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Das Mittelalter

Europa von 500 bis 1500

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Kategorie: Literatur

Ein Überblickswerk über das Mittelalter. Eigentlich ist das nichts ungewöhnliches, wenn da nicht zum einen eintausend Jahre abgehandelt würden und zum anderen Europa als Ganzes zum Untersuchungsobjekt gemacht würde. Und das vor dem Hintergrund, dass es keinen einheitlichen Konsens darüber gibt, wann das Mittelalter eigentlich beginnt und wann es endet. Oft ist dies vom Forschungsschwerpunkt abhängig und üblicherweise wird das Mittelalter auch kleinteiliger analysiert.

Eintausend Jahre Geschichte. Also unvorstellbare Regalmeter, die ganze Bibliotheken und Museen füllen, auf ein Buch komprimiert. Eines muss ich jetzt schon vorwegnehmen: Dieses Buch hat mich tief beeindruckt und meine Erwartungen weit übertroffen.

In 13 Kapiteln arbeitet sich der britische Historiker Chris Wickham an den großen Leitlinien des Mittelalters ab, mit all ihren Brüchen, Kontinuitäten und Innovationen. Er geht dabei in gewisser Weise chronologisch vor, allerdings sind die Kapitel an thematischen Schwerpunkten orientiert, was insgesamt der Lesefreundlichkeit sehr entgegenkommt. Durch die Schwerpunktsetzung, sei es nun politische, soziale oder ökonomische Veränderungen, kommen Informationen aus ganz Europa zusammen; also auch aus Ländern, von denen man in anderen Büchern über das Mittelalter eher weniger zu lesen bekommt. Hier hat mir z. B. das fünfte Kapitel, „Die Expansion des christlichen Europas“, sehr viele neue Informationen über die uneinheitliche Ausbreitung und Ausprägung in Irland und Skandinavien gegeben.

Das Experimentierfeld Mittelalter

Wickham schafft es, auf fast einzigartige Weise, Historiker*innen und Geschichtsinteressierte gleichzeitig anzusprechen, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen und trotzdem die Geschichtswissenschaft und ihre Positionen zu hinterfragen und zu bereichern. So betont er schon auf der ersten Seite: „Die Geschichte ist nicht teleologisch. Das heißt, historische Entwicklung bewegt sich nicht auf etwas zu, sondern sie geht von etwas aus.“ Sehr deutlich wird das im achten Kapitel, wo u. a. die römische Rechtsprechung, trotz neuer und eigenständiger Gesetzkorpora in vielen Gebieten Europas, immer noch zu finden ist und auch eine Art Renaissance erfährt.

Zudem fühlt man bei aller Seriosität und Ernsthaftigkeit des Autors auch immer ein Augenzwinkern. So beschreibt Wickham in dem Kapitel „Gender und Gemeinschaft im spätmittelalterlichen Europa“, wie ein Pariser Bürger einen zweibändigen Ratgeber für seine junge Ehefrau verfasst hat, in dem sie gefälligst alle Anweisungen zu befolgen habe, „wie unvernünftig seine Vorgaben auch immer sein mögen“. Und Wickham kann es sich nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass der zweite Teil des Buches „angenehmer zu lesen ist und nützlicher, [da er] Gartentipps und Kochrezepte enthält.“ Meine persönliche Lieblingspassage ist die Formulierung Erwigs (ein gotischer König in Spanien), „dass das nichtbezahlen von Steuern ein derart gravierendes Vergehen darstelle, dass es zum Weltuntergang führen würde.“

Kritik

Die Stärke von Chris Wickham ist gewissermaßen auch seine einzige Schwäche. Wenn man Überblickswerke deutscher Historiker, wie die von Ulrich Knefelkamp oder Hans-Werner Goetz, betrachtet, dann sind wir es gewohnt, dass z. B. das deutsche Kaisertum eine zentrale Rolle spielt und unseren Blickwinkel auf das europäische Mittelalter dominiert. Ähnlich verhält es sich bei Wickham, der an dieser Stelle der englischen Entwicklung eine höhere Bedeutung zumisst und die Auswirkung, besonders sozialökonomisch, auf Europa viel stärker akzentuiert. Dies ist allerdings kein Ressentiment. Es erklärt sich aus der Tatsache, dass gerade der heutige deutsche Bereich viel mehr durch seine Herzogtümer geprägt wurde und nicht als ein einheitliches Königtum, wie in anderen Ländern, fungierte. Diese Komplexität lässt sich nur schwer in übergeordneten Zusammenhängen erklären und würde auch unweigerlich zu Widersprüchen führen. Man kann somit sagen, mir ging es jedenfalls so, der Mehrwert durch dieses Buch ist für Lesende aus Deutschland, aufgrund der Inhalte, vermutlich größer als für andere.

Fazit

Inhaltlich steht das Buch in gewisser Weise über einer Kritik, da die großen Strukturen, die Chris Wickham herstellt, immer fragmentarisch in Frage gestellt werden können. Einzelne Sachverhalte und Aussagen verlangen immer mehrere Blickwinkel und Untersuchungen, die ein Überblickswerk in einem einzelnen Buch niemals leisten kann. Aber genau das macht das Buch so hervorragend und zu einem meiner Favoriten. Der größere Kontext ist es, der erhellend und erfrischend neu ist und so viele bisher offene Fragen zum Mittelalter erstmals einleuchtend beantwortet. Abgesehen davon ist die angelsächsische Tradition der eher deskriptiven Geschichtsschreibung in der Regel viel lesefreundlicher und macht das Buch für alle, ob Laie, Student oder Profi, überaus interessant.

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