20 bis 30 Unterhosen und 12 BHs liegen bei deutschen Frauen durchschnittlich im Kleiderschrank. Das meint zumindest die Studienlage. Historisch gesehen ist diese Art Unterwäsche aber noch blutjung: Bis zum Beginn des 20. Jh. wurde „drunter“ nur eine Chemise getragen, und zwar von Frauen und Männern. Wie ihr euch dieses historische Garderoben-Basic einfach selbst näht, erklärt der folgende Artikel.
Die Chemise (auch: Shift oder Smock) ist ein langes, weites Unterhemd, das über Jahrtausende hinweg von Menschen aller Schichten unter den eigentlichen Kleidern getragen wurde. Da es direkt am Körper anlag, nahm es Schweiß und Hautfette auf – so blieben die äußeren Kleider sauber. Üblicherweise wurde auch nur die Chemise regelmäßig gewaschen. Praktisch, als es noch keine Waschmaschinen und Trockner gab.
Ideales Anfängerprojekt
Heutige LARP-, Reenactment- oder Mittelalter-Fans sollten auf die Chemise als Grundausstattung der mittelalterlichen Garderobe auf gar keinen Fall verzichten. Sie ist ein ideales Anfängerprojekt, kann von Hand genäht werden oder mit der Nähmaschine und benötigt kein Schnittmuster – nur die eigenen Körpermaße.
Also: An die Nadeln, fertig, los!
Material & Zubehör
- Stoff (B: 130cm, H: 260cm; idealerweise Leinen oder Baumwolle; Farbe: Weiß oder Creme)
- Garn (farblich passend zum Stoff)
- Nadel oder Nähmaschine
- Stoffschere
- Maßband
- Stecknadeln
- Bügeleisen und Schneiderlineal (wenn es perfekt werden soll)
Dauer
Als absolute Nähanfänger*innen werdet ihr sicher etwas länger für das Projekt brauchen. 1-2 Wochen sind realistisch, wenn ihr von Hand näht und zwischendurch auch noch das reale Leben ruft. Wenn ihr schon etwas geübter seid und/oder alle Schritte mit der Nähmaschine macht, könnt ihr aber auch viel schneller fertig sein.
Vorbereitung
Vor Beginn ist es wichtig, dass ihr euren Stoff einmal in die Waschmaschine steckt. Warum? Stoff geht ein, wenn man ihn das erste Mal wäscht. Und ihr wollt nicht viele Arbeitsstunden in ein neues Kleidungsstück stecken, das nach der ersten Wäsche dann zu klein ist!
Maße nehmen
Während der Stoff in der Waschmaschine ist, holt ihr schon einmal das Maßband heraus. Für die Chemise braucht ihr zunächst einmal:
- Brustumfang
- Hüftumfang
- Armumfang
- Handumfang
Messt diese Körperregionen an ihrer breitesten Stelle – schließlich wollt ihr euch in der Chemise später noch bewegen (oder bequem schlafen) können. Die breiteste Stelle des Arms ist der Bizeps. Spannt den Arm an, während ihr messt!
Der Umfang eurer Hand ist wichtig, damit ihr den Ärmel beim Anziehen leicht über die Hand bekommt. Euren Handumfang messt ihr, indem ihr das Maßband am Daumengrundgelenk anlegt.
Ihr benötigt außerdem:
- Taillenumfang (den messt ihr an der schmalsten Stelle eurer Taille)
- Armlänge (messt hier von der Schulter – wo man einen kleinen Knochenknubbel ertasten kann – den Arm hinunter bis zu der Stelle, an der die Ärmel enden sollen)
- Gewünschte Chemise-Länge (legt das Maßband oben auf der Schulter an und lasst es bis zur gewünschten Stelle baumeln – historisch akkurat wären die Knie)
Ihr solltet jetzt folgende Maße haben – zu Anschauungszwecken sind sie mit Beispielwerten versehen (ja, die sind bewusst glatt, wer mag schon Mathe):
- Brustumfang – z.B. 100cm
- Hüftumfang – z.B. 105cm
- Taillenumfang – z.B. 90cm
- Armumfang – z.B. 30cm
- Handumfang – z.B. 20cm
- Armlänge – z.B. 60cm
- Gewünschte Chemise-Länge – z.B. 130cm
Zahlen-Zaubern
Ein kleines bisschen Knobeln müsst ihr, damit die Chemise nachher angenehm sitzt. Keine Sorge, es ist auch gleich wieder vorbei.
Welcher Wert ist bei euch der Höchste: Brust-, Hüft- und Taillenumfang?
- Wählt ihn und teilt ihn durch 2.
- Hier ist es der Hüftumfang.
- Hüftumfang durch 2 = Breite der Chemise.
- z.B. 105cm : 2 = 52,5cm
- Die anderen beiden Werte (hier: Brust- und Taillenumfang) könnt ihr jetzt streichen – die braucht ihr nicht mehr.
Nun fehlen noch die Nahtzugaben (NZG).
Die Nahtzugabe (NZG) ist der Abstand zwischen der Schnittkante des Stoffs und der Naht. Geht hier unbedingt großzügig vor: Gerade Leinen franst gern aus, man verschneidet sich oder hat an irgendeiner Stelle zu knapp kalkuliert. Merke: Wenn's um Stoff und Nähen geht, ist es immer entspannter, zu viel zu haben, als zu wenig.
- Addiert also zu allen Werten eine NZG von 2,5cm dazu.
- Addiert dann noch einmal 2,5cm – einfach, um sicherzugehen.
- Also insgesamt 5cm. Überall.
Das macht:
- Breite der Chemise + 5cm
- = 52,5 + 5cm
- = 57,5cm
- Krumme Zahlen sind hässlich, rundet also einfach auf 60cm.
- Armumfang + 5cm
- = 30 + 5cm
- = 35cm
- Handumfang + 5 cm
- = 20 + 5cm
- = 25cm
- Armlänge + 5cm
- = 60 + 5cm
- = 65cm
- Gewünschte Chemise-Länge + 5cm
- = 130 + 5cm
- = 135cm
Must-Haves für eine extra-bequeme Chemise: Gores und Wedges
Gores und Wedges sind dreieckige Stoffstücke, die den Bewegungsspielraum eurer Chemise drastisch vergrößern.
Gores:
- Die Gores sind die beiden Seitenkeile, die ihr gleich in den Rockteil der Chemise einnäht.
- So schwingt sie schön, hat mehr Beinfreiheit und fällt nicht einfach schlapp und gerade herunter.
- Je länger ihr die Gores bemesst, desto weiter oben an eurem Körper fangen sie an. Für den Anfang sind 75cm gut.
- Je breiter ihr die Gores bemesst, desto mehr SWOOSH hat eure Chemise später am Saum (absolut wichtiges Kriterium für alle Beinkleider). Hier bieten sich 30cm an.
- Macht: B: 30cm, H: 75cm
Wedges:
- Die Wedges sind kleinere und schmalere Dreiecke, die ihr vorn am Ärmelschnittteil abschneidet und später unterhalb der Achseln wieder einfügt. Keine Sorge, das erklärt sich gleich.
- Es geht nur darum, dass der Ärmel oben an der Schulter, wo wir viel Bewegungsfreiheit brauchen (① = Armumfang), breiter sein soll als unten am Handgelenk (② = Handumfang)!
- Euren Armumfang (①) und euren Handumfang (②) habt ihr ja schon.
- Rechnet ① – ②, z.B. 35 – 25cm = 10cm
- Teilt das dann durch 2, z.B. 10cm : 2 = 5cm
- So breit werden eure Wedges an der Seite des Dreiecks, die dem rechten Winkel gegenüberliegt (der Hypotenuse. Ihr wisst schon.)
- Beginnen lasst ihr sie wiederum genau auf der Hälfte eurer Ärmellänge.
- Verwirrend? Keine Sorge. Es wird im nächsten Schritt gleich klarer.
Die Schnitt-Teile auf dem Stoff markieren
Endlich geht’s los. Breitet euren gewaschenen Stoff glatt auf dem Fußboden aus.
Faltet ihn zur Hälfte. Nicht der Länge nach, sondern quer. Das sollte ein annähernd quadratisches Bild ergeben.
Zeichnet auf dieser doppelten Stofflage nun eure Schnittteile ein – wie abgebildet (Klick aufs Bild vergrößert es). Das Schneiden „im Stoffbruch“ ist super, denn ihr erhaltet dadurch automatisch alle Teile in zweifacher Ausführung! Yay!
Die Schnittteile ausschneiden
Fertig? Dann dürft ihr jetzt alles ausschneiden! Den Torso lasst ihr dabei bitte ganz, die Gores und Ärmel müssen allerdings an der Stoffbruchkante in zwei geteilt werden. Die Menge Stoffstücke, die vor euch liegt, sollte jetzt in etwa so aussehen (Klick aufs Bild vergrößert es):
Wie das eine Chemise werden soll? Keine Panik. Legt sie einfach einmal zusammen (Klick aufs Bild vergrößert es):
Endlich, ihr seid bereit zum Nähen! Benutzt dafür die Nähmaschine oder – historisch korrekt und bei ausreichend Freizeit (und/oder Geduld) ziemlich meditativ – eure Hände, Nadel und Faden.
Die Seitenkeile (Gores) zusammennähen
Aus den 4 schmalen Dreiecken, die vor euch liegen, sollen 2 breitere Dreiecke werden. Etwa so (Klick aufs Bild vergrößert es):
Steckt sie zuerst mit Pinnadeln zusammen.
Zum Zusammennähen von Hand wählt ihr den Back Stitch.
Zum Versäubern von Hand wählt ihr die Technik des Fellings.
Falls ihr die Nähmaschine nutzen wollt, näht die Teile mit einem einfachen Geradstich zusammen. Versäubert sie mit Zickzack- oder Overlockstich.
Nicht vergessen: Zu Beginn einer Naht und an ihrem Ende müsst ihr sie „verriegeln“, d.h. einmal kurz rückwärts nähen, damit sie nicht wieder aufgeht (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
Die Seitenkeile (Gores) an den Torso der Chemise nähen
Jetzt müsst ihr die Gores an die Chemise bringen. Legt die fertigen und zusammengeklappten Dreiecke dazu wie vorhin an den Torso.
Wichtig: Sie sollten keine gerade Linie mit dem Saum der Chemise bilden. Viel schöner fällt der Stoff, wenn ihr sie einmal umdreht – wie auf dem Bild im Schritt "Die Schnittteile ausschneiden". Die äußeren Ecken zeigen also leicht nach oben.
Pinnt sie fest – an der vorderen Hälfte des Torsos.
Näht sie an – wieder mit Back Stitch und Felling, wenn ihr es von Hand näht, oder mit Geradstich und Zickzack- bzw. Overlockstich an der Nähmaschine (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
Die Wedges an die Ärmel bringen
Legt die Wedges ebenfalls wie zuvor an die Ärmelteile an.
Pinnt sie fest.
Näht sie an wie die Gores (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
Die Ärmel der Chemise annähen
Wow, ihr seid schon bei den Ärmeln! Gute Arbeit!
Ärmel kann man auf 2 Weisen annähen: Flach und im Rund. Hier näht ihr sie flach an. Das ist die Technik, die man wählt, wenn die Vorder- und Rückseite eines Kleidungsstücks noch nicht zusammengenäht sind, wie hier. Und das geht so:
- Klappt die Chemise mutig ganz auf und breitet sie aus.
- Die rechte („schöne“) Stoffseite zeigt nach oben.
- Breitet auch euren Ärmel flach aus und legt ihn nun außen an die Mitte der Chemise an – genau da, wo sie vorher zur Hälfte gefaltet war. Auch er zeigt mit „rechts“ nach oben.
- Hierfür ist es hilfreich, wenn ihr euch die Hälfte des Ärmels markiert (z. B. mit dem Bleistift). Legt ihn nun mit dieser Markierung genau an der Umschlagfalte der Chemise an.
- Klappt ihn jetzt am „Hand-Ende“ hoch und legt ihn über die Chemise zurück – also rechts auf rechts (Klick auf die Bilder vergrößert sie). Kontrolliert nochmals den Sitz: Ärmelhälfte muss genau auf Chemisehälfte liegen. Und die Kante des „Schulter-Endes“ vom Ärmel liegt bündig an der Seitenkante der Chemise.
- Pinnt ihn fest.
- Näht ihn fest. Wie gehabt mit Back Stitch und Felling, wenn ihr es von Hand näht, oder mit Geradstich und Zickzack- bzw. Overlockstich an der Nähmaschine.
Die Chemise-Seiten schließen
Jetzt ist es Zeit, die offenen Seiten eurer Chemise endlich zuzunähen. Das geschieht für jede Seite in einem Rutsch – beginnend beim Ärmelsaum und endend am unteren Saum der Chemise.
- Klappt dazu die gesamte Chemise zusammen, sodass sie wie das spätere, fertige Kleidungsstück aussieht – links muss nach außen zeigen, alle Kanten müssen bündig legen.
- Pinnt Vorder- und Rückseiten zusammen.
- Näht jetzt vom „Hand-Ende“ des Ärmels bis hinunter zum Saum der Chemise in einem Rutsch alles zusammen.
- Wie bekannt: Back Stitch und Felling, wenn ihr es von Hand näht, oder Geradstich und Zickzack- bzw. Overlockstich an der Nähmaschine (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
Die erste Anprobe
Zeit für die erste Anprobe!
- Lasst die Chemise auf links gedreht und schneidet oben an der Umschlag- bzw. Schulterfalte einen Schlitz für den Kopf hinein.
- Macht ihn so klein ihr nur könnt: Am besten ist ein länglicher Schnitt, der der Umschlag-/Schulterfalte folgt, versehen mit einem kleinen Schnitt quer dazu auf der Vorderseite.
- Schlüpft in eure Chemise, bewundert euer Können vor dem Spiegel und markiert mit einem Bleistift (oder: Schneiderkreide), wo euer Ausschnitt verlaufen soll.
- Tipp: Zieht euer bevorzugtes Mieder/Korsett/Kleid schon drüber und folgt mit der Ausschnittlinie der Form des Ausschnitts bei eurem „Übergewand“ (Klick aufs Bild vergrößert es).
Den Ausschnitt fertigstellen
- Zieht die Chemise wieder aus, lasst sie auf links (!), und schneidet mutig euren mit Bleistift markierten Ausschnitt aus.
- Nehmt euch nun Stück für Stück den Saum eures Ausschnitts vor.
- Rollt dazu den Stoff zu einer ganz schmalen Wurst nach innen, also links.
- Klemmt euch diese Stoffwurst über den Zeigefinger und fixiert den Stoff mit dem Daumen derselben Hand.
- Mit der freien Hand näht ihr die Stoffwurst nun fest (Technik: Felling), indem ihr immer einmal in die Stoffwurst eintaucht und dann in den Stoff daneben (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
- Dafür fehlt euch Zeit oder Geduld? Schlagt den Saum so schmal wie möglich ein, bügelt ihn glatt, schlagt ihn nochmal ein. Fixiert ihn dann mit dem Geradstich eurer Nähmaschine.
Der letzte Schliff
Die einzigen offenen Stoffkanten unseres neuen Lieblingsstücks sind nun noch: Ärmelsaum 1, Ärmelsaum 2 und der Chemise-Saum ganz unten.
- Damit diese Säume nicht ausfransen, müssen wir sie doppelt einschlagen, festpinnen und festnähen (Klick auf die Bilder vergrößert sie).
- Von Hand könnt ihr hierfür wieder den Back Stitch wählen. Mit der Maschine reicht der Geradstich.
- Achtet aber in beiden Fällen darauf, dass ihr die Naht dicht an der Umschlagkante setzt und nicht in der Mitte des Umschlags. Und: Die Chemise ist immer noch auf links gedreht.
- Es führt (übrigens immer) zu gleichmäßigeren und professionelleren Ergebnissen, wenn ihr die umgeschlagene Partie vor dem Nähen einmal glattbügelt!
Errungenschaft freigeschaltet!
Herzlichen Glückwunsch: Ihr habt ein neues Kleidungsstück, an dem ihr sicher viel Freude haben werdet. Und ganz sicher habt ihr bei der Herstellung auch einige Fortschritte im Nähen gemacht! Kombinieren könnt ihr die Chemise jetzt mit Kleidern, mit Röcken, mit Korsetten – oder ihr tragt sie einfach so (Klick auf die Bilder vergrößert sie). Wir sehen uns auf der nächsten Con!
Dieser Artikel ist erschienen bei:
Zauberwelten-Online.de