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Intersektional Marginalisierten einen Raum bieten

Aşkın-Hayat Doğan im Genretalk über Urban Fantasy Teil 2

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Kategorie: Interview Literatur

Urban Fantasy zeichnet sich durch die Bearbeitung von zeitgenössischen Problemen aus. Der städtische Rahmen bietet mit seiner Anonymität insbesondere die Möglichkeit, Diskriminierungsformen auszuleuchten. Mit einem intersektionalen Ansatz, also indem verschiedene (oft gleichzeitige) Diskriminierungserfahrungen thematisiert werden, bemüht sich Aşkın-Hayat Doğan in bisher drei Anthologien um eine kritische und empowernde Urban Fantasy. Was das genau bedeutet und wie er persönlich die aktuelle Urban-Fantasy-Landschaft einschätzt, bespricht er im zweiten Teil des Interviews.

Andreas (ZWO): Zusammen mit Patricia Eckermann hast du eine leider nur noch als Restposten erhältliche Anthologie zur intersektionalen Urban Fantasy herausgegeben. Für eine umfangreiche Besprechung ist hier kein Platz, zumal wir uns ja auch schon einmal über das Projekt unterhalten haben. Dennoch: Gib uns vielleicht einen kurzen Teaser über das Projekt.

Aşkın: Urban Fantasy: Going Intersectional enthält Kurzgeschichten von 21 deutschsprachigen Autor*innen, die in ihren Beiträgen intersektionale Charaktere im Fokus haben. Die Geschichten handeln zum Beispiel von asexuellen Vampir*innen, neuroatypischen Mädchen mit der Gabe der Voraussicht, der chronisch kranken lesbischen Hexe, der muslimischen Superheldin, der mehrgewichtigen Sirene oder einer trans-Elfenprinzessin. Intersektionale Charaktere sind in den Medien im Allgemeinen und in der Fantastik im Besonderem rar gesät. Wir wollten dem mit unserer Anthologie ein wenig entgegentreten.

 

Andreas (ZWO): Ihr habt keine Urban-Fantasy-Anthologie wie jede andere herausgegeben, sondern euch nachdrücklich für einen intersektionalen Ansatz entschieden. In besagtem Interview habe ich euch dazu schon ausgefragt. Mich würde interessieren, wieso ihr das Genre gewählt habt. War die Genrewahl zufällig oder gibt es eine Affinität von diverser Phantastik und Urban Fantasy?

Aşkın: Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich hatte vor ein paar Jahren bei der Heimchen am Schwert-Ausschreibung vom Verlag ohneohren teilgenommen und eine Urban-Fantasy-Story eingereicht. Sowohl während des Islamwissenschaftsstudiums als auch bei meiner Arbeit als Empowerment-Trainer habe ich sehr oft gesehen, wie schwer die deutsche Gesellschaft es kopftuchtragenden Frauen macht, Arbeit zu finden. Auch viele Hochschulabsolventinnen, die Informatik, Natur- oder Wirtschaftswissenschaften studiert hatten, bekamen nur wegen ihres Kopftuchs hunderte von Absagen bei ihren Bewerbungen. Das ging in mein Hirn nicht rein. Inspiriert davon ging es in meiner Kurzgeschichte um eine kopftuchtragende Brokerin. Sie hatte es in die Anthologie, die übrigens wirklich sehr gut ist, nicht geschafft, weil sie die einzige Geschichte war, die nicht irgendwie im Fäntel-Mittelalter spielte. So tanzte sie aus der Reihe, obwohl sie für gut genug befunden wurde. Als jemand, der mit Buffy und Charmed groß geworden war, war ich sehr überrascht, dass nur ich Urban Fantasy eingereicht habe. Es gibt eine Neigung dazu, Rassismus in der Fantastik in Allegorien und Analogien zu verpacken und in längst vergangene Zeiten zu versetzen. Das aber eine kopftuchtragende Frau im heutigen Globalen Norden antimuslimischen Rassismus ausgesetzt ist, oder ich als schwuler Mann mit türkischer Migrationsgeschichte Opfer von Homonationalismus werde, verdient es genauso in der Fantastik thematisiert zu werden. Der Literaturwissenschaftler Stefan Ekman bezeichnet Urban Fantasy als die Literatur der "Unseen" (PDF) – also der Unsichtbaren und zur Marginalisierung verdonnerten. Er meint damit die übernatürlichen Protagonist*innen, die im Gewusel der Stadt sich verstecken können, zieht aber auch die Parallelen zu Menschen und Communities, die in der Realität auch Ausgrenzung erfahren. Der Bezug zur aktuellen Politik und soziokulturellen gesellschaftlichen Lage war einer der Gründe, sich für Urban Fantasy zu entscheiden und den intersektional Marginalisierten einen Raum zu bieten. Denn in der Stadt bildet sich die Intersektionalität von Diskriminierungsebenen räumlich ab. Da brauchen wir uns nur die Verknüpfung von rassistischer Wohnungspolitik und der Stigmatisierung von rassifizierten Orten als sogenannte "Problembezirke", "Gefahrengebiete" und "soziale Brennpunkte" anzusehen, um uns die stadtgesellschaftliche Dimension von Rassismus zu vergegenwärtigen. Die andere, weil Urban Fantasy auch die Anonymität der zeitgenössischen urbanen Erfahrung widerspiegelt. Während in ländlichen und dörflichen Gemeinschaften alle sich untereinander kennen, fußt das Leben in der Stadt auf Unpersönlichkeit. Ich weiß nicht, ob die Bäckerin, der Kassierer oder die*der Kontrolleuer*in in der U-Bahn in die Kirche oder in die Moschee gehen, beim Bowling-Club tätig sind, polyamor leben oder eine Mitgliedschaft im Schützenverein haben. Ich weiß nicht, mit was für anderen sozialen Netzwerken und zwischenmenschlichen Geflechten sie verwoben sind. Diese Unpersönlichkeit, diese urbane Indifferenz ist gegensätzlich zum Homogenisierungsdrang und Konformitätsdruck in dörflichen Gemeinschaften. Sie führt dazu, dass diverse Menschen und Lebensweisen im (neuen) urbanen Raum neben- und miteinander existieren und gegenseitig voneinander akzeptiert werden. Vorstellungen von Identität, Gender und Sexualität verändern sich und bieten in der Anonymität der Stadt neue Ausdrucksmöglichkeiten. Das Entkommen aus ruralen Grenzen – egal ob es sexuelle, ideologische, feministische, genderspezifische oder wirtschaftliche Zukunftsperspektiven sind – ist weiterhin der anhaltende Faktor für Landflucht.

Andreas (ZWO): Schlägt sich das auch in anderen Werken wieder? Wie schätzt du die gegenwärtige Urban-Fantasy-Landschaft in dieser Hinsicht ein? Und was sind Autor*innen, die du in Bezug auf Inklusion und Repräsentation empfehlen würdest?

Aşkın: Urban Fantasy Going Intersectional war der erste Band einer Reihe, die sich mit Themen um Diversity, Intersektionalität und Diskriminierung beschäftigt. Mittlerweile ist auch das Buch Urban Fantasy: Going Queer beim Artskript Verlag erschienen, das ich zusammen mit Noah Stoffers herausgebracht habe. In der Anthologie haben wir 26 Kurzgeschichten von offen queeren deutschsprachigen Autor*innen gesammelt. Die dritte Anthologie in der Reihe heißt Urban Fantasy: Going Fat und wird zur LBM 2023 beim Verlag ohneohren erscheinen. In der haben sich mit Elea Brandt und mir als Herausgebende 15 Autor*innen versammelt, die sich als Own Voices mit Fatshaming auskennen und dicke_fette Protagonist*innen jenseits stereotyper Darstellung in ihren Kurzgeschichten zum Leben erweckt haben. Auch jenseits von Anthologien gibt es in der deutschsprachigen Urban Fantasy mittlerweile einen Schwenk zu mehr Diversität. Autor*innen bilden sich selbständig zu toxischen Tropes, klischeehafter Repräsentation und kritischem Weißsein weiter, engagieren Sensitivity Reader*innen und Verlage geben Own-Voice-Autor*innen mehr Chancen. Wenn wir die noch immer dominierende "Diversität in meinen Romanen ist so subtil, dass man sie gar nicht merkt! Hahaha!"-Fraktion ignorieren, gibt es zum Glück einige Autor*innen, die sehr diverse und spannende Urban Fantasy schreiben: Patricia Eckermann, Anna Zabini, Martin Gancarczyk, Swantje Nieman, Judith & Christian Vogt, Noah Stoffers und Stefan Müller sind nur die, die mir auf Anhieb einfallen.

Andreas (ZWO): Ich hatte bereits angemerkt, dass du mittlerweile beruflich mehr im Training und Coaching untergekommen bist. Auch dein Blog ask-dogan behandelt zwar immer wieder Hobbythemen, ist aber zuerst einmal ein politischer Blog. Welche Rolle nimmt Phantastik gerade in deinem Leben ein und was dürfen wir in nächster Zeit von dir phantastisches erwarten?

Aşkın: Ich bin jetzt seit 13 Jahren Diversity- und Empowerment-Trainer und übe es mittlerweile hauptberuflich aus. Meine Arbeit erfüllt mich gerade sehr, insbesondere Empowerment für queere BIPoC, die nach Gräueltaten wie in Oslo als "queerfeindliche Ausländer*innen" dämonisiert werden und die Existenz von queeren Muslim*innen negiert wird. Es findet sich aber auch Zeit, um die Diversität und Inklusion in der Phantastik voranzutreiben. Das ist einer der Gründe, warum Diverser Lesen mit Ask überhaupt entstanden ist. Seit Kurzem bilde ich zusammen mit Susanne Kasper eine Doppelspitze bei der Leitung der Phantatsik-Bestenliste, die einmal im Monat von einer unabhängigen Jury ausgewählten, aktuell besten Phantastik-Romane präsentiert. Außerdem hat die deutschsprachige Phantastikszene selbst etliche Diversity-Trainings und Sensibilisierungsworkshops nötig. Sie ist sehr toxisch und durchdrungen mit Gatekeeping, rassistischen Strukturen, Pinkwashing und White- und cis-Fragility: die Debatten um Skoutz-Awards, PAN, Kurd-Laßwitz-Preis und Uhrwerk Verlag sind nur einige Stichpunkte auf der Liste. Der offene Brief von Jade S. Kye auf unsere gemeinsame Bewerbung für die Metropolcon-Orga Anfang des Jahres und die desaströse Reaktion der Orga fasst die Lage für BIPoC in der Szene sehr gut zusammen.

Neben dem Stream und der Phantastik-Bestenliste arbeite ich gerade an den letzten Zügen von Urban Fantasy: Going Fat. Band 4 und 5 sind bereits in Planung, sie sind thematisch festgezurrt und die jeweiligen Co-Herausgeber*innen stehen auch fest. Wir haben aber noch keine Verlage für die beiden Bände. Weiterhin sitze ich an einem Nano-Game für den GRT 2023 und konzipiere mit einigen Kolleg*innen eine mehrsprachige Webseite mit queeren SciFi-Geschichten, die hoffentlich Ende des Jahres online geht. Es werden dieses Jahr auch zwei bis drei Kurzgeschichten von mir in kommenden Anthologien erscheinen wie in M-Files beim Talawah Verlag. Und noch jeweils ein Science-Fiction-Spielbuch und ein paar Romane, an denen ich als Sensitivity Reader mitgewirkt habe. Sonst gibt es auch ein oder zwei Romanprojekte, die aber noch ewig brauchen werden, und über die ich noch nichts verraten möchte – ich bin nämlich ein sehr langsamer Schreiber.

Andreas (ZWO): Ich danke dir für das schöne Gespräch und bin schon gespannt, mehr von dir zu lesen.

Aşkın: Dito! :)


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