren. Wie gesagt, das sind Möglichkeiten, die ich in ihr sehe, es ist aber auch schön, einfach nur gut unterhalten zu werden und die Seele beim Lesen baumeln zu lassen. Ich habe bislang jedenfalls keine Sekunde bereut, die meine Nase in Büchern steckte.
Ruka (ZWO): In Stadt ohne Nacht geht es ziemlich zur Sache. Gibt es eine zentrale Botschaft, die Du überbringen wolltest? Oder gab es einen Anstoß zur Idee hinter der Geschichte?
Silke: Ganz ehrlich? Am Anfang stand eine fette Migräneattacke. :o)) Ich lag im abgedunkelten Schlafzimmer, mein Schädel war voller Presslufthämmer und ich wünschte mir irgendjemanden herbei, der macht, dass das aufhört. Alas Geburtsstunde. Ich stellte mir vor, der Waschlappen auf der Stirn wäre ihre Hand. Inzwischen weiß ich, sie hätte mir unter diesen Umständen nicht weiterhelfen können. ;o)
Nun hatte ich eine Figur mit einer Fähigkeit und die brauchte eine Geschichte. So kam eines zum anderen. Ich plotte kaum, der größte Teil der Geschichte entwickelt sich beim Schreiben. So verhält es sich auch mit Botschaften, die einfließen bzw. sich herausbilden. Sie sind nicht die Triebfeder, sondern einfach Teil meiner Person. Für welche Werte ich stehe, was mich jüngst in den Nachrichten aufgeregt hat, was in der Welt oder in meinem unmittelbaren Umfeld geschieht usw. usf., all dies fließt mit mir als Autorin automatisch mit ein und wird somit Teil des entstehenden Buchorganismus.
Ruka (ZWO): Das Thema der Macht durch Glaube und Angst ist ein zentrales in Stadt ohne Nacht. Dabei wurde der Glaube in Realtaris erst kürzlich etabliert, ist also keine jahrhundertlang gepflegte Institution. Warum hast Du Dir ausgerechnet einen so kurzen Zeitraum für die Etablierung eines regierenden Ordens ausgesucht?
Silke: Bevor sich der Orden der Faaraah in Realtaris festsetzen konnte, hatte die Bevölkerung bereits lange unter einem Despoten gelitten. Diese Vergangenheit betrachte ich als vorbereiteten Ackerboden für die Ordensmänner. In Kombination mit dem lokalen Aberglauben der „von-links-Bedachten“ (hier floss „rechts“ vs. „links“ ein, z. B. die Verteufelung von Linkshändern in vielen Religionen) waren das perfekte Wachstumsbedingungen in dieser labilen Phase des Übergangs zwischen dem verhassten Despoten und jenen, die Veränderung versprachen. Mit dem Antagonisten Sijj Bolten kommt nochmal eine zusätzliche Komponente rein. Die Art, wie er sich sieht und warum er sich so sieht.
Dann mussten nur die richtigen Stellschrauben gedreht werden: Angst, Propaganda, Hetze, Ziele definieren durch das Schaffen von Feindbildern wie den „Missbegabten“ sowie später das machtvolle Symbol der Lichtsäule, durch welche die Göttin, der gehuldigt wird, wirkt. Ich habe mir vorgestellt, wie zumindest nachts die ganze Stadt unter einer Käseglocke aus Licht kauert.
Damit komme ich zur Ursprungsfrage zurück: Wird Angst geschürt, ist das ein fürchterlicher Katalysator. Da braucht es meiner Meinung nach keine über die Jahrhunderte hinweg gefestigte Machtstruktur, da kann eine Gesellschaft in kurzer Zeit kippen.
Ruka (ZWO): Deine Charaktere sind sehr unterschiedlich, raufen sich trotz der Differenzen aber zu einem Team zusammen. Ist das der Handlung geschuldet oder verbirgt sich hier auch eine „geheime Botschaft“?
Silke: Was? Soll das etwa heißen, sie ist nicht mehr geheim?
Nein, im Ernst, da ich kaum plotte, kann ich das für mich nicht trennen. Zu Beginn taste ich mich gemeinsam mit meinen Figuren einen möglichen Handlungsverlauf entlang. Wir agieren und reagieren zusammen und ich bewerte das Geschehen immer wieder aus meiner Sicht. Kann ich das Handeln der Charaktere vor mir vertreten und passt es zu dem Bild, das ich von ihnen gewonnen habe? Kann ich ihre Gefühlslage nachvollziehen inkl. der Aktionen, die daraus entstehen? Das beinhaltet ein regelmäßiges Innehalten und Neustellen der Weichen, zusammen mit dem eben erwähnten, dass alles um mich herum durch mich als Filter mit einfließt.
Zusammenraufen und Klüfte überwinden finde ich persönlich z. B. gut und meistens völlig bescheuert, es nicht zu tun. Insofern in Sachen Botschaft schuldig im Sinne der Anklage. Aber: Was, wenn Schuld die Ursache für die Kluft ist? Wie viel Schuld kann ich verzeihen? Gibt es Schuld, die unverzeihlich ist? Hier beginnt die entstandene Botschaft für mich eher den Charakter eines Gedankenanstoßes anzunehmen, der dazu einlädt, eine mögliche Lösung gemeinsam mit den Figuren weiterzuspinnen.
Ruka (ZWO): Wird es eine Fortsetzung aus Realtaris geben?
Silke: Nein, zu 90% nicht. Eine Weile habe ich mit dem Gedanken gespielt, einige Figuren aus Stadt ohne Nacht als Crossover in einem anderen Projekt auftauchen zu lassen. Je nach Tagesform ploppt die Idee wieder auf, es ist eben manchmal schwer loszulassen. :o) Grundsätzlich aber habe ich Stadt ohne Nacht als Einzelband konzipiert und die Geschichte fühlt sich für mich rund und fertig an.
Ruka (ZWO): An was arbeitest Du gerade? Dürfen wir uns auf weitere Projekte freuen?
Silke: Im Moment beschäftigen mich zwei Roman-Projekte, beide ebenfalls eher in der Low Fantasy beheimatet.
Åsa Stryg – Winterblume lautet der Arbeitstitel des einen. Åsa ist die Heldin der Geschichte, eine taffe Söldnerin, die immer nur an miese Aufträge gerät, die ihr weder Ruhm noch Geld einbringen. Als ein Mädchen sie anheuert, den Mörder ihrer Mutter zu finden, wittert sie die Wende, denn als Täter kommt der Erzfeind ihres großen Helden Eloann infrage und lukrativ ist die Sache ebenfalls. So stürzt sie sich kopfüber ins Abenteuer. Ich hoffe, spätestens 2024 kann ich euch verraten, wie es ausgeht. Bei diesem Projekt habe ich mehr geplottet als sonst. Das Freimachen von Altlasten wird u. a. ein Thema sein. Die Suche nach den eigenen Wurzeln und die Frage, was im Leben wichtig ist. Für Åsa sind zwei Bände vorgesehen und der Erzählton wird dem von Stadt ohne Nacht sehr ähneln.
Das andere Projekt ist der dritte Band meiner Das Erbe Bereliens-Reihe. Protagonistin wird eine Nebenfigur aus Band 1 sein, eine junge Schankmaid, die ein Dasein fristet, das stark von Gewalt und Abhängigkeit geprägt ist. Sie auf sensible Art und Weise aus diesem Sumpf herauszuführen, wird eine Herausforderung. Eingebettet ist ihr Weg in eine Basishandlung, die unmittelbar an die Geschehnisse aus Band zwei andockt. Aus Spoilergründen ist es schwierig, hier ins Detail zu gehen. Nur so viel, die Das Erbe Bereliens-Reihe nimmt ihren Anfang bei meiner Antagonistin Ioarín, die an die drei Bruchstücke eines machtvollen, versteinerten Buches zu gelangen versucht und dabei über Leichen geht. Unnötig zu erwähnen, dass es verdammt übel wäre, würde Ioarín dieses Vorhaben erfolgreich abschließen. Auch in Das Erbe Bereliens herrschen zwischen den Protagonisten mehr oder weniger tiefe Klüfte, die zum Wohle aller überwunden werden müssen. Davon abgesehen kommen die Tentakel auf den Covern von Band 1 und 2 nicht von ungefähr …
Ruka (ZWO): Herzlichen Dank für die Einblicke in Stadt ohne Nacht und Deine aktuelle Arbeit. Wir freuen uns sehr, weiteres von Dir lesen zu können.