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Shinigami

Cyberpunk in krass

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Kategorie: Literatur

Mario Steinmetz ist Cyberpunk-Fan der frühen Stunde. Bereits 1985 hat er das Rollenspiel Cyberpunk 2013 – richtig gelesen, damals war 2013 noch die Zukunft – für sich entdeckt. Und natürlich gehörten auch Klassiker der Cyberpunkliteratur wie Philip K. Dick und William Gibson zur literarischen Begleitmusik. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Steinmetz seinen eigenen Cyberpunkroman veröffentlichen sollte. Haben sich 36 Jahre warten gelohnt?

Ghost ist Edgerunnerin und eine Shintō, eine „Amerikanerin mit japanischen Wurzeln“. Die Militärveteranin trägt nicht nur einen ganzen verchromten Rucksack an unbearbeiteten Traumata mit sich herum, sondern lässt fast jede Spur an Idealismus vermissen. So nimmt sie fast jeden Auftrag an und fragt nicht groß nach dem Warum. Als sie eine horrende Summe für einen Kopfgeldauftrag angeboten bekommt, ist sie zwar skeptisch, aber motiviert, den Run durchzuziehen. Auge in Auge (oder Cyberoptik) mit dem Ziel entscheidet sie sich, den Spieß umzudrehen und mit der verfolgten Amy selber Jagd auf die Auftraggeber*innen zu machen. So entspinnt sich eine dramatische Story um zwei Underdogs, die es mit dem halben New Babylon aufnehmen und ihre Werte neu herausbilden.

Edgerunner und Cybermönche

Wie schon eingangs angemerkt, ist Mario Steinmetz Rollenspieler. Und das merkt man dem Buch auch an. Beide Hauptcharaktere, Ghost und die texanische Latina Amy Lucia Flores, kommen mit eigener Hintergrundstory und von Steinmetz‘ Tochter illustrierten Charakterporträts daher. Es würde mich nicht wundern, wenn Vater und Tochter auch  Charakterbögen der beiden in ihren Schubladen hätten. Darüber hinaus merkt man, dass der Autor seine persönliche Cyberpunkwelt nicht nur gelesen, sondern aktiv bespielt hat. Es sind die zahllosen Details am Wegesrand und die detailliert beschriebenen Alltagsprobleme, die New Babylon zum Leben erwecken. Man spürt einfach, dass hier viele Jahre Spielerfahrung mit hineinkommen. Man merkt allerdings auch, dass der Plot über Strecken einem Rollenspielansatz folgt. Die beiden Charaktere haben nicht nur erstaunlich viel Glück und sind den anderen Charakteren hoffnungslos überlegen, auch widmen sich lange Passagen relativ klassischen Runsequenzen. Das ist durchaus unterhaltsam, da Steinmetz einen knackigen, actionreichen Stil gewählt hat und die Szenen blutrot und dynamisch zeichnet. Allerdings lässt es in den Szenen dann etwas in Tiefe missen. Die baut sich auf, wenn Shinigami auf den Plan rückt, der „Gott des Todeswunsches“. Von Steinmetz technisch neuinterpretiert, baut das Buch eine komplexe mythologische Ebene auf, die sich im Cyberspace – der Matrix – entfaltet und mit den Neuronen der Charaktere spielt. Mit zahlreichen japanischen Inspirationsquellen angereichert, legt Steinmetz eine mythologische Ebene über die Geschichte, die dem Buch ein eigenes Kolorit verpasst. Nicht, dass die japanische Mythologie im Cyberpunk unbekannt wäre, aber die hier vorgelegte Deutung ist nochmal eine Spur ... nunja, krasser. Dabei entfalten sich immer wieder interessante philosophische Fragen, die wir vom Cyberpunkgenre durchaus kennen. Was ist der Mensch? Wie viel Technik kann ein Mensch vertragen, und macht uns eine Memoryspeicherung unsterblich?

Dabei ist der Informatiker Steinmetz besonders stark, wenn es um die technische Implementierung geht. Künstliche Intelligenz und Cyberpsychose werden hier äußert plausibel gezeichnet, und die Szenen in denen technische Implantate ausfallen, gehören für mich zu den plastischsten des Buches. Wenn die Augen durch Hochleistungskameras ersetzt werden, bietet das einen starken Vorteil. Bis eben die Technik ausfällt und es schwarz wird.

Hardcorepunk

Krass ist auch ein gutes Stichwort zur Sprache. Mario Steinmetz ist vor allen Dingen als Autor von härterer Gangart bekannt. Seine, etwa auch im szenebekannten Redrum Verlag veröffentlichten, Bücher, zeichnen sich durch Pornographie und heftige körperliche Gewalt aus. Er liebt es, mit den Eingeweiden der Leser*innen zu spielen. Verglichen damit ist Shinigami eine handzahme Katze. Und dennoch, wenn es an Kampfszenen oder die gelegentlichen Sexszenen geht, schaltet Steinmetz den Neuronenbeschleuniger an und wird expliziter, als man es vom Genre erwartet. Dabei passt der Ton durchaus zum kalten Chrom des Cyberpunks. Es ist plausibel, dass hier offen geflucht wird, der Sex härter ist und das Blut spritzt. Man muss es nur vorher wissen. Shinigami ist die etwas härtere Gangart und füllt damit vielleicht sogar eine kleine Lücke im Genre.

Leider fehlen mir dafür manchmal die etwas subtileren Töne. Auch wenn es der Weltenbau mit seinen vielen Details etwas abfedert, sind mir einige der Charakterentscheidungen einfach etwas zu simpel gezeichnet. Das zeigt sich für mich am eindrücklichsten bei der Liebe. Nicht nur, dass die Sexszenen ihren voyeuristischen Ton haben, auch bei der Liebe wird das Make Up einfach ein paar Zentimeter zu dick aufgetragen. In wenigen Stunden bildet sich hier eine Liebesgeschichte heraus, die als Sinnerfüllung des Lebens verstanden und der unauthentischen Welt von New Babylon entgegengestellt wird. Hier stößt das Buch an die Grenze seiner Glaubwürdigkeit, und ist es mir mitunter auch einfach etwas zu kitschig. 

Leider muss ich abschließend auch ein paar übersehene Tippfehler zu viel anmerken, wobei die moderne Technik des Print on Demands dazu führen dürfte, dass sich die Fehler nicht nur digital, sondern auch in der Buchversion ausradieren sollten. Ziemlich Cyberpunk, oder?

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