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Zombies in der Shopping-Mall

Vincent Voss im untoten Genretalk

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Kategorie: Interview Literatur

Spätestens seit der Serienübersetzung von Kirkmans The Walking Dead haben es Zombies in den Mainstream geschafft. Wer sich für die hirn- und willenlosen Schlurfer begeistert, darf auf ein umfassendes Sortiment an Filmen, Serien, Brett- und Computerspielen und natürlich auch Büchern zurückgreifen. Horror- und Zombieautor Vincent Voss stellt uns den Reiz dieses Genres näher vor.

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Vincent, du bist Horrorautor und hast bereits mehrere Zombieromane verfasst. Stell dich uns doch bitte einmal kurz vor. Wer bist Du, was machst Du und wie kamst Du zur Phantastik?

Vincent Voss: Drei lupenreine Zombieromane (Faulfleisch, Frischfleich,Tag 78) und einen, den ich als erweiterten Zombieroman (Infiltriert) betrachte. Aber erst einmal zu mir. Ich bin Vincent Voss, norddeutscher Horrorautor und glücklicher Vater dreier Kinder. Ich arbeite derzeit als Integrationsbeauftragter in der Verwaltung. Zur Phantastik kam ich durch unsere damalige Schulbücherei, etwas später durch das Pen&Paper Rollenspiel Das schwarze Auge und durch John Sinclair. Ich habe dann eine eigene Welt kreiert und dafür dann auch Geschichten geschrieben. Nach dem Abitur habe ich damit kokettiert, Schriftsteller zu sein, aber ehrlich gesagt, war das auch nicht mehr. Ich hatte nur irgendwie keinen Plan, nachdem ich erst ein Jahr auf einer akutpsychiatrischen Station gejobbt und dann eine längere Rucksackreise durch Südostasien gemacht habe. Viel, viel später stand ich vor der Frage, letzter Schein und die Magisterarbeit oder einen Zombieroman schreiben und ich habe mich für Faulfleisch entschieden.

Andreas (ZW): Also den Zombieroman! Das Zombie-Genre war lange Zeit eine nerdige Angelegenheit in den Ab-18-Bereichen der Videotheken. Mit den The Walking Dead (TWD) Comics und insbesondere der überaus erfolgreichen Serienadaption hat sich das geändert, oder? Was hat sich durch die Ankunft im Mainstream deines Erachtens verändert?

Vincent: Ich habe die Romero-Filme nicht in einer nerdigen Nische gesehen, sondern als Horrorfilme mit einer sehr gesellschaftskritischen Aussage. Die TWD-Comics waren ja im Grunde genommen auch noch nicht so richtig im Mainstream, das ist m.E. erst durch die Serie geschehen. Die übrigens auch sehr von den Comics abweicht und einfach auf eine größere Reichweite angelegt war. Dadurch geändert hat sich natürlich vieles, vor allem zum Schlechten in meinen Augen. Die Zombies in TWD, oder World War Z sind nicht mehr Metapher einer übersättigten, turbokapitalistischen Gesellschaft, die sie einst war, nämlich das sich selbst verspeisende System, das an seiner eigenen Restmenschlichkeit zugrunde geht, sondern sind zur reinen Staffage degradiert worden. Muss nicht immer schlecht sein, wenn es zumindest den Anspruch hat, gut zu unterhalten, aber TWD selbst ist für mich zum langweiligen, stinkenden und zahnlosen Untoten seiner selbst geworden. Es gibt da eine Szene, wo zwei verletzte Kontrahenten vor einer Horde Untoter flüchten, sich bekämpfen und immer wieder Zeit für fast minutenlange Monologe haben, ehe wieder geifernde Zombies auf einen Meter herangewankt kamen. Ich habe das gehasst und bin danach ausgestiegen. Einfach, weil es billig war. Billiger Mainstream. Ich könnte dir in den Hals beißen, wenn ich weiter wütend werde ...

Andreas (ZW): Nein bitte nicht, lass uns noch bei der Phantastik bleiben … Seine Wurzeln hat das Genre wie angedeutet eher im Film. Woran denkst du, wenn du an frühe Zombie-Filme denkst?

Vincent: An ein Kindheitstrauma zu allererst. Großangriff der Zombies habe ich leider als Viertklässler gesehen und war beinahe ein Fall für eine Therapie. Ernsthaft. Ich habe wochenlang nicht schlafen können und meine Eltern waren schwer besorgt. Zombies beinhalten neben ihrer Ekelhaftigkeit ja auch eine allzumenschliche und wichtige Frage: Nämlich, was passiert nach dem Tod mit mir. Die Möglichkeit, jemand zu werden, der seine Liebsten fressen will und die Möglichkeit, jemand, der auf mich aufpassen muss, verändert sich in so etwas, das war zu belastend für meine kleine Seele. Aber wie es mit so pathologischen Erlebnissen ist: Man versucht fortwährend sie aufzuarbeiten. Und mit Romereos Zombies im Kaufhaus habe ich mich dann als Jugendlicher an das Thema neu herangewagt und dieser Film hat mich und meine Schreiberei maßgeblich geprägt. Es gibt nach wie vor keinen Film in meinen Augen, der eine so beklemmende Stimmung über das zivilisatorische Versagen einer ganzen Gesellschaft hinbekommt, wie dieser Film. Der einäugige Mahner, die Zweifelnden, die sich darum sorgen, wie sie dem entkommen müssen, die Szenen der kleinen Enklaven, wo mit Bierbüchsen in der Hand noch einzelne Zombies erschossen werden und die Musik beinahe eine ist, die man auf einem Stadtfest zu hören bekommt … Hammer! Einfach nur ein Hammer-Meisterwerk! Dazu – aber das wird jede*r Kundige wissen – die lange Filmversion, die nicht die herausgeschnittenen Splatterszenen meint, sondern jene, die noch mehr Material zur Sozialstudie der Zombies in der Shopping-Mall zeigen. Wo die Untoten ihr Konsumverhalten mit in den Untod adaptiert haben und sich die ganzen blödsinnigen Verhaltensatavismen manifestieren. Großartig! Echt mal!

Andreas (ZW): Und literarisch? Was sollte ich mir durchlesen, wenn ich mich für die Wurzeln interessiere? Lassen sich hier auch Motive erkennen, die man im Film vielleicht nicht findet? Etwa in frühen Adaptionen von Voodoomotiven?

Vincent: Na ja, Voodoo und Widergänger sind ja auch als anthropologisches Motiv nicht unbekannt und spannend. Sowohl in totemistischen aber auch in anderen Weltreligionen. Hier gibt es tolle Sachbücher. Inspiriert hat mich da David Signers Ökonomie der Hexerei. Voodoo ist sicherlich noch einmal ein ganz eigenes spannendes Thema, das bisher sehr stiefmütterlich behandelt wurde, vielleicht, weil die Reichweite der Zombies in diesem Rahmen einfach keine Große ist. In der weitergehenden Behandlung ist sicherlich auch die Verfilmung Die Schlange im Regenbogen ein Tipp und literarische Highlights sind Max Brooks´ Operation Zombie – Wer länger lebt ist später tot: Die Vorlage für World War Z und hundertmal bissiger und kritischer als der Film, Toni Monchinskis Eden fand ich noch herausragend und wer etwas in heimischen Gefilden lesen möchte, ist sicherlich mit der Zombie Zone Germany gut beraten, eine Reihe, die von Claudia Stephanie Rapp betreut wird und in der gute Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht sind.

Ich habe dazu noch viele andere Titel gelesen, die unterhaltsam , aber eben auch nicht mehr für mich waren. David Moody zum Beispiel. Hervorzuheben als Erweiterung sind vielleicht noch die Bücher von Justin Cronin und nicht das Buch, aber die Verfilmung mit John Cusack von Kings Puls, der immerhin einen anderen Ansatz für die Zombifizierung wählt, nämlich die damalige Verbreitung von Mobiltelefonen.  

Andreas (ZW): Kommen wir aber zu den Innereien. Auf den ersten Blick sind Zombies ein Anlass für Bodily Horror und Splatter. Fraglos auch Aspekte die dir liegen. Auf den zweiten Blick geht es aber – wie du ja auch schon angesprochen hast – doch um mehr: Worum geht es 'eigentlich' im Zombie-Genre und welche Ängste bedient es? 

Vincent: Ich denke, die Fragen sind oberflächlich schon beantwortet worden, aber ich fasse noch einmal gerne zusammen. Zum einen geht es um die eigene Vergänglichkeit und dieser Aspekt kann sehr weit reichen. Die eigene Körperlichkeit, der eigene Verfall, das Älterwerden in Form einer langwierigen Verwesung sogar. Hört sich vielleicht komisch an, aber ich denke das Phänomen so und finde dafür auch immer wieder literarische und filmische Anlehnungen. Dann natürlich eine der ältesten Fragen der menschlichen Geschichte: was passiert nach dem Tod? In diesem Kontext hat sich jedes Mal die überlebende Zivilisation vor den Verstorbenen gefürchtet, dass diese wiederkehren kann. Ungläubigen, vom Blitz erschlagene, böse und oder ausgestoßene Menschen und oftmals jene, denen man ein magisches Talent attestierte, Hexen, Hexer, Zauberkundige. Diese Furcht vor dem Tod, dem Untod wird eine total spannende, wenn man den Begriff Untod neu definiert. Klassischer Themenkomplex wäre zum Beispiel: Ab wann ist der Mensch (sozial) Tod? Tatsächlich kondensieren sich diese Frage im Alltäglichen. Zum Beispiel, wenn jemand jahrelang im Hospiz überlebt oder von dort immer wieder zurückkehrt. Die Funktion von Altenheimen, oft ein Ort des sozialen Todes. Untod, und das ist wohl auch das was du meinst, können Menschen aber auch sein, wenn Gesellschaften bar jeder Menschlichkeit sind und dieses Phänomen scheint einigen Kunstschaffenden beobachtbar. Das Leistungs- und Fortschrittsprinzip gepaart mit dem Darwinismus führt zu gefräßigen, nimmersatten, kapitalistischen Individuen und Formen, die nur überleben, wenn sie andere fressen, nur überleben, wenn sie wachsen. Diese Tumorhaftigkeit des Zombiedaseins taugt sehr gut als kritische Metapher. Und sie ist zurecht ein sehr neuzeitliches Phänomen. Umso interessanter finde ich dabei noch den Gedanken der hinlänglichen Erklärung der Zombifizierung, die da gewählt wird, und ich bin mir nicht sicher, wie gewollt das gedacht war. Aber die Virusvariante, die mehr und mehr gewählt wird, entschuldigt uns gewissermaßen und nimmt vielen aber eben nicht allen die Verantwortung. Auf der einen Seite kann jeder infiziert werden, das Virus in sich tragen, ohne es zu wissen, das meine ich, ist vergleichbar mit einem moralischen Freispruch und der Möglichkeit, dennoch Held*innen zu generieren, jene, die wissen, dass sie infiziert sind und einen ehrenvollen Selbsttod wählen, auf der anderen Seite tragen jene Verantwortung, die das Virus erschaffen und freigesetzt haben. Hier steckt eine Kritik und eine moderne sich verändernde Angst vor neuen Technologien inne. So, ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht zu sehr vollgequatscht ...

Andreas (ZW): Nein, keine Angst, die Zeit muss sein! Aber dann ist da die Sache mit der Apokalypse. Siehst du da die klassischen Fragen der Endzeitliteratur am Werk oder haben Zombiedystopien noch ein zusätzliches Element?

Vincent: Die sehe ich ganz klar und vielleicht sehe ich da kein zusätzliches aber eben ein anderes Element, das sich halt sehr um den Tod, den Untod und menschliche Nähe dreht. Ich denke immer, wenn man Zombies nicht als pure Gruselunterhaltung denkt, dann bieten sie so viel Potential für ernsthafte Dystopien.

Andreas (ZW): Zombie-Apokalypsen sind natürlich durchaus vielfältig. Ähnlich wie im klassischen Endzeit-Genre, geht meist ein Katastrophenszenario voraus. Wie können denn Zombies zu Zombies werden? Dein Entwurf hat ja einen ganz eigenen Ansatz.

Vincent: Jepp. Ich habe nicht die Virusvariante gewählt, weil sie eben für meinen Geschmack viel zu spät einsetzt. Ich wollte dort einsetzen, wo Romero einsetzt und sogar noch ein bisschen früher, denn diese Stimmung, die mich damals so fasziniert hatte, wollte ich wiedergeben. Daher ist Faulfleisch als Erstling eher ein Kammerspiel, das in einem Dorf, Wakendorf II, wo ich auch wohne, stattfindet und zeigt das Versagen neuralgischer Knotenpunkte. Und es ist kein mutwilliges Versagen, finde ich, sondern wie schon einmal erwähnt, das Versagen der Menschlichkeit vor diesem Phänomen. Kurzum, durch Kannibalismus wird jemand zum Ur-Zombie und von dort aus setzt sich die Kette fort. In Frischfleisch lasse ich es dann krachen und lasse Deutschland und andere Länder gehörig in die Knie gehen. Und hier spielt das Versagen dann auch eine größere Rolle, denn hier wird versucht, das Thema kleinzuhalten, die Öffentlichkeit zu täuschen, um eigenes Versagen nicht eingestehen zu müssen.

Andreas (ZW): Wodurch hebt sich denn dein Entwurf einer Z-Apocalypse sonst noch von anderen ab?

Vincent: Es geht realistisch zu. Das war mir wichtig und das waren auch die Rückmeldungen vieler Leser*innen. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass, wenn es passiert, es genau so ablaufen könnte.

Andreas (ZW): Abschließend würden mich deine Zukunftspläne interessieren. Was können wir von dir erwarten und geht es auch wieder in die Zombiezukunft? 

Vincent: Akut habe ich das Zombiethema nicht vor der Brust, aber es ist ja alles eine Frage der Perspektive und wie man sich literarisch weiterentwickeln kann

In Kürze wird mein nächster Roman Im Eis erscheinen, das tolle Cover von Timo Kümmel habe ich schon, Jörg Neidhardt wird es weiter verzieren und dann bin sehr gespannt, wie es ankommt. Es wird ein halb historischer Roman mit zwei Zeitebenen sein, eine spielt zur Zeit Bismarcks und es dreht sich um eine fiktive dritte Polarexpedition mit einem geheimen Ziel und die andere spielt in der Gegenwart und ist ebenfalls maritim. Aktuell arbeite ich an einem Projekt im Wurdack-Verlag, eher futuristisch und erzählend, der Horror ist eher im Alltag zu finden, und an einem Roman, der sich um einen Exorzismus in … tada Wakendorf II dreht.

Andreas (ZW): Es bleibt also schaurig und durchaus lebendig! Danke dir für die schöne Übersicht!

Die Zeichnungen wurden dem Zombie-Spielbuch Death Asylum von Mario H. Steinmetz entnommen und stammen aus der Feder von Hauke Kock.
Ich danke dem Mantikore-Verlag für die Genehmigung.

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