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Ich wäre gerne Abenteurerin geworden

Anja Bagus im Genretalk über Steampunk

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Kategorie: Literatur

Wer sich trotz Lockdown-Pause noch an Cons und Fantasymärkte erinnern kann, wird ein Bild von Steampunk vor Augen haben. Zylinder, bronzene Zahnräder und überbordende Phantasie! Auch literarisch hat das Genre seine Liebhaber*innen, fristet aber immer noch ein Dasein außerhalb der Bestenlisten. Die Ætherwelten-Autorin Anja Bagus stellt uns die Wurzeln des Genres und ihre eigene Welt vor und diskutiert dabei, was das phantastische 19. Jahrhundert so spannend macht.

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Liebe Anja, du bist Phantastikautorin und insbesondere durch deine Ætherwelt bekannt. Eine Steampunkreihe. Bevor wir näher in den Æther tauchen: Wie kamst du denn selber zur Phantastik und wieso wolltest du Autorin werden?

Anja Bagus: Ich hab schon immer Phantastik gelesen. Ich habe zwar prinzipiell ALLES gelesen, was mir in die Finger kam, aber die Phantastik hat mein Gehirn am tollsten explodieren lassen. Sei das nun Fantasy oder SciFi. Und schreiben wollte ich eigentlich nie so wirklich. Ich hab zwar einen fast vollendeten SciFi-Fantasy-Roman als Frühwerk lange vor dem tatsächlichen Beginn der Schreiberei als Mehr-als-ein-Hobby verfasst, aber der zählt nicht so recht. Ich wollte keine Autorin werden, aber dann hat das Schicksal es anders gemeint. Ich hatte Zeit und Gelegenheit und Druck (also innerlich). Dann kam ein NaNoWriMo und ein sanfter Schubs … so entstand dann Aetherhertz.

Andreas (ZW): Und warum wurde es dann Steampunk? Was hat dich an dem Genre begeistert und nicht wieder losgelassen?

Anja: Das Visuelle. Also diese Gadgets, die man im Netz findet. Die Retro-Tastaturen, die komischen Maschinen, Luftschiffe, all das. Ich wäre gerne Abenteurerin geworden. Und in welchem Genre kann man das besser, als im Steampunk? Ich mag sowas wie Indiana Jones und so. Das Unbekannte, die Schatzsuche, den weißen Fleck auf der Landkarte. Die Möglichkeit, sofort loszurennen und dabei einen epischen Soundtrack zu hören. Fantasy (gerade High Fantasy) ist da oft so schwermütig. Es sollte luftig-locker sein. Mit wilden Verfolgungsjagden. Sowas wollte ich dann schreiben.

Andreas (ZW): Steampunk ist ja gewissermaßen ein Genre, bei dem die Technik mit den Mitteln der Dampfkraft weiterentwickelt wurde. Daraus entsteht eine einzigartige Retrofuturistik, die sich – wie du schon sagst – ja auch ästhetisch niederschlägt. Damit ist das Genre aber auch an das Zeitalter der Industrialisierung gebunden. Hab ich damit überhaupt recht? Und was für Aspekte aus dieser Epoche greift der Steampunk besonders auf? 

Anja: Es gibt da verschiedene Ansätze. Die Dampfmaschine und damit die Industrialisierung ist ein Grundkonflikt. Es ist einerseits noch das Zeitalter, wo alles wunderschön aussieht, ziseliert und mit Ornamenten, aber eben auch schon in Massenware produziert wurde. Die Prämisse wäre dann: Man hat den Sprung zur Elektrizität nicht gemacht. Retro-Futuristik wäre: Eine Gesellschaft war weiterentwickelt, ist aber irgendwie zurückgefallen. Geht auch, als Ansatzpunkt. Man hat noch Computer, weiß aber nicht mehr, wie sie gehen und sie sind nicht einheitlich aus Plastik, sondern lauter Einzelstücke, liebevoll instandgehalten und verziert. Ein dritter Weg ist einfach “weird science”, wo es eigentlich nicht genau erklärt wird, warum die Welt mit Dampf und Elektrizität dennoch völlig anders aussieht.

Ich bin einen anderen Weg gegangen. Bei mir spielt eine Substanz eine Rolle, die seit dem Jahr 1900 über Flüssen und Seen aufsteigt: Der Æther. Er ist eine Art Treibstoff, aber auch eine Energie, die chemische und physikalische Eigenschaften von Reaktionen und Stoffen verändern kann. So schaffe ich eine andere industrielle Revolution mit diesem Stoff. Es gibt auch Dampfmaschinen und Elektrizität, aber mit Æther ist halt alles besser. Es gibt dann Ætherbarone, Luftschiffe, seltsame andere Maschinen, die nur durch Æther möglich werden.

Andreas (ZW): Und wo lässt du auch, abgesehen von der Technik, Fünfe gerade sein und entwirfst die Gesellschaft ganz anders?

Anja:  Nun gleichzeitig zur gravierenden industriellen Veränderung gibt es eben auch eine andere gesellschaftliche. Wo in der realen Welt die Arbeiter*innenbewegungen und andere Faktoren (irgendwann auch der 1. Weltkrieg) die Gesellschaft nachhaltig verändert haben, ist es bei mir die Tatsache, dass Æther auch Menschen verändern kann. (Und Tiere und generell ALLES.) Wenn in Deutschland 1910 der Nachbar plötzlich ein paar Hörner bekommt, der Sohn Reißzähne und/oder Flauscheohren, und die Frau nicht mehr am Herd stehen will, sondern mit Fischschwanz in einem See wohnen möchte, dann hat das sicher gravierende Auswirkungen. Die gesellschaftliche Ordnung der braven Reichsbürger*innen (hust) kommt ins Wanken, weil es eben JEDEN betreffen kann. Ob arm oder reich, adelig oder beim Militär. Die Kirche schäumt: Das sind die Verdorbenen, nur die Sünder werden vom Æther verdorben und man beeilt sich, die Betroffenen irgendwie loszuwerden.

Das ist natürlich nicht ganz leicht und da hat man genug zu schreiben.

Andreas (ZW): Kommen wir dann endlich zur Literatur selbst. Worin siehst du das Gründungswerk des Genres – So es das denn gibt. Und was ist ein Klassiker, den man unbedingt gelesen haben sollte, um ins Genre zu finden?

Anja: Es gibt tatsächlich ein Gründungswerk und das ist auch total klar definiert. Ein Autor, der sonst Cyberpunk schrieb – K.W. Jeter – hat eine abstruse Geschichte mit dampfbetriebenen Computern verfasst und mit den Worten an ein Magazin geschickt, man solle die Sache einfach 'Steampunk' nennen. Somit ist das klar zu definieren. Alle anderen Definitionen sind frei erfunden und einer der größten Streitpunkte bei den Genrediskussionen. Steampunk ist ja auch eine gelebte Subkultur, und da gibt es immer mal wieder welche, die sich auf seltsame Positionen stellen und meinen: Das ist aber kein Steampunk, denn … aber leider ist es so, dass prinzipiell alles mögliche Steampunk sein kann. Es ist wirklich lausig.

Andreas (ZW): Genau deshalb ist jede Steampunkvision anders. Wodurch zeichnen sich deine Ætherwelten besonders aus?

Anja: Vor allem eben durch den Æther. Er bringt eine Fantasy-Komponente hinein. Letztlich ist es aber eine gesellschaftskritische. Der Mannwolf, der Stiermann, die Gänsefrau oder die Schwanendame … sie sind so, weil sie das eigentlich schon waren. Also jemand, der sehr friedlich ist, wird sicher kein aggressiver voll ausgebildeter Mannwolf. Und manche haben ja nur flauschige Ohren. Warum ist das so? Wie geht man damit um, dass es einem quasi im Gesicht oder den Ohren abzulesen ist, welches Temperament man hat? Eine derart starre Gesellschaftsordnung wie die damalige kann das kaum aushalten. Selbst heutzutage haben wir ja Probleme, Andersartigkeiten zu akzeptieren. Und nun kommt der Bürokollege eines Tages mit Puschelschwanz und Krallen, spielt mit dem Lichtpunkt des Laserpointers und wäscht sich während des Meetings mit der Zunge erst die Pfote, dann das Gesicht oder Schlimmeres? Ich kann aber an diesen Konfliktzonen so viel geschehen lassen! Meine Geschichten sind immer über Minderheiten, die sich nicht unterkriegen lassen. Es sind Außenseiter*innen, in guten und im schlimmen Sinn. Zusammen mit den fantastischen Maschinen und dem generellen Mysterium des Æthers, den Widersacher*innen und den Verbündeten, schaffe ich viel Abenteuer, aber eben auch mal Romantik und Gesellschaftskritik. Ach: Und Luftschiffe. Hatte ich die erwähnt?

Ach ja, und alle meine Bücher spielen in Deutschland. Baden-Baden, Köln, Rügen ...

Andreas (ZW): Und mit welchem Buch komme ich am besten in deine Welt hinein?

Anja: Das ist der Auftakt des ganzen: Aetherhertz. Das Buch ist in sich abgeschlossen und lässt aber genug offen, um weiter neugierig zu machen. Schließlich gibt es viel zu entdecken.

Andreas (ZW): Du bist nicht die einzige, aber doch einige der wenigen Steampunkautor*innen in Deutschland. Auf welche Autor*innen sollte man einen Blick haben? Wen und welche Welten kannst du besonders empfehlen?

Anja: Da ist z. B. Chris Schlicht, die in meinem Lieblingsverlag schreibt. Sie hat auch sehr komplexe Themen und ein eher klassisches Steampunk-Setting. Tanja Meurer schreibt auch Steampunk mit queeren Themen.

Bei Überreuther erscheint auch gerade ein Jugend-Fantasy-Roman von Carsten Steenbergen, der sich im Genre gut auskennt.

Andreas (ZW): In einer Talkrunde kam die These auf, dass Steampunk ein Liebhaber*innen-Genre ist das zwar gerne verlegt wird, aber nur wenige Leser*innen findet (eine weitere Talkrunde nur zum Steampunk in der auch Anja beiträgt, findet sich übrigens hier). Wie schätzt du das ein? Wie erfährst du es mit deinen Ætherwelten?

Anja: Äh. Gerne verlegt? Nein. Die großen Verlage fassen das mit der Kneifzange nicht an. Auch ein Jim Butcher ist damit baden gegangen. Steampunk ist ein lausiges Genre. Es ist herrlich, ihn zu schreiben (als Autor*in). Man kann es einfach laufen lassen, ohne direkt einen kompletten Weltenentwurf machen zu müssen. Aber die Leser*innen, die denken erst mal: Was erwartet mich? Punk? Will ich das? Man muss es ihnen erklären. Und wenn man etwas erklären muss, hat man schon die Spontan- ohdascoveristtoll -Käufer*innen verloren. Die gehen einfach weiter und nehmen sich den Krimi, da wissen sie, was sie bekommen. Aber die, die sich darauf einlassen, finden es meist toll. Als Subkultur ist es ja auch gerade mächtig beliebt.

Andreas (ZW): Genau, Steampunk fällt wie vielleicht kein anderes Genre durch eine aktive Fanszene auf, die sich in aufwändig und äußerst kreative Kostüme wirft. Auch du kleidest dich auf Veranstaltungen gerne steampunkig. Was bedeutet diese Seite von Steampunk für dich und die Steampunkliteratur? Sind zahnradbewehrte Conbesucher*innen auch Steampunkleser*innen?

Anja: Nein. Leider nicht so viel, wie ich das gerne hätte. Die Subkultur ist aber auch recht klein. Ich hab sie dennoch breitflächig mit meinem Erstling beworfen. Und das Glück gehabt, dass wir ja einen kleinen Film gedreht hatten. Den haben viele gesehen, sowie unsere Auftritte als preußische Beamte im Amt für Ætherangelegenheiten. Dieses Amt wird am Ende meines ersten Buches gegründet und ist nun bekannter als meine Bücher. Aber ich mecker nicht, denn das Drumerhum ist auch schon ganz lukrativ, jedenfalls genug, um mich nicht in die Versenkung verschwinden zu lassen und mich einem “besseren” Genre zuzuwenden.

Andreas (ZW): Kommen wir zuletzt noch einmal zu dir. Wie geht es bei dir weiter? Was hast du noch für die Ætherwelten geplant?


Anja: Ich schreibe nach 9 Romanen und einigen Anthologien in dieser Welt gerade eine Heftromanreihe, für und mit meinen Patreons. Die Sachen sind für alle auf meiner Homepage erhältlich. Die Kurzgeschichten um zwei veränderte Beamte Hund&Katz will ich auch ausbauen. Und die Wichtel, über die ich ein Weihnachtsbuch geschrieben habe, leben auch in der Ætherwelt. Ich verzahne das alles. Die bekommen jetzt ein Spiel. Ich musste auch das mal ausprobieren, ich bin halt ein Spielkind. Ich bin noch lange nicht fertig!

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