Für Xenobiologin Kira Navárez läuft das Leben eigentlich ganz gut: sie ist kurz davor, einen Abschnitt ihrer Karriere erfolgreich abzuschließen und einen neuen zu beginnen, versteht sich gut mit ihrem Team, frisch verlobt, und sieht einer einfachen, aber glücklichen Zukunft entgegen. Aber natürlich kommt es ganz anders. Kurz vor Abschluss ihres Auftrags macht sie auf der Oberfläche des Planeten, wo sie stationiert ist, eine Entdeckung, die ihr Forschungsfeld nachhaltig verändern und für Jahrzehnte beschäftigen könnte. Stattdessen infiltriert die Substanz, das „Xeno“, wie sie es nennt, ihren Körper, und sie wird unfreiwilliger Host eines fremdartigen Organismus. Ohne es zu wissen, gerät sie damit in einen jahrhundertealten, interstellaren Konflikt hinein, dem nicht nur sie, sondern auch das gesamte unmittelbare Universum nicht entgehen können.
Die Handlung von Infinitum ist kompliziert und odysseenhaft, und deutlich zu verworren, um in der Kürze zusammengefasst werden zu können. Hierin liegt sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche des Buches: Um in die Welt von „Infinitum“ abtauchen zu können, empfiehlt es sich, einen langen Atem mitzubringen. Doch man kann Christopher Paolini nicht vorwerfen, ein vorhersehbares Buch mit konventioneller Spannungskurve geschrieben zu haben.
Durchhalten ist alles
Es gibt Bücher, die sehr schnell eine Art Sog entwickeln – auf magische Art und Weise findet sich selbst zu den schwierigsten Zeiten und den vollsten Terminkalendern Zeit, hier und da ein paar Seiten zu lesen, nur, um tiefer in das Geschehen vordringen zu können.
Infinitum gehörte für mich persönlich definitiv nicht zu diesen Büchern. Das an sich soll noch kein umfassendes Qualitätsurteil sein; schließlich verlangen manche Romane ein wenig Anstrengung, um sich mit ihnen auseinandersetzen zu können. Bei einer Geschichte, die fast tausend Seiten umspannt, wäre ein bisschen weniger Anstrengung jedoch durchaus wünschenswert gewesen. Dennoch: Meine persönlichen Erwartungen daran, wie sich der Plot entwickeln würde, waren allerdings innerhalb des ersten Drittels abgehakt, und was mich immer wieder dazu gebracht hat, mich zurück an die Seite von Kira zu begeben, war die Neugier, was sich in den restlichen 750 Seiten verbergen möge.
Top
Paolinis Beschreibungen von Umgebungen, Charakteren und Auseinandersetzungen sind lebhaft, fast schon filmisch; es ist leicht, sich das Geschehen hochauflösend auf einer gigantischen Leinwand vorzustellen, wie ein Film mit schier endlosem Budget. Auch die Sprache, die er benutzt, fügt sich gut in dieses Bild ein. Zwischen Flashbacks und Lichtblitzen fehlt nur noch ein Soundtrack aus der Feder von Hans Zimmer, um das Bild des US-Blockbusters zu komplettieren.
Wer von der tatsächlichen Wissenschaft hinter Raumfahrt nicht viel versteht, für den klingt die Fachsprache, mit der Paolini seine Space Opera unterlegt, cool und glaubhaft bis schlüssig. Wieviel davon tatsächlich wasserdicht ist, kann ich nicht sicher sagen, dennoch weiß ich zu schätzen, dass Paolini hier ernsthaften Aufwand betrieben hat. Im Appendix des Buches legt er dar, welche Erkenntnisse, Forschungsergebnisse und Theoreme seiner Geschichte zugrunde liegen. Mit diesem Grundgerüst steht auf jeden Fall fest, dass es sich bei Infinitum nicht um einen Fantasy-Roman mit Weltraumgeschmack handelt, sondern um ehrliche Science-Fiction.
Kira trifft nach einigen Schwierigkeiten, die sie mehr oder weniger allein bestreiten muss, auf den kleinen Schmugglerkreuzer „Wallfish“ und seine bunt gewürfelte Crew, samt kauzigem Schiffsverstand, Katze und einem Schwein. Wem unter den extrem verschiedenen Charakteren der Besatzung mit der Zeit nicht mindestens ein Charakter ans Herz wächst, dem kann ich auch nicht weiterhelfen: Infinitum bietet ein diverses Ensemble eigenwilliger Figuren mit bewegten, sehr unterschiedlichen Hintergründen.
Flop
Was die Schwächen von Infinitum belangt, soll zuerst Folgendes gesagt sein: Es ist schwierig, abzuschätzen, wieviel von dem faden Beigeschmack, den das Buch für mich mit sich bringt, wirklich Paolini zuzuschreiben ist, denn was die Übersetzung des Romans angeht, hat sich der Verlag in meinen Augen bedauerlicherweise nicht mit Ruhm bekleckert. Selbstverständlich ist die Übersetzung eines solchen Werkes keineswegs eine leichte Aufgabe, doch immer wieder sind mir unrunde Formulierungen, steif wirkende Dialoge und die ungleichmäßige Nutzung englischer Begriffe aufgefallen. Ob mit dem vierköpfigen Übersetzungsteam zu viele oder zu wenige Hände mit im Spiel waren, lässt sich wohl kaum von außen erörtern, und auch, ob hier für einen früheren Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe unter zu großem Zeitdruck gearbeitet wurde, werden wir wohl nicht erfahren. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass der Übersetzung deutlich mehr Aufmerksamkeit, und, wenn nötig, deutlich mehr Zeit gewidmet worden wäre. Gut Ding will schließlich Weile haben.
Doch nicht alles lässt sich mit einer mittelmäßigen deutschen Fassung erklären. Ganz in der Manier großer Hollywood-Produktionen lässt sich Paolini immer wieder zu ausgelutschten bis anstößigen Tropen hinreißen, die meiner Meinung nach nicht notwendig gewesen wären. Kiras Leidensgeschichte grenzt immer wieder an Torture Porn, und auch ihre Überlegungen bezüglich ihrer Fruchtbarkeit und potenzieller Mutterschaft lassen eine Leser*innenschaft des 21. Jahrhunderts eher mit den Augen rollen, als Mitgefühl zu erzeugen. Auch Kiras Verlobter erschien vom ersten Satz an zu gut, um wahr zu sein, und hätte daher nicht deutlicher dem Tode geweiht sein können, wenn er von Sean Bean verkörpert worden wäre. Er erscheint eher wie eine fleischgewordene traurige Hintergrundgeschichte als ein eigenständiger Charakter. Generell gelingt es Paolini zwar, Figuren zu skizzieren, die sympathisch und interessant sind; er scheitert jedoch häufig daran, sie dann wirklich auszuarbeiten und zum Leben zu erwecken. Dasselbe gilt auch an einigen anderen Stellen: So entwirft er mit einer Vielzahl von Faktionen und Zugehörigkeiten den Eindruck eines komplexen Systems von Interessen und politischen Motiven – bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass die meisten von ihnen keine wirkliche Auswirkungen auf die Handlung haben.
Fazit:
Im Nachwort beschreibt Paolini den Schreibprozess hinter Infinitum und gibt Einblick darin, wie lang, verworren, teilweise beschwerlich und doch irgendwo lohnenswert sein Weg zu einem fertigen Manuskript dieses Buches war. Seine Erfahrungen mit dem Schreiben des Romans erinnerten mich in vielerlei Hinsicht an meine Erfahrung damit, es zu lesen. Im Endeffekt habe ich nicht bereut, mich auf diesen Roman eingelassen und trotz einiger Kritikpunkte und Schwierigkeiten durchgebissen zu haben – für mein Verständnis ist es Paolini gelungen, ein Ende zu finden, das eine gute Balance zwischen Kitsch und Fatalismus findet, und ich war zufrieden, gemeinsam mit Kira mein Ziel erreicht zu haben. Ein zweites Mal lesen würde ich es allerdings nicht.
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de