Eine rätselhafte Uhr, ein Bombenanschlag auf Scotland Yard, London im späten 18. Jahrhundert – da wird jeder Steampunk-Fan hellhörig. Doch hält Der Uhrmacher in der Filigree Street von Natasha Pulley, was er verspricht? Der erste Roman der Britin erschien Ende September in der Hobbit Presse von Klett-Cotta.
Ende September erschien in der Hobbit Presse von Klett-Cotta Der Uhrmacher in der Filigree Street, der erste Roman der Britin. Erzählt wird die Geschichte von Thaniel Steepleton, der aus Pflichtbewusstsein heraus einem geregelten, aber auch eintönigen Job im Londoner Innenministerium nachgeht. Eines Abends findet er auf seinem Kopfkissen eine geheimnisvolle, goldene Taschenuhr. Als etwas später das Gebäude von Scotland Yard durch einen Bombenanschlag zerstört wird, ist es diese Uhr, die Steepleton auf mysteriöse Weise das Leben rettet. Unversehens wird er in die Ermittlungen einbezogen, die ihn in die Filigree Street und zu Keita Mori, einem japanischen Uhrmacher, führen.
Es ist kein alternatives viktorianisches London, in das Natasha Pulley ihre Leser*innen entführt. Ihr Szenario ähnelt eher dem London von Sherlock Holmes, wenn auch mit einer phantastischen Note. Steampunk-Elemente wie dampfgetriebene Maschinen und ähnliches sucht man vergebens, dafür gibt es intelligenten Clockpunk mit uhrwerkgetriebenen Spielzeugen wie dem entzückenden mechanischen Oktopus, der den Preis für die beste Nebenrolle verdient hätte.
Der Titel wurde in England und den USA hoch gelobt und tritt damit ein schweres Erbe an. Sprachlich spielt der Roman definitiv auf hohem Niveau, nicht umsonst hat Pulley in Oxford Englische Literatur studiert. Dabei ist ihr Stil seltsam unaufgeregt, selbst in spannenden oder emotionalen Momenten distanziert und sachlich – eben viktorianisch. Daher ist auch „mitreißend“, wie die New York Times urteilt, nicht wirklich das passende Schlagwort. Intelligent und innovativ trifft es da schon eher.
Der Uhrmacher in der Filigree Street ist kein Buch, aus dem man abends vor dem Einschlafen noch zwei oder drei Seiten liest, der Text verlangt von seinen Leser*innen doch mehr Aufmerksamkeit – anderes ist man vom Verlagsprogramm auch nicht gewohnt. Uhrwerke sind filigrane und hochtechnische mechanische Gegenstände, genau dies trifft auch auf den Roman zu. Wer eine leicht zu konsumierende Lektüre sucht, ist hier eher falsch. Dabei ist der Plot sehr fein gestrickt und besticht durch verdeckte Hinweise und unerwartete Entwicklungen. Steepleton ist als Charakter sehr schön gezeichnet und ein echter Sympathie-Träger. Anders verhält es sich bei Keita Mori, aus dem man nicht recht schlau wird – was jedoch mit seinen besonderen Fähigkeiten und dem zugrunde liegenden Weltenbau korrespondiert. Das Verhältnis zwischen Mori und Steepleton ist das tragende Element der Story, die weibliche Hauptfigur, Grace Carrow, scheint zuweilen als Frau, die sich gegen den Willen ihrer Eltern mit Wissenschaft beschäftigt, mehr als Stichwortgeberin zu dienen. Interessant – und unerwartet – sind die Einblicke in das gesellschaftliche Leben im Japan des 19. Jahrhunderts, die allerdings deutlich weniger Exotik in den Roman bringen, als man vielleicht erwarten könnte. Pulley hat selbst in Japan studiert, es gelingt ihr daher gut, die fernöstliche Mentalität in den Roman einfließen zu lassen, ohne Klischees zu bedienen.