„Der gesellschaftskritische Fantasy-Thriller 2044 nimmt den Leser mit auf eine atemlose Jagd quer über die Kontinente der Erde, vorwärts und rückwärts auf der Zeitachse, um die Zukunft zu verstehen und dem wahren Ursprung der Menschheit auf die Spur zu kommen.“
ZWO: Auf der Website zu deiner Serie steht, dass dich die Geschichte von 2044 schon seit deinem 13. Lebensjahr beschäftigt. Was war damals der Auslöser für die Idee und wie sah diese aus?
An einen fixen Punkt, an dem ich rational entschieden habe: „Jetzt schreibe ich eine Geschichte“, erinnere ich mich nicht. Allerdings gab es ein spezielles Erlebnis, das gewissermaßen den Beginn dieser literarischen Reise markiert.
Ich habe damals vor zwanzig Jahren mit meiner Mutter in Berlin-Schöneberg gewohnt und die nächstgelegene S-Bahn-Station hat man durch eine lange, öde Unterführung erreicht. Ich weiß den Tag nicht mehr, nur noch, dass ich in den dunklen, breiten Tunnel eingebogen und plötzlich durch einen anderen Raum gelaufen bin, als eine andere Person, ein vollkommener Switch in meiner Realität und Wahrnehmung. Plötzlich war eine Geschichte in meinem Kopf, mit einem Schlag. Das war ziemlich überwältigend. Als ich oben auf dem Bahnsteig ankam, war ich wieder weitgehend ich selbst und ich habe sofort alles handschriftlich festgehalten und dann später zu Hause abgetippt.
Erst viele Jahre später ist mir bewusst geworden, in welch gigantisches Universum ich eingetaucht bin, als sich dieses kontinuierlich weiter in und vor mir ausgedehnt hat. Interessanterweise war die Passage aus der Unterführung jedoch nicht der Beginn von 2044, wie er heute existiert. Die Anfangsszene mit Mizuee ist später entstanden und ist, soweit ich das retrospektiv sagen kann, eine Form der Auseinandersetzung und Bewältigung, die ich damals begonnen habe, was die Zustände in unserer Welt angeht, die mich als junges Wesen sehr entsetzt haben und es nach wie vor tun.
ZWO: Zwischen damals und der Veröffentlichung des ersten Bands sind einige Jahre vergangen: Was hat sich verändert? Wie ist die Geschichte weiter gewachsen?
Ich habe seit dem Erlebnis in der Unterführung an der Geschichte geschrieben, nicht chronologisch, sondern zumeist an einem Teil, einer Szene oder Sequenz, die ich situativ interessant fand. Der Gedanke, sie zu veröffentlichen, hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existiert. Es war mein privates Projekt, eine tiefe umfassende Leidenschaft, mich mit jener fremden, fantastischen Welt von Makan, um die es in 2044 unter anderem geht, zu befassen. Jahrelang habe ich nicht einmal meiner Mutter erzählt, dass ich schreibe. Es war ein Sache zwischen mir und dem kreativen Universum. Erst mit Anfang zwanzig habe ich einer Freundin davon berichtet und da habe ich überhaupt realisiert, dass ich an einem sehr umfangreichen Roman schreibe.
In meinem gesamten Leben gab und gibt es nichts, an dem ich so kontinuierlich dran geblieben bin wie an 2044, und bis auf gewisse stilistische Anpassungen besteht die Geschichte in vielen Teilen noch immer so, wie ich sie damals empfunden und konzipiert habe. Natürlich ist die Art der Betrachtung und Beschreibung viel differenzierter und reifer geworden. Mizuee war zu Beginn eine unglaublich arrogante Rotzgöre. Zumindest denke ich das, wenn ich heute uralte Erstversionen meiner Texte lese. In solchen Bereichen ist die Geschichte mit mir gemeinsam gereift und spiegelt stets ein Stück weit meinen Erkenntnishorizont und meine Lebenserfahrung wider.
Maßgeblich verändert hat sich im Laufe der letzten Jahre das Cover. Das war am Anfang viel verspielter und bunter. Auch wurde der Text an bestimmten Stellen geschlankt und es wurden Informationspassagen rausgenommen, die für den Handlungsverlauf keine große Relevanz haben, da sie vorrangig auf das Weltbild und die Kosmologie der Außerirdischen bezogen sind. Diese Dinge werden wahrscheinlich erst wieder relevant werden, wenn sich ein wagemutiger Regisseur in den Kopf setzt, das Buch verfilmen zu wollen ;)
ZWO: Du sagst selbst, dass du mit der Veröffentlichung gezögert hat, da du dir Gedanken um die Reaktion deiner Umwelt gemacht hast. Welche Punkte waren für dich besonders kritisch und wie stehst du jetzt (nach der Veröffentlichung) dazu?
Ein Punkt, der unbestritten nicht ganz einfach ist, berührt die Selbstjustiz, die Mizuee durchsetzt. Hinter einem solchen Verhalten und Ereignissen wie Anschlägen oder Attentaten steht ja im Grunde die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt. Ein großes philosophisches Thema, das unser Selbstverständnis von Moral betrifft. Mit einem extremen Charakter wie Mizuee, dieser sehr menschlichen Anti-Heldin, möchte ich auf einen Umstand hinweisen, der meines Erachtens den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst ist: Dass der eigentliche Terror unserer heutigen Zeit von ganz anderer Seite ausgeübt wird. Deswegen ist Mizuee auch keine durchgeknallte Psychopathin, die von irgendwelchen obskuren Ideologien geleitet wird. Vielmehr ist sie bis auf ihre spezielle Abstammung eine normale junge Frau, die nachgedacht und ihre Schlüsse gezogen hat. Ihre tiefe Zuneigung zum Leben gibt ihr die Kraft zu handeln und sich gegen das GCA-System zu stellen, das in seiner Grundanlage sehr lebensfeindlich und menschenverachtend ist, auch wenn es nach außen hin modern und angenehm erscheint.
Mit dieser sehr kritischen Haltung der Hauptfigur möchte ich auf die dramatischen Missstände in der Beziehung zwischen Menschen und Erde (Umwelt) hinweisen, weil dieses Thema das essentiellste ist, das es momentan gibt. Ohne eine gesunde Erde werden die Debatten über Rente und Einwanderung überflüssig werden. Die Natur braucht die Menschen nicht, aber die Menschen brauchen die Natur.
ZWO: Crossover zwischen Fantasy und Science Fiction, so wird die Serie beworben. Wieso siehst du es als Crossover und nicht als reine Science Fiction-Geschichte?
Es klingt womöglich sonderbar, aber ich selbst habe nie viel Science Fiction gelesen. Dieser Aspekt war für mich eine lange Zeit nicht vorrangig. Natürlich spielt die Story in der Zukunft, aber sie wird darüber hinaus eher von Elementen getragen, die wir aus der Fantasy und allgemein aus der Phantastik kennen. Ein weiterer Grund für den Crossover ist auch, dass für mich die Trennung zwischen Fantasy und Science Fiction nicht so existiert wie in den Regalen der Buchhandlungen. Alles was technisch möglich ist, wird in einem kreativen Geist geboren, bevor es Eingang in die Realität findet. Magie ist im Grunde auch nur eine sehr fortgeschrittene Art von Quantenmechanik. Deswegen mag ich den Begriff Crossover. Magier haben in der klassischen Science Fiction laut Genre-Verständnis nun mal nichts verloren. Ebenso bedient die Tolkien-Fantasy-Rubrik keine Settings wie ein Shanghai-Agenten-Roman. Was sucht eine Drachenpriesterin in einer gesellschaftlichen Nachdystopie? Was hat eine Ökoterroristin mit den Hütern der Erde zu schaffen?
Auf diesen thematischen Querstrickungen baut der Begriff Crossover auf. Die Welt ist für mich kein Uhrwerk, sondern ein sehr vielfarbiges, zuweilen wirres 3D-Gewebe, und das definiert den Rahmen der Geschichte.
ZWO: Ein weiteres Schlagwort ist „Fantasy für Erwachsene“: Was macht für dich „das Erwachsene“ der Serie aus und wieso ist es für die Geschichte wichtig?
Fantasy für Erwachsene assoziiert zurecht einen markanten Punkt, und zwar den der Erotik und Sexualität, der tatsächlich eine ausführliche Beleuchtung im Handlungsverlauf von 2044 erfährt. Im ersten Sammelband ist das noch nicht so auffällig, aber ab Tag 4 – Sternentor – wird es dann offenkundig, dass man es mit keiner keuschen Teen-Romantik und schon gar nicht um Sex-erst-nach-der-Ehe-Twilight-Murks zu tun hat. Der Slogan dient somit auch dazu, 2044 klar von der Teen- und Romantik-Fantasy abzugrenzen. Tatsächlich bin ich persönlich ziemlich abgegessen durch diese Art Bücher, weil meines Erachtens jungen Frauen damit ein sonderbares Bild von Weiblichkeit und Frausein vermittelt wird; eines, das womöglich den Männern zupasskommt, aber überhaupt nichts zu einem gesunden Miteinander beiträgt. Deshalb habe ich in 2044 den Versuch gestartet, Sexualität über die Art meiner Beschreibung in ein Licht zu rücken, das ihrer Natur entspricht.
Abgesehen davon soll mit Fantasy für Erwachsene jedoch auch angedeutet werden, dass 2044 keine gradlinige Schwarz-Weiß-Story ist, wie sie uns regulär von Hollywood und den anderen großen Medien- und Meinungsmachern aufgetischt wird – Gut, Böse, Haudrauf, Happy End. Der Verlag nennt es eine wild-sinnliche Wanderung durch die unterschiedlichen und faszinierenden Aspekte der Wirklichkeit und des Mensch- und Nichtmenschseins. Dementsprechend wandert die Handlung zuweilen auf recht eigenwilligen Pfaden und die Geschichte macht dabei sogar perspektivische Sprünge und fordert vom Leser, mitzudenken. Kritiker sagen, dass es ein Basiscredo beim Schreiben ist, dass man die Perspektive in einer Erzählung nicht wechselt. Gut, was soll ich dazu sagen? Ich kenne die Regeln, jetzt lernen die Regeln mich kennen! (grins) Es gibt in meinen Augen so viele mehr oder minder gute Aufgüsse von ein und derselben Geschichte, gerade im Fantasy-Bereich, warum nicht neue Wege gehen? Jede Geschichte hat ihre Leser, ebenso ihre Kritiker, und es gibt so viele Meinungen, wie es Köpfe gibt, das gefällt mir sehr.
ZW: Einige Bände (Tage) von 2044 sind nun schon erschienen, an anderen schreibst du noch. Insgesamt soll 2044 aus 20 Bänden bestehen, wenn die Serie abgeschlossen ist. Gibt es das finale Ende schon in deinem Kopf, oder entwickelt sich das nach und nach beim Schreiben? Und was denkst du, wann du die 20 Tage abgeschlossen hast?
Was das Ende von 2044 angeht, gibt es tatsächlich einen Punkt, der für mich unumgänglich feststeht, weil er den Start für eine weitere bzw. anschließende Serie markiert. So gesehen weiß ich schon, wo es hingeht, und dass es sogar nach dem Ende noch weitergeht. Aber wie der Weg dorthin im Einzelnen aussieht, entscheidet sich mitunter, während ich schreibe. Ein Prozess, den einige Autorinnen und Autoren kennen, ist beispielsweise der, dass Figuren, die ursprünglich als Randcharaktere eingeführt wurden, im Verlauf der sich entwickelnden Handlung mehr Gewicht bekommen und weiter in den Vordergrund rücken, bis dahin, dass sie eigene Handlungsstränge einfordern. Einfordern sage ich deshalb, weil es mitunter vorkommt, dass die Figuren zunehmend ein Eigenleben entwickeln und sich zum Teil sogar meinen erdachten Plotideen widersetzen. Das hat bei einem Charakter sogar so weit geführt, dass ich ihn ausgelagert und ihm versprochen habe, ein eigenes Buch über ihn zu schreiben, weil er den Rahmen von 2044 tatsächlich komplett sprengen würde. Das schien mir der einzig sinnvolle Weg, denn ich habe zuweilen schon Bedenken, dass manche Handlungsverläufe zu weit von der anfänglichen Story um Jack und Mizuee wegführen. Dementsprechend schwierig ist es, gute Prognosen hinsichtlich eines Fertigstellungsdatums zu machen. Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass ich gerne viel mehr schreiben und illustrieren würde, als ich momentan die Zeit finde.
Das Interview führte Christina Löw. Vielen Dank an Limarå Hèymdai für das herzliche (E-Mail-) Gespräch!
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