Dass es Lovecrafts Werke einmal bis in die Kinderzimmer schaffen würden, hätte sich der eigensinnige Altmeister wohl nicht träumen lassen. Der Ruf des Cthulhu für Leseanfänger versucht aber genau das: Eine Adaption von Lovecrafts vielleicht berühmtester Erzählung für das (Vor-)Schulalter.
Sehr gnädig jedoch,
ihr werdet es sehn,
ist unsere Schwäche,
ihn ganz zu verstehn,
den kosmischen Horror
der sich bald entrollt
und den ich bislang
geheim halten wollt.
Dass sich das Buch an ein jüngeres Publikum richtet, wird bereits beim Titelbild des A4-Hardcovers deutlich. Ein fast schon niedlicher Cthulhu verschränkt etwas abwartend seine Hände und konfrontiert die Leser*innen gleich mit dem – nicht ganz so schrecklichen – Schrecken des Bandes. Auch im Inneren setzt sich dieser Stil fort.
In einem klaren, kindertauglichen und fast lieblichen Stil wurde die Geschichte von Cthulhus Ruf mit Zeichnungen von R. J. Ivankovic illustriert. Im Zentrum stehen liebevoll gezeichnete Charaktere mit hohem Wiedererkennungswert. Durch diesen kann die in drei Akte aufgeteilte Geschichte gut zusammengehalten werden und ist auch für jüngere Leser*innen prinzipiell nachvollziehbar. Der Fokus auf die erzählenden Charaktere hilft außerdem, den Stoff noch etwas mehr ins Mythenreich zu verbannen und so weniger furchteinflößend zu machen. Alle Charaktere, bis hin zu den – hier ganz anders umgesetzten – Kultisten und dem großen Alten höchstpersönlich, sind außerdem grundsätzlich sympathisch umgesetzt.
Die Geschichte selber wurde stark gekürzt und in ein gereimtes Versmaß gebracht, sodass jede Doppelseite zwei oder drei „Strophen“ versammelt, die mit einer großformatigen Zeichnung illustriert werden. Zielgruppengerecht lehrt die Geschichte also nicht das Fürchten, sondern erzählt eine spannende Entdeckung, die die Phantasie anregt. Durch die – manchmal gewöhnungsbedürftig – gereimten Verse und die kindgerechten Zeichnungen ist es so gelungen, die Geschichte für ein junges Publikum anzupassen, auch wenn dabei natürlich die Tiefe des kosmischen Horrors etwas auf der Strecke bleibt.
Auch wenn es auf den ersten Blick absurd scheint, Kindern Erzählungen von tiefstem Horror vorzulesen, ist die Umsetzung kein Gimmick für Lovecraft-Fans. Das Buch ist wirklich altersgerecht umgesetzt worden und kann so tatsächlich ab dem Vorschulalter vorgelesen oder von Leseanfängern selbst gelesen werden.
Die Versstruktur und nicht ganz geradlinige Erzählung ist vielleicht nicht immer optimal kinderfreundlich, mit etwas Erklärung oder mehrfachem Lesen kann die Handlung aber auch von jüngeren Leser*innen nachvollzogen werden. Bei denen dürfte außerdem gut ankommen, dass es sich hier nicht um ein moralisches Buch handelt. Lovecrafts Erzählung ruft nicht zum Zähneputzen auf, regt aber dafür die Phantasie an und trainiert das Verständnis von komplexeren Handlungen und ist auf diese Art ganz ungezwungen „pädagogisch wertvoll“. Auch der leidige Rassismus von Lovecraft wurde gut vermieden. Die „Eskimos“ hätten zwar besser bezeichnet werden können, sind aber nicht abwertend exotisch dargestellt worden.
Einziger Wermutstropfen ist der Druck des Buches. Der wirkt zwar aufgrund starker Farben sehr gut, dadurch scheinen aber auf den zahlreichen weißen Seiten die Rückseiten durch, was den optischen Eindruck leider merklich abwertet.