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Der Unsichtbare

Ein SciFi-Klassiker von H.G. Wells

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Kategorie: Literatur

Neben dem Krieg der Welten oder der Zeitmaschine ist Der Unsichtbare – Original: The Invisible Man – vermutlich H. G. Wells’ bekannteste Geschichte. Mit einer illustrierten Neuübersetzung soll die bereits 1897 erschienene Geschichte nun, mehr als 100 Jahre später, einem neuen Publikum vorgestellt werden.

Wells arbeitet – wie auch im Krieg der Welten – gerade zu Beginn mit der Entdeckung des Unbekannten als Spannungsmittel. Da das Geheimnis aber eh immer schon offen liegt und sich der Reiz der Geschichte nicht aus dieser Enthüllung ergibt, kommt eine Inhaltsangabe zwar nicht ohne Vorwegnahmen aus, sollte den Lesegenuss jedoch nicht schmälern.

Gerüchte und Konflikte

Der Unsichtbare beginnt mit einem geheimnisvollen Fremden, der mit tief ins Gesicht gezogenem, breitkrempigem Hut in die Gaststätte Coach and Horses einzieht. Mit Nachdruck und etwas klingender Münze sorgt er für Abgeschiedenheit und Unmut bei den anderen Dorfbewohnern. Grundsätzlich wissen wir über mehrere Kapitel nicht, dass der geheimnisvolle Fremde unsichtbar ist. Stattdessen haben wir es mit einem in Bandagen, schwerer Kleidung und einer getönten Brille verkleideten Sonderling zu tun. Nun, genau genommen wissen wir nicht einmal, dass es sich hier um eine Verkleidung handelt. So dürfen wir mit den Bewohnern des beschaulichen Dörfleins Iping in West-Sussex über weite Strecken darüber spekulieren, ob der Fremde entstellt, schwer verwundet oder eben noch Seltsameres ist.

Dieses Spiel mit dem Unbekannten ist gut inszeniert und die zahlreichen möglichen Erklärungen und Deutungen halten die ersten Kapitel spannend. Grundsätzlich wird durch eine indirekte Erzählweise und sich ergänzende Berichte und Perspektiven ein sich langsam entfaltendes Rätsel präsentiert. Von dem Rätsel bleibt aber letztlich nur das Staunen über plausible Alternativerklärungen, da wir, wie bereits gesagt, die Lösung natürlich durch den Titel oder allerspätestens beim Titelbild erahnen. Es ist eigentlich unmöglich, nicht zu wissen, dass es sich beim Fremden um den Unsichtbaren handelt, ebenso wie im Krieg der Welten wohl kaum jemand überrascht war, als Aliens auf die Erde kamen und anderes als Frieden im Sinn hatten.

Auch wenn mir nicht einleuchten will, wieso Wells über mehrere Kapitel ein Geheimnis lüftet, dessen Lösung er in großen Lettern auf den Buchumschlag drucken lässt, bleiben diese Kapitel trotzdem spannend. Das gelingt, weil das zelebrierte Geheimnis eigentlich nicht den Kern der Geschichte ausmacht. Obwohl es immer wieder neue Rätselschichten gibt, sind diese nicht das, was eigentlich zum Lesen motiviert. Zwar interessiert uns durchaus, wie Griffin – selbst sein Name wird uns erstaunlich lange verheimlicht, tut aber eigentlich gar nichts zur Sache – denn jetzt genau unsichtbar wurde, die pseudowissenschaftliche Erklärung ist aber sicher kein Grund, um das Buch in die Hand zu nehmen. Wells’ Roman funktioniert vielmehr dadurch, dass er den Blick zuerst auf die Spekulationen und Reaktionen der Bewohner richtet. Die entstehenden Gerüchte und Erklärungen, das Verleugnen des offensichtlich Unsichtbaren, machen den ersten Reiz aus und leiten alsbald in resultierende Spannungen und handfeste Konflikte über. Wirklich stark und im wahrsten Sinne ein „düsterer Klassiker“ wird der Roman schließlich, wenn es an die Motivation und Entwicklung von Hauptcharakter Griffin geht. Hier stehen die moralischen Fragen, aber auch die praktischen Konsequenzen der Unsichtbarkeit im Mittelpunkt.

Diese werden auch im Vorwort von Literaturwissenschaftler Thomas Allan Shippey (St. Louis University) herausgearbeitet. Sein knappes, aber dennoch höchst interessantes Vorwort macht gut recherchiert Lust auf das Buch. Es bleibt jedoch nicht lange bei einer Kontextualisierung oder der Angabe spannender Fragen stehen, sondern nimmt eine umfassende Deutung des Buches vor. Shippey begründet seine Interpretation – wie es sich für einen Akademiker gehört – dabei recht „nah am Text“, was die grobe Handlung, einige Kernszenen und sogar das Ende vorwegnimmt. Das setzt dem eh schon schwachen Überraschungseffekt des Buches leider noch einmal merklich zu, da damit so ziemlich jeder gebliebene Wendepunkt vorhersehbar ist. Das Vorwort hätte sich also eher zum Nachwort geeignet und sollte daher eindeutig nach und nicht vor der Lektüre gelesen werden. Ärgerlich.

Davon ab ist die im Vorwort verhandelte Diskussion – eben die Moralität und die Limitationen von Unsichtbarkeit – durchaus interessant und hilft bei der Einordnung des Buches. So wird beispielsweise Platons Moralgleichnis vom Ring des Gyges angeführt und sogar eine auf Platon anspielende Stelle in Wells’ Text aufgeführt. Es klingt aber doch etwas anmaßend, wenn Shippey dem wohl wichtigsten Philosophen aller Zeiten – eben keinem geringeren als Platon – etwas gönnerhaft zugesteht, das dieser zwar ein großer Philosoph gewesen sein mag, er das Problem der Unsichtbarkeit jedoch noch nicht recht durchdacht hätte. Sicher, Platon buchstabiert die möglichen Probleme die mit Unsichtbarkeit im Alltag einhergehen nicht aus, das Argument des Vorwortes verfehlt den Philosophen aber deutlich. So kann die Unsichtbarkeit von Gyges eben in Form des namensgebenden Ringes abgelegt werden, wohingegen diese bei Wells gerade dadurch zum Problem und Fluch wird, dass er sie eben nicht nach Belieben an oder ausschalten kann …

Wells’ Stärken liegen – wie die seines Hauptcharakters – in seiner Experimentierfreude und Beobachtungsgabe. Ohne sich allzu viel um wissenschaftliche Erklärungen zu kümmern, führt er das Phänomen der Unsichtbarkeit ein und beobachtet, was passiert, wenn ein unsichtbarer Mensch auf die Welt losgelassen wird. Ebenso wie Wells schauen wir fasziniert zu, wie unser sinisterer Protagonist die ersten Schritte in die vermeintliche Freiheit tut und wie er ebenso banale wie scheinbar unlösbare Probleme angeht. In diesem Prozess entwickelt sich Griffin in eine zunehmend problematische Figur, die gen Ende sogar sozialkritische Dimensionen offenlegt. Dem Vorwort zu Folge liegt hier eine weiterhin bestehende Aktualität des Romans vor. Die ist meines Erachtens jedoch ähnlich flach und antiquiert wie Wells’ stellenweise durchscheinender Antijudaismus. Unsichtbarkeit wird – ohne etwas von der Handlung vorwegzunehmen – mit Hinterzimmerpolitik identifiziert. Was das mit „Macht durch Unsichtbarkeit“ zu tun hat, bleibt aber unklar. Wir haben es daher keineswegs mit einem brandaktuellem Kommentar auf unsere Gegenwart zu tun, in der politische Abgründe eher poppig sichtbar werden, als sinister-subtil zu bleiben, sondern lediglich mit einem Klassiker düsterer Science Fiction. Und das ist ja durchaus Grund genug, um das Buch in die Hand zu nehmen.

Die Neuauflage

Mantikores Neuauflage macht haptisch und im Bücherregal einiges her. Insbesondere das stilvolle, etwas abstrakte Cover macht Lust, das Buch in die Hand zu nehmen. Man hat sich aber natürlich nicht mit einem neuen Cover und dem Neuabdruck einer bereits existierenden Übersetzung begnügt, sondern neben Illustrationen auch eine frische Übersetzung vorgelegt. Die Bebilderung lockert den ohnehin schon angenehm großzügigen Textsatz auf, hält aber nicht die Qualität der Coverillustration. Die nicht einmal zehn Zeichnungen passen vom Stil her eher in ein Rollenspielbuch, heben die Schlüsselszenen aber gelungen heraus und verfehlen den Ton der Geschichte nicht.

Die neue Übersetzung liest sich weitgehend flüssig und ist näher am Original als ältere Versuche. Manchmal schlägt der trockene und etwas verschachtelte Stil des Originals jedoch zurück. Hier hätte etwas mehr Freiheit oder gar die ein oder andere erklärende Fußnote gut getan. So ist der Stil dann stellenweise doch etwas sperrig und muss der ein oder andere Schachtelsatz zweimal gelesen werden. Auch gelegentliche fragwürdige Übersetzungsentscheidungen lassen die Immersion ab und an stocken. Grundsätzlich liest sich die Neuübersetzung jedoch gut, lediglich ein paar Kanten hätten geschliffen werden müssen. Das gilt in besonderer Schärfe für das Lektorat. Ist manch ein unsauberer Satz noch verzeihlich, wären offenbare Flüchtigkeitsfehler mit etwas mehr Aufwand problemlos vermeidbar gewesen. Nur wenige der immerhin 28 kurzen Kapitel kommen ohne irgendeinen kleinen Fehler aus. Statt einer rundum gelungenen Neuausgabe bleibt daher ein durchaus liebevoller Versuch, der jedoch durch das spannungsraubende Vorwort und einige unnötige Fehler angekratzt wird.

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