Oliver Hofman ist sechzehn Jahre alt, boxt gerne, spielt Pen-and-Paper-Rollenspiele und ist seit einigen Jahren mit seiner Sandkastenliebe Frank zusammen. Für seine vier Geschwister übernimmt er häufig die Verantwortung, lebt aber sonst ein normales Teenager-Leben in Wiesbaden. Alles ändert sich, als sein Vater Tom eines Abends seinen Verstand zu verlieren scheint: Der Familienvater tötet in Raserei seine Frau und zwei der fünf Kinder. Oliver wird bei dem Versuch, seine kleinen Geschwister zu verteidigen, schwer verletzt und findet sich kurzzeitig in einer bizarren Parallelwelt wieder, bevor er im Krankenhaus aufwacht.
Ein halbes Jahr später liegt Olivers Welt noch immer in Trümmern. Die Messerstiche seines Vaters haben tiefe Narben hinterlassen und die Schuldgefühle, das Massaker nicht verhindert zu haben, nagen an dem jungen Mann. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Oliver sieht plötzlich Dinge, die nicht real sein können, und sein kleiner Bruder, der zusammen mit seinem Zwilling bei dem Großvater der Familie untergekommen ist, wird von einem mysteriösen Mann schwer misshandelt. Gemeinsam mit einem Team aus Polizisten und der übersinnlich begabten Camilla versucht Oliver herauszufinden, was in der Mordnacht wirklich geschehen ist und welche dunklen Mächte noch ihre Finger im Spiel haben. Dabei müssen sie Geheimnisse aus der Vergangenheit aufdecken und den Weg in eine andere Welt hinter den Spiegeln finden.
Ermittlungen im Geisterhaus
Der Rebell ist der Nachfolgeroman von Glasseelen, wobei die Geschichte nur lose an die Ereignisse aus dem ersten Teil anknüpft. Die Protagonistin Camilla hat einen Gastauftritt und wenn man die Website von Tanja Meurer besucht, kann man schnell herausfinden, dass noch fünf weitere Werke in Arbeit sind, die in der düsteren Welt von Camilla und Oliver spielen.
Wie bereits sein Vorgänger ist auch Der Rebell ein Mystery-Thriller. Während Glasseelen durch Camillas Entdeckung von Anciennen Cologne jedoch einen starken Urban-Fantasy-Einschlag hatte, dominiert in der Geschichte um Oliver das Spukhaus-Motiv. Immer wieder führen die Ermittlungen den junge Protagonisten in das Haus seines Großvaters zurück, wo sich unheimliche Ereignisse abzuspielen scheinen. Verschiedene Wesenheiten versuchen dort zu Oliver Kontakt aufzunehmen, von denen manche freundlich und hilfsbereit, manche selbst verängstigt und andere sehr bedrohlich sind. Schnell wird klar, dass er über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, die es ihm unter anderem ermöglichen, in die Welt der Geister zu sehen und Dinge wahrzunehmen, die anderen verborgen bleiben. Dabei werden etliche Fragen aufgeworfen und nur wenige beantwortet, zumal der Roman im Gegensatz zu Glasseelen ein offenes Ende hat.
Etwas irreführend ist das Cover des Taschenbuchs: Darauf sieht man einen attraktiven jungen Mann, der oberkörperfrei durch einen Vorhang schreitet. Er sieht Oliver sehr ähnlich, zu seinen Füßen liegen alte Dokumente und ein blutiger Handabdruck ist auf dem weißen Stoff zu sehen. Obwohl das Bild ästhetisch sehr ansprechend ist und einen klaren Bezug zu dem Protagonisten hat, weckt es den Eindruck, als handle es sich hierbei um Romantic Fantasy. Oliver entwickelt zwar im Laufe der Handlung tiefe Gefühle für den Kriminalkommissar Daniel, ihre Beziehung steht jedoch keinesfalls im Zentrum des Geschehens. Viel mehr geht es darum, wie der junge Mann eine übersinnliche Parallelwelt entdeckt und sich seiner Familie zuliebe gefährlichen Mächten entgegenstellt, wobei ihm seine Beziehung zu Daniel Kraft gibt.
Emotional und packend
Wie sie schon in Glasseelen bewiesen hat, ist Meurer eine Meisterin der detailreichen Beschreibung und der großen Gefühle. Die Schauplätze, Gebäude und Personen stehen dem Leser so bildlich vor Augen, als würde er einen Film ansehen. Besonders Olivers Verantwortung für seine Brüder, seine Verzweiflung und seine Wut geben dem Leser einen tiefen Einblick in die Psyche des jungen Mannes. Nach außen hin ist er der vernünftige, für sein Alter ungewöhnlich erwachsene Beschützer seiner Brüder, doch unter der Oberfläche brodelt dieselbe Wut, die seinen Vater zu einem Choleriker gemacht hat. Er ist bereit, an das Gute im Menschen zu glauben und alles für seine Liebsten zu riskieren.
Besonders spannend ist das Verhältnis zu seinen kleinen Geschwistern: Obwohl Oliver selbst noch nicht erwachsen ist, beschützt und erzieht er sie, wobei er nicht selten an seine Grenzen stößt. Er wird mit Mördern, Geistern und Dämonen konfrontiert und schafft dennoch immer den Spagat zwischen Geisterjäger und großem Bruder. Auch die beiläufige Auseinandersetzung mit der Beziehung zu seinen Freunden, mit seiner Sexualität und mit dem schwierigen Alter, in dem man kein Kind mehr, aber auch noch kein Erwachsener ist, wird realitätsnah und nachvollziehbar thematisiert, sodass Oliver eine Figur mit Ecken und Kanten ist und eine wunderbare Identifikationsfigur für junge Menschen in seinem Alter sein kann.
Daniel hingegen, Olivers Beschützer und neuer Freund, wirkt noch ein wenig einseitig. Er ist älter als Daniel, von oben bis unten tätowiert und hat bunt gefärbtes Haar. Wie er es trotzdem zum Kriminalkommissar geschafft hat, wird beiläufig damit erklärt, dass die Polizeichefin seine Tante ist und auch er über besondere Fähigkeiten verfügt. Vor allem aber wird Daniel dadurch charakterisiert, dass er Oliver treu zur Seite steht. Die Beziehung der beiden beginnt warmherzig und liebevoll, trägt zunächst jedoch zu wenig Konfliktpotential in sich, um den Leser wirklich zu packen. Da jedoch noch weitere Romane mit den beiden Protagonisten geplant sind, wird sich wohl die Möglichkeit bieten, Daniel noch besser kennenzulernen.
Auch Camilla wird in Der Rebell aus einem neuen Blickwinkel beleuchtet: Sie ist älter und reifer geworden und scheint mit den Geschehnissen in Ancienne Cologne abgeschlossen zu haben. Sie studiert Kunst und beschäftigt sich nebenbei intensiv mit dem Übersinnlichen, weshalb sie Oliver als eine Art Mentorfigur zur Seite steht. Dabei hat sie ihre forsche, aber liebevolle Art nicht verloren.
Als graue Eminenz und Antagonisten lernt man Amman Aboutreika kennen. Der ägyptische Bauunternehmer und Kunstsammler ist der Pate der Jungen, scheint jedoch tief in die Vorfälle verstrickt zu sein. Obwohl das Kommissariat ihm außer zwielichtigen Verbindungen zum Kunstschmuggel nicht viel nachweisen kann, steht für alle Beteiligten von Anfang an fest, dass Aboutreika ein kaltherziger und skrupelloser Strippenzieher ist, wodurch leider viel Reiz an dem Intrigenspiel verloren geht.
Fazit
Der Rebell ist ein spannender Mystery-Roman, der Geister-Horror mit einer Geschichte über das Erwachsenwerden verbindet. Der Schreibstil der Autorin ermöglichen es dem Leser, sich tief in Oliver einzufühlen und seine Ängste, Hoffnungen und Wünsche kennenzulernen. Wie auch schon Glasseelen ist Der Rebell besonders geeignet für Leserinnen und Leser, die sich nicht nur für die Mystery- und Kriminalhandlung, sondern auch für die Gefühle ihres Protagonisten interessieren. Die Empfehlung der Autorin auf ihrer Homepage ist ab 16 Jahren.
Wann der dritte Band erscheinen wird, wurde noch nicht angekündigt, auf ihrer Homepage schreibt Meurer jedoch, dass die meisten Bücher nur noch überarbeitet werden müssen. Für die Fans von Camilla und Oliver besteht also guter Grund zur Vorfreude!
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.