X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

Der letzte Traum

Ein Roadtrip nach dem Untergang

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Literatur

Zombies, ein Virus, die letzte Bombe, ein Komet oder ein ganz banaler Weltkrieg. Die Szenarios einer Postapokalypse sind altbekannt. Lässt man Horrorautorin Faye Hell an das Thema, kann man sich jedoch sicher sein, dass es etwas anders wird. Und in der Tat. Hier sind es keine Schlurfer, ist es keine Regierungsverschwörung oder ein anderes menschliches Unheil, sondern sind es Träume, die den Tod bringen. Wieso? Nun, das interessiert Hell in Der letzte Traum weniger als das, was es mit uns Menschen macht, wenn wir die Tiefschlafphase wie die Pest meiden müssen ... 

Man muss schon tief graben, um einen vergleichbaren Grund für eine Apokalypse zu finden. Dass der Tod aus dem Schlaf kommt, erweist sich aber als ein äußerst dramatisches und fruchtbares Setting. Immer von der Angst geplagt, dass der 8-Minutenschlaf doch eine Minute zu lange dauert und den letzten Traum mit sich bringt, haben wir hier die Bedrohung in ständiger Präsenz. Das Leben, der ganze Alltag der wenigen Noch-Nicht-Träumenden ist vom Kampf gegen die Müdigkeit geplagt. Mit Weckern, koffeinhaltigen Getränken, Kälte und was ihnen sonst noch alles in den Sinn kommt, versuchen die letzten verlorenen Seelen so lange am Leben zu bleiben wie möglich. So etwa auch unsere namenlose Protagonistin, die sich mit einem an einem blauen Band um den Hals hängenden und Stromstöße verteilenden Wecker am Leben hält.

Ich darf nicht schlafen …

Der Kampf gegen die Müdigkeit allein bietet spannende, interessante Situationen, die wir zudem aus eigener Erfahrung kennen. Allein beim Letzten Traum hatte ich immer wieder damit zu kämpfen, noch eine Seite mehr zu lesen, obwohl mir die Augen zufallen wollten. Nicht, weil das Buch langweilig wäre, sondern weil man es am liebsten nicht mehr aus der Hand legen würde und noch ein Kapitel mehr lesen möchte. Und noch eins … und …

Während es der Autorin gelingt, mit der Angst vorm Schlaf eine bekannte und omnipräsente Bedrohung aufzubauen, belässt sie es natürlich nicht dabei. Vielleicht hätte ich präziser sein sollen: Nicht der Schlaf selber ist die Bedrohung, sondern der Traum. So schaffen es die Menschen, mit Powernaps am Leben zu bleiben, wobei sich langsam die Grenzen zwischen Schlaf und Wachsein verschieben. Darüber hinaus arbeitet Hell bewusst mit der Doppeldeutigkeit des Traumes. Nicht nur die somalischen Träume sind verschwunden, sondern auch die Träume im Sinne von Visionen und Hoffnungen. Und hier wird es ebenso allegorisch wie spannend. Mit nur wenigen Tagen Überlebensperspektive beginnen die Menschen ihre kühnsten und abstoßendsten Träume in die Wirklichkeit zu bringen. Sie reisen per Fahrrad über den halben amerikanischen Kontinent, leben ihre unmoralischsten sexuellen und gewalttätigen Phantasien aus und verwandeln die Welt in eine Hölle gefüllt mit Sinnsuchenden.

Posthorror

Hier verlässt Hell fraglos die klassische Postapokalypseerzählung. Es geht weniger um die Gesellschaft nach dem Traum, weniger um das Überleben oder weltliche Machtkämpfe, als die Sinnsuche. Das schlägt sich auch in der Handlung nieder, die nah daran vorbeikratzt, keine Handlung mehr zu sein. Unsere fahrradfahrende Protagonistin macht sich auf einen Roadtrip, an dessen Seite sie eine Reihe an überzeichneten Menschen trifft, die ihr ihre Geschichten erzählen. Wundert man sich beim ersten und zweiten Treffen noch über den wunderbaren Zufall, dass die Protagonistin ungeplant in diese eigensinnigen Begegnungen gerät, akzeptiert man recht schnell, dass es hier nicht um einen Plot geht, sondern um Menschen und ihre Schicksale. 

Als erste Annäherung kann man das Buch auch als eine durch eine Rahmenhandlung lose verknüpfte Sammlung von etwa sieben (je nachdem, wie man zählt) Kurzgeschichten betrachten. Dabei nimmt der Rahmen aber einen zunehmend wichtigeren Stellenwert ein und es kommt – für so ein postmodernes Werk eher ungewöhnlich – sogar zu einer Art echter Auflösung. Einer Art … ich will nichts Falsches versprechen. 

Da alle Erzählungen vor dem gleichen Hintergrund spielen und für sich unfassbar interessant gestaltet sind, hängt es aber auch nicht am Rahmen. Hier finden sich für sich betrachtet bereits faszinierende, einfühlsame und grauenvolle Erzählungen von Menschen, die sich mit der Apokalypse und ihrem Tod abfinden müssen.

Gefühlvolle Folter

Der Begriff Hell ist bei Faye Hell Programm. Man darf nicht vergessen, dass es sich beim Letzten Traum auch um das Werk einer Horrorautorin harter Schule handelt. Die Content Notes allein umfassen Seiten und das zurecht. Hier wird auf der Ebene psychologischer und sexualisierter Gewalt einiges aufgefahren. Hell ist längst darüber hinweg, ihr Können durch besonders krasse Szenen unter Beweis zu stellen. Nichtsdestotrotz kann es hier mitunter hart zugehen und einem den Magen zuschnüren. Nicht zuletzt, weil sie die leidenden Charaktere liebevoll zeichnet und lange Phasen der Ruhe und fast Harmonie aufbaut. Habe ich schon gesagt, dass Hell ihr Handwerk versteht?

Mit der Liebe ist dabei schon etwas Wichtiges gesagt. Man spürt, dass die Autorin mit ihren Charakteren leidet, sie auf eine gewisse Weise liebt und das Leid, was sie ihnen antut, noch in der gleichen Sekunde bereut. Es geht ihr um die schamlose, morallose Darstellung von postapokalyptischer, (un)menschlicher Wirklichkeit. Nicht um diese als Leinwand für krasse Szenen zu missbrauchen und sich in Elend und Exkrementen zu suhlen, sondern als künstlerisches Mittel. Horror und harte Sprache sind hier kein Selbstzweck, sondern der Versuch, die Wirklichkeit befreit von der Moral zu denken. Das gelingt ihr wie keiner Zweiten, muss man aber erstmal wissen. Wer sich gewisse Härten nicht zumuten will, der*die wird mit dem Buch nicht glücklich.

Will man Kritik suchen, kann man auch das erstaunlich offen kommunizierte Ende nennen. Hier spielt Hell mit offenen Karten, was mutig aber auch etwas ernüchternd ist. Nicht umsonst verstecken sich viele (post-)moderne Fragmentromane hinter einem Schleier aus ominösen Mystizismus. 

Auch hätte mir ein stärkerer Blick auf die Gesellschaft nach dem Traum gefallen. Der Kampf gegen die Müdigkeit tritt mir im Verlauf etwas zu sehr in den Hintergrund und wird in der letzten Etappe sogar unberechtigterweise stark vernachlässigt. Das sind aber Schönheitsfehler, die einfach Ausdruck davon sind, wie sich die Geschichte der Vision der Autorin beugt. Dennoch: Wer es strikt logisch und realistisch will, wird hier seine enttäuschenden Momente finden.

Weitere Artikel: