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Was wäre gewesen, wenn …?

Melanie Vogltanz im Genretalk über Historische Fantasy

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Kategorie: Literatur

Geschichte ist Geschichte. Solange es keine Zeitreisen gibt, ist was passiert ist, nun einmal passiert. Aber was wäre, wenn es doch anders gekommen wäre? Historische Fantasy stellt sich ähnlich wie die Alternative History die Frage, wie unsere Welt aussehen würde oder ausgesehen hätte, wenn es doch anders gekommen wäre. Das muss nicht nur ein anderer Ausgang eines Krieges – wir denken an Philip K. Dicks Orakel vom Berge –, sondern kann auch das Übersinnliche sein. In vielen ihrer Werke verbindet Melanie Vogltanz Geschichte mit phantatsischen Elementen. Ein perfekter Anlass, um uns einen kleinen Überblick in ein spannendes Sub-Genre der Fantasy zu bieten ...

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Liebe Melanie, du bist eine preisgekrönte Phantastikautorin aus dem äußerst umtriebigen Wiener Literaturumfeld. Du schreibst Science-Fiction, Dark Fantasy und unter Pseudonym auch härteren Horror. Alle deine Werke sind – soweit ich sehe – der Phantastik zuzuschlagen. Wie kamst du denn zur Phantastik und was sollte man sonst noch über dich wissen?

Melanie Vogltanz: Phantastik ist das Genre, in dem ich meine ersten Gehversuche gemacht habe. Wie die meisten Autor*innen habe ich angefangen, zu schreiben, was ich gerne lesen wollte, und das ging immer schon mit dem Übernatürlichen, Geheimnisvollen und Wundersamen einher. Später hat sich mein Fokus dann ein wenig verschoben – meine Science Fiction-Bücher etwa haben nichts Übernatürliches mehr an sich und manche meiner Horror-Bücher nur noch anteilig –, aber mit diesem Hintergrund zu schreiben, fühlt sich immer noch sehr wie nach Hause kommen an.

Andreas (ZW): Heute wollen wir über historische Fantasy sprechen. Ich möchte dazu gerne einen Schritt zurückgehen. Du schreibst in vielen phantastischen Genres. Was zeichnet für dich dabei die Fantasy aus? Was kannst du darin verwirklichen, was in den anderen Genres nicht geht?

Melanie: Fantasy ist für mich das Genre, das die meisten Freiheiten, aber auch die meisten potenziellen Stolpersteine bietet. Hier ist wirklich die Vorstellungskraft das einzige Limit, und das schafft unendliche Möglichkeiten – aber auch unendliche Quellen für Wege, sich zu verzetteln. Ich bewundere Autor*innen, die groß im Weltenbau sind und ganze Universen aus dem Boden stampfen, die alle Regeln neu erfinden und sich ihre eigene Welt aus Papier bauen, in der sie dann ihre Geschichten erzählen. Ich selbst bin da eher gemäßigter unterwegs und orientiere mich auch bei phantastischen Geschichten eher an bereits vorhandenen Welten – gegenwärtige, vergangene oder zukünftige. Meistens unterscheiden meine Welten sich nur in wenigen Punkten von dem, was wir kennen.

Andreas (ZW): Nun wollen wir heute über historische Fantasy reden. Ist das kein Widerspruch? Was macht denn Fantasy für dich zur historischen Fantasy?

Melanie: Wahrscheinlich könnte man auch von alternativer Geschichte sprechen – was wäre gewesen, wenn …? Das ist meistens die Frage, die ich mir stelle, wenn ich einen historischen Stoff herannehme und mit phantastischen Elementen aufbereite. Was wäre gewesen, wenn Wien im Jahre 1365 einen plötzlichen, unerwarteten Einfall von Vampirwesen erlebt hätte? Was wäre gewesen, wenn eine gewisse Gräfin Báthory vor ihrer Hochzeit ausgetauscht worden wäre, durch eine andere Person, die gänzlich andere Pläne mit der Grafschaft hatte? Was wäre gewesen, wenn ein Medici es sich zur Aufgabe gemacht hätte, übernatürliche Kräfte in der Welt auszulöschen? Ich persönlich versuche dabei, relativ nahe an der bekannten Geschichte zu bleiben – das historische Element ist also vorhanden, es gibt historische Persönlichkeiten und die Daten stimmen weitestgehend, ebenso die vorhandenen technischen Möglichkeiten. Aber etwas ist anders, und dieses Etwas ist übernatürlich, in meinen Fällen oft düster und immer bedrohlich.

Ich wage zu behaupten, dass auch viele Bücher aus dem Steampunk-Genre nach ähnlichen Konzepten funktionieren: Auch hier wird oft die vorhandene Geschichte hergenommen und mindestens ein Element wird verändert (meistens das frühe Einführen von Dampfkraft oder anderen technischen Möglichkeiten). 

Andreas (ZW): Vermutlich würdest du den Klassiker der Fantasy, den Herrn der Ringe, nicht zur historischen Fantasy zählen. Ex negativo gefragt: Welche Elemente disqualifizieren das Epos denn als historische Fantasy?

Melanie: Sowohl Herr der Ringe als auch Game of Thrones disqualifizieren sich in meinen Augen klar. Diese Werke orientieren sich z.T. durchaus grob an vorhandener Geschichte, aber: Da geht es nicht um ein Element oder um zwei. Sondern es handelt sich um Welten, die mithilfe von einzelnen, herausgepickten Elementen völlig neu errichtet werden, die sich vielleicht von Vorhandenem inspirieren lassen, aber etwas gänzlich Selbstständiges darstellen. Es gibt keinerlei realen Fixpunkte in der Geschichte dieser Welten, keine realen historischen Persönlichkeiten, nur dieses diffuse Gefühl von “das war einmal” oder “das könnte einmal gewesen sein”. Ich würde also sagen: Quasi-historisch kann man beides vielleicht nennen, aber historisch, wie ich das für mich definieren würde, eindeutig nicht.

Andreas (ZW): Was wären für dich die großen Namen des Sub-Genres? Und was ein gutes Einstiegsbuch?

Melanie: “Große” Namen sind immer so eine Sache, aber Empfehlungen gebe ich sehr gern. Ich hatte vorhin schon kurz angeschnitten, dass ich im Moment die stärksten Entwicklungen in dieser Richtung im Steampunk-Genre sehe. Ich würde da gern auf eine Anthologie verweisen, die extrem detailliert mit nur einem Element (“Knochenmagie”) einen ganzen Zyklus von historischen Geschichten aufgebaut hat, die sich über mehrere Epochen zieht, nämlich Steampunk Akte Asien aus dem Art Skript Phantastik Verlag, herausgegeben von Grit Richter und dem (und das merkt man der Antho an) Historiker Fabian Dombrowski. Da wird dieses Konzept wirklich auf ein neues Level gebracht. Andere Bücher, die ich in letzter Zeit gerne gelesen habe und die in diese Richtung gehen, sind die Galgenmärchen von Nora Bendzko, von denen es schon mehrere Bände gibt.

Andreas (ZW): Du bist sehr engagiert wenn es um Repräsentation und Diversity geht. Vermutlich kennen viele das Argument, Sexismus in Fantasy Welten sei nun einmal historisch korrekt. In einer Welt voller Drachen und Magie ist sowas natürlich offenbarer Unsinn. Aber trifft das Problem nicht bei historischer Fantasy wirklich zu?

Melanie: Die kurze Antwort ist: Nein. Die lange Antwort würde etwas viel Raum einnehmen, also versuche ich mich irgendwo in der Mitte einzupendeln. Sowohl Rassismus als auch Sexismus sind Themen, mit denen man sich auf die eine oder andere Weise auseinandersetzen muss, wenn man unsere Welt als Handlungsschauplatz erwählt, daran gibt es traurigerweise nichts zu rütteln. Wobei „auseinandersetzen” natürlich auch bedeuten kann, dass man es ausblendet oder unreflektiert bestimmte Tropes übernimmt. Beides möchte ich in meinen Büchern nicht tun. Wichtig ist, zu erkennen, dass Geschichte viele Facetten hat, auch wenn das oft ein wenig in den Hintergrund rückt, weil sie meist aus immer derselben Perspektive erzählt wird. Frauen wurden nicht erst 1970 erfunden, PoC auch nicht. Sie waren immer schon da, nur manchmal muss man bei der Recherche etwas tiefer graben, um sie zu finden und ihnen gerecht zu werden. Ich bin sehr dafür, hier ganz klar zu trennen, zwischen der sexistischen Darstellung einer Figur und der Darstellung von Seximus. Da gibt es einen großen Unterschied in meinen Augen.

Andreas (ZW): Was kann denn dann insbesondere die historische Fantasy als Beitrag zu dieser Debatte leisten?

Melanie: Ich will da meine persönlichen Prioritäten nicht auf das gesamte Genre umwälzen, aber ich denke, historische Fantasy hat sehr viel Potenzial, Perspektiven der Geschichte, die in allgemeinen Darstellungen oft zu kurz kommen, zu beleuchten und neue Blickwinkel zu schaffen. Dadurch, dass man in diesem Genre die Möglichkeit hat, die eine oder andere Regel zu biegen, entsteht vielleicht auch ein verschärftes Bewusstsein für problematische Tropes und Dynamiken.

Andreas (ZW): Wenn du dir in der Fantasyszene eine Sache wünschen dürftest: Was sollte sich ändern?

Melanie: Uff, das ist eine harte Nuss! Ich denke, Offenheit wäre eine Sache, die ich mir wünschen würde. Dass die Szene sich für neue Entwicklungen öffnet, wie es im englischsprachigen Raum schon sehr lange üblich ist, und Neues begrüßt, nicht gleich abwehrt. Dann hätten wir vielleicht auch mal wieder große Titel in der deutschsprachigen Großverlagsphantastik, die nicht immer dieselben Geschichten erzählen, und würden als Genre wieder relevanter und interessanter für Leser*innen außerhalb der Szene werden. Es gibt bereits Entwicklungen, die in diese Richtung gehen, und das ist toll – aber wir haben da noch einen weiten Weg vor uns.

Andreas (ZW): Kommen wir noch einmal auf deine eigene Arbeit zu sprechen. Welche deiner Werke würdest du der historischen Fantasy zuschreiben? Und was faszinierte dich genau daran, historische Aspekte aufzugreifen?

Melanie: Meine Reihe Schwarzes Blut sowie das Spin-off dazu, das Weißer Wolf heißen wird. Ich habe noch einige Projekte in dieser Richtung in der Schublade, grundsätzlich würde mir der Stoff für dieses Genre nie ausgehen! Faszinierend finde ich daran, dass sich viele Geschichten, wenn man nur lange genug sucht, oft ganz von selbst erzählen. Die Elemente sind längst vorhanden: in historischen Büchern und Aufzeichnungen, aber auch in der Mythologie und in Legenden, die Menschen sich schon immer und überall erzählt haben. Oft fügen sich Dinge beim Schreiben dann auf eine Weise, die fast ein klein wenig magisch anmutet. Und das ist eine Art des Schreibens, die sich sehr genieße.

Andreas (ZW): Zuletzt würde mich ein Ausblick freuen. Welchen Preis möchtest du denn als nächstes gewinnen. Oder ehrlicher gefragt: Was können wir von dir 2021 erwarten?

Melanie: *lacht* 2021 wird noch einiges passieren. Im Mai erscheint ein Horrorroman von mir, mit dem Titel Die letzte Erscheinung – ganz anders als alles, was wir heute besprochen haben. Da geht es um Wahrnehmung, um Schicksal, um böse Omen – und es wird sehr düster.

Was hier vielleicht besser in unseren Kontext passt, ist die Neuauflage der Alfio-Bücher, die den Reihentitel Weißer Wolf tragen werden. Der erste Band ist für April angesetzt, wobei ich da immer mit Vorbehalt ankündige, da sich zurzeit angesichts der aktuellen Situation vieles verschiebt. Hier geht es genau um das besprochene Genre: Um das Schicksal eines Wolfswandlers, den es erst ins London des Jahres 1888 verschlägt, später nach New Orleans und schließlich in ein Wien der 20er Jahre.

Nebenbei laufen noch viele andere spannende Projekte, für die ich noch keine genauen Daten nennen kann. Besonders freue ich mich auf einen Roman, der viel mit altägyptischer Mythologie arbeitet, ein Gemeinschaftsprojekt mit der Autorin Jenny Wood, auf dessen Publikation ich mich schon sehr freue und der im Art Skript Phantastik Verlag erscheinen wird.

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