Die Grundannahme von Krieg der Welten ist ebenso bekannt wie die einprägsame Gestalt von Wells dreibeinigen Invasoren: Eine außerirdische Rasse versetzt die Erdenwelt mit überlegener Technologie in Kriegszustand. Auch wenn Titel und Popkultur die Überraschung vorwegnehmen, bleibt die Erzählung spannend. Die Ankunft der Invasoren und der drohende Krieg sind ab der ersten Seite kaum ein Geheimnis, dennoch sind ihre genaue Gestalt und Denkweise, sowie ihr Plan ein durchgehendes Mysterium. Insbesondere die Anfangskapitel motivieren durch das langsame Auftreten der Invasoren zum hastigen Weiterlesen.
Der Fokus des Buches liegt auf einer fast analytischen Betrachtung der Geschehnisse aus Sicht eines Protagonisten und seines Bruders. Die persönliche Konfrontation mit den Angreifern sorgt für ausreichend Spannung und Involviertheit, ist aber im Endeffekt nur ein Anlass, um die Außerirdischen und die damit einhergehenden Veränderungen auf der Welt zu beobachten. Der Fokus der Erzählung liegt eindeutig auf den Invasoren und der Reaktion der Gesellschaft auf deren Ankunft. Faszinierend wird der Krieg der Welten insbesondere da, wo die erst naiv-begeisterte und dann panische Reaktion auf die Neuankömmlinge beschrieben wird. Dass das letzte Ziel der seltsamen Geschöpfe im Verborgenen bleibt, trägt ebenso zur Spannung bei.
Auch wenn man meint, das Buch schon längst aus popkulturellen Referenzen zu kennen, bietet es eine weitaus komplexere Erzählung und genug Überraschungen um nicht langweilig zu werden. Das gilt auch und gerade für den eher unbekannten zweiten Teil der Erzählung, der sich intensiver mit den Nachwirkungen des Krieges und der Gestalt und Kultur der Ankömmlinge befasst.
Zukunft von Gestern?
Doch kann uns eine über hundert Jahre alte Erzählung über eine Alieninvasion heute noch etwas sagen? Hat unsere Wirklichkeit nicht vielmehr die Zukunftsvisionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts längst überholt? Sicherlich, das Alter des Romans ist nicht immer zu übersehen, die Rolle der Tagespresse, der langsame Informationsfluss, die als Fluchtfahrzeuge genutzten Pferdedroschken und die Husarenbataillone erinnern immer wieder dran, dass Krieg der Welten aus einer anderen Zeit stammt. Da Wells jedoch keine Zukunftsgeschichte geschrieben hat – die vermutlich von Smartphones und Virtual Reality Interfaces der Gegenwart wirklich längst überholt worden wäre –, ist die Kriegserzählung erstaunlich gut gealtert.
Der Fokus des Buches liegt auf der Invasion und der Auseinandersetzung mit den fremdartigen Geschöpfen, die ein beständiges Mysterium bleiben. Die Fremdartigkeit der Aliens besticht weniger durch technische Visionen, die zuweilen eher an Fantasytechnologie erinnern, als dadurch, dass sie etwas ganz anderes sind als bunt angemalte Menschen mit komisch geformten Ohren.
Science Fiction im engeren Sinn wird das Buch dadurch, dass die Invasion die (damalige) englische Gegenwart mit einem Schlag umkrempelt und Wells sich bemüht, die Motivation und „Funktionsweise“ der interstellaren Gestalten wissenschaftlich plausibel zu gestalten. Kleinere Querverweise auf wissenschaftliche Magazine der Zeit und der Versuch des naturwissenschaftlich profunden Protagonisten, die fremden Geschöpfe zu erklären, zeigen wie Wells versucht, ein Gefühl von Glaubwürdigkeit zu erzeugen.
Die Neuauflage
Dem Mantikore-Verlag ist es gelungen, den Klassiker modern auftreten zu lassen. Die außerirdischen Tripods auf der Umschlagseite und den Innenillustrationen sind nah an die Beschreibung von Wells angelehnt, wirken durch eine abstrakte Darstellung dennoch nicht altertümlich. Auch wenn die neu angefertigten Innenillustrationen etwas an klassischere Rollenspielbebilderung erinnern, begleiten sie den Band gelungen und sind im Vergleich zu früheren Illustrationen für heutige Leser plausibler. Deutlich stärker konnten mich jedoch die Titelillustration und fünf weitere Abbildungen begeistern, die dem Buch als Postkarten beigelegt sind. Die im Stil unterschiedlicher Filmplakate und Kunststile gehaltenen Zeichnungen sind zu schade zum Verschicken und fast alleine eine Kaufempfehlung wert.
Entscheidender ist aber fraglos das Buch selbst. Satz und Aufmachung sind makellos und führen zu einem angenehm schnelllebigen Lesevergnügen. Die kurzen Kapitel fangen großzügig auf je neuen Seiten an und der Textsatz ist nicht gedrängt. Der Übersetzung selber gelingt ein sauberer und gut zu lesender Schreibstil. Zudem wird mit gelegentlichen Fußnoten da weitergeholfen, wo unser heutiges Alltagswissen aufhört. Auch das Vorwort unterstützt kurz und knackig bei der Einordnung des Buches. Wer den Klassiker schon immer einmal auf Deutsch lesen wollte, kann und sollte daher bedenkenlos zur Neuauflage greifen.
Krieg der Welten
H. G. Wells (Jan Enseling)
(Mantikore, 2017)
296 Seiten, Softcover
ISBN: 978-3-945493-86-1
Webseite: Krieg der Welten bei Mantikore