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Im Wort Endzeit liegt eine Endgültigkeit

Balthasar von Weymarn im Genretalk über Endzeit

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Kategorie: Interview Literatur

Noch auf der Erde spielend, kann das Endzeitgenre vielleicht die dunkelsten Ängste aufbeschwören. Nach einer verheerenden Krise ist nichts mehr wie es war und die Vergangenheit kommt ganz bestimmt nicht mehr zurück. Im Genretalk stellt uns Balthasar von Weymarn das populäre Genre und seinen Ansatz in Und auf Erden Stille vor. Dabei geht es immer auch um Moral und große Mythen.

Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Balthasar, ich bin durch deine Hörspielreihe Und auf Erden Stille auf dich aufmerksam geworden und möchte die Gelegenheit nutzen, um mit dir über das Endzeit-Genre zu sprechen. Bevor wir ans Genre gehen, stell dich uns doch bitte einmal vor. Wer bist du, was machst du und welche Rolle spielt die Phantastik für dich? 

Balthasar von Weymarn: Ich war als Kind früh ein begeisterter Leser und verschlang hungrig alles, was nach großem Abenteuer klang. Natürlich war ich mit Märchen und Astrid Lindgrens phantastischen Stories vertraut, aber der Urknall war für mich mit elf, als ich kurz hintereinander Die Unendliche Geschichte, Mark Brandis und die Star Wars-Novelizations las. In die Zeit fiel auch mein erster Solo-Kinobesuch, von dem meine Eltern nichts wissen durften (das war Star Trek – The Motion Picture). Und damit war für mich klar – die größten Abenteuer gibt es in den phantastischen Genres. Das Rollenspiel ist an mir vorbeigegangen, weil ich zur richtigen Zeit dafür nicht die richtigen Leute getroffen hatte. Aber ich habe eine Zeit lang intensiv PC-Games gespielt, und auch hier war’s besonders reizvoll, wenn es ferne Welten waren. Was mache ich heute damit? Ich bin Drehbuchberater, habe auch selbst schon ein paar verfilmte (und noch mehr unverfilmte) Drehbücher geschrieben, und ich mache zusammen mit meinem Cousin Jochim Redeker seit 2006 als INTERPLANAR Produktion professionell Hörspiele.

Hörspiel: Und auf Erden Stille

Andreas (ZW): Die meisten Leser*innen dürften bereits eine grobe Vorstellung davon haben, was Endzeit ist. Schaut man näher hin, sind die Grenzen zu Dystopien oder härterer Science Fiction fließend. Was sind denn Elemente, die für dich ein Endzeitsetting zum Endzeitsetting machen?

Balthasar: Interessante Frage … aus dem Bauch heraus würde ich sagen, eine Dystopie ist eine als negativ empfundene Zukunftsvision, die aber nicht notwendigerweise eines Niedergangs der Zivilisation allgemein bedarf. Um als Beispiel einen Film heranzuziehen: V for Vendetta ist dystopisch, aber nicht Endzeit. Es ist immer noch Wandlung und Hoffnung auf eine bessere Zukunft möglich. Im Wort Endzeit liegt eine Endgültigkeit, eine klare Aussage: “So wie vorher wird’s nicht mehr werden”. Das geht dann einher mit den üblichen Auslösern für derartige Szenarien: atomarer Weltkrieg, Pandemien, Zusammenbruch des Ökosystems – und das jedes Mal so, dass auf lange Zeit Gesundung unmöglich scheint. 

Andreas (ZW): Die unterschiedlichen Entwürfe unterscheiden sich meist darin, wie es zur einschneidenden Apokalypse kam. Ein paar Beispiele hast du ja gerade genannt. Welche Katastrophenszenarien findest du am interessantesten und am wenigsten bearbeitet?

Balthasar: Die Frage der sensorischen Überlastung mit Verlust von Wahrnehmung als Auslöser eines Zusammenbruchs fand ich noch nicht so häufig. Im Buch ist sie mir im Roman Die Telepathen von Spider Robinson erstmals begegnet, im Film bei It’s all about love und Perfect Sense. Und ich fand den Gedanken faszinierend genug für eine eigene Variante. Interessieren würde mich auch der Prozess des Auseinanderbrechens in einer Gesellschaft wie unserer, die denkt, dass sie auf das gute Leben einen Anspruch hat und deswegen die Solidarität zunehmend weniger entwickelt. Wie schnell wird der Mensch zum Wolf? Wie ist es denn, wenn wirklich mal drei Wochen der Strom ausgefallen ist, Alarmanlagen nicht mehr funktionieren und außerdem keiner den Müll abholt? Davon könnte man mir durchaus noch mehr erzählen.

Andreas (ZW): Intuitiv würde ich behaupten, dass Endzeit ein recht junges Genre ist. Es dürfte mit den ökologischen Krisen und dem kalten Krieg aufgekommen sein. Oder irre ich mich? Seit wann gibt es das Genre und welches sind für dich die zentralen Werke? 

Balthasar: Natürlich gab es in der Phantastik den Bruch der Unschuld, und das war 1945 mit der Atombombe als Symbol fortgeschrittener Technik, die dem Menschen nicht wohlgesonnen war. Gerade die SF fing dann an, die Utopien gegen die Dystopien auszutauschen oder sich nach innen zu drehen. Ich behaupte nicht, umfassender Kenner des Subgenres zu sein, deswegen nur eine Auswahl aus dem, was mir in dem Bereich ein Begriff ist: Picknick am Wegesrand der Strugatzki-Brüder, Yin von Akif Pirinçci, im Film z.B. 12 Monkeys, aber auch Last of us 2 als differenziert gestaltetes Game mit extrem hohem Erlebnisfaktor.

Andreas (ZW): In Und auf Erden Stille ist eine Krankheit zentral und du thematisierst unter anderem staatliche Gewalt gegen Geflüchtete. Die Bezüge zur Gegenwart sind offensichtlich. Welche Rolle spielt für dich ein solcher Gegenwartsbezug? Sind Endzeiterzählungen immer auch Erzählungen über unsere Gegenwart?

Balthasar: Das sollten sie doch sein, oder? Wenn sie jenseits der puren Lust am Spektakel eine Funktion haben, dann doch die, den Leser*innen vor Augen zu führen, was wir zu verlieren haben. Wenn da nicht irgendwann im eigenen Selbst die Frage auftaucht: “Würde ich akzeptieren wollen, dass es so kommt?”, dann ist eine solche Erzählung inhaltlich Weißbrot.  

Andreas (ZW): Auch ohne den Blick auf die Katastrophe und ihre Ursachen bietet die Endzeit eine wunderbare Gelegenheit, um ethische und soziale Fragen zu diskutieren, oder? 

Balthasar: Natürlich. Der Mensch ist unglaublich weit gekommen – aber um welchen Preis? Allein das schon löst ein Füllhorn von Themen aus. Und es aus der Sicht des Gescheitertseins zu betrachten, ist nun mal besonders drastisch, da der Mensch sich mit solchen Fragen ungern beschäftigt. Da unterscheidet sich seine Sicht auf die Zukunft nicht von der auf Altersarmut oder Tod: am liebsten wegschauen. Im Grunde genommen ist das Spekulieren und Nachdenken ein Tabu, das nur dann mainstreamtauglich wird, wenn genug Schauwerte in der Geschichte vorkommen. So wie in Emmerich-Filmen oder Zombieapokalypsen. Da ist der Lärmpegel so hoch, dass man nicht drüber nachdenken muss. Aber ohne das … ja, das erlaubt, eine Menge Substanz zu diskutieren.

Andreas (ZW): Nun haben wir viel über Endzeit gesprochen, Und auf Erden Stille wird allerdings als dystopischer Thriller beworben. Das Hörspiel scheint mir aber doch einige Endzeitmotive zu versammeln. Noch einmal mit Blick auf unsere anfängliche Frage, was eine Endzeitgeschichte haben muss: Ist Und auf Erden Stille eine Endzeit-Geschichte?

Balthasar: Ja. 

Andreas (ZW): Dann war mein Eindruck ja treffend. Wenn du nun auf deinen eigenen dunklen Zukunftsentwurf schaust: Was ist es, was du am spannendsten findest und deine Dystopie von anderen abhebt?

Balthasar: Dieses Urteil sollen andere fällen. Ich fand es im Rückblick faszinierend, dass ich selbst von den Momenten der Geschichte gerade einige am Ergreifendsten finde, die mit der Vorgabe der Apokalypse nichts zu tun haben, und zwar die, die zeigen, wie es in Rhiannon aussieht. Dass sie unter ihrer Schale immer noch ein Kind ist, das unter dem Desinteresse ihres Vaters leidet, der sie damals mit ihrer Mutter ziehen ließ und von dem sie nie wieder etwas gehört hat. Ich glaube, dass sich der Mensch im Kern, in seinen Wünschen und Ängsten, über die Jahrtausende kaum verändert hat: er will überleben, lieben dürfen und sich geborgen und geliebt fühlen. Das wird auch noch stimmen, wenn unsere Zivilisation zerbrochen ist und nur noch wenige von uns da sind, auch dann noch, wenn die Möglichkeit für Liebe und Geborgensein noch unwahrscheinlicher geworden ist. 

Andreas (ZW): Du beschäftigst dich intensiv mit Mythologie. Welche mythologischen Vorbilder gibt es denn für die Endzeit? Was sind die Urmotive – wenn man so reden darf –, welche die Endzeit so faszinierend machen?

Balthasar: Das ist ein großes Thema. Der Mensch hat sich die Fragen “Woher kommt die Welt? Wohin geht meine Essenz, wenn ich nicht mehr bin?” gestellt, seit er sich seiner selbst bewusst wurde. Die erste Frage führt zum Schöpfer oder Ursprung, die zweite zum Leben nach dem Tod (oder zur Verneinung desselben). Alles Weitere ist sehr von der Kultur abhängig: das Konzept von Endzeit ist im Buddhismus und Hinduismus absurd, denn jedem Untergang folgt eine Neugeburt, nicht nur des Individuums, sondern auch ganzer Zeitalter. Es gäbe bei der Übersetzung von Und auf Erden Stille z.B. in den indischen Kulturraum sicherlich massive Herausforderungen, denn viel des Subtexts wäre praktisch unübersetzbar oder würde als sinnlos wahrgenommen. Im europäischen Raum, auch jenseits der abrahamitischen Religionen, ist das hingegen omnipräsent: von den Vorstellungen, die in der nordischen Edda festgehalten sind, ist die Endzeit oder Götterdämmerung sicher eine der großen Faszinationen. Die Menschen sind von der Existenz der Götter abhängig. Ist sie bedroht, geht die Welt unter. Da ist was Wahres dran ... 

Andreas (ZW): Und auf Erden Stille ist eine aufwändige Hörspielproduktion. Hast du vorher schon Hörspielerfahrung gesammelt? 

Balthasar: Doch, Hörspiele mache ich schon eine Weile; professionell seit 2006 und der ersten Folge Mark Brandis. 

Andreas (ZW): Zuletzt noch eine Frage die von der Endzeit wegführt: Was, würdest du sagen, sind die Herausforderungen eines Hörspiels im Unterschied zu einem klassischen geschriebenen Text? 

Balthasar: Im Hörspiel ist zunächst einmal die sogenannte epische Instanz (der erzählende Text) nicht zwingend vorgegeben. Das legt das Hörspiel an dieser Stelle näher an den Film oder das Theater als an das Buch. Lässt man die Erzählerinstanz weg, müssen die Dialoge und das Sounddesign alles übermitteln, was z.B. im Innern der Figuren vor sich geht. Das ist nicht einfach, wenn es natürlich klingen soll, auch nicht auf der Oberfläche, wie zum Beispiel bei Darstellung von Räumlichkeiten. Niemand sagt einem anderen Menschen im gleichen Raum, wie es im Raum aussieht. Hört man so etwas im Hörspiel, dann sagen sich die Hörer*innen schnell: “Diese Info ist ja wohl nur für uns gedacht”, und schon fliegt man innerlich aus der Handlung. Ein guter Hörspieltext berücksichtigt all das und folgt außerdem der Maxime des großartigen Hörspielregisseurs Bernd Lau, der über guten dramatischen Dialog sagte, dass es darin stets zwei Ebenen gäbe: der Sprechende enthülle und verberge sich, und das gleichzeitig. Diese Ebenen zu finden und umzusetzen ist für mich die große Herausforderung des Hörspielschreibens.

Hörprobe zu Und auf Erden Stille

Andreas (ZW): Vielen Dank für das interessante Gespräch. Was steht denn bei dir in der näheren Zukunft an? Und vor allen Dingen: Steht schon fest wann es mit der Geschichte um Rhiannon weitergeht?

Balthasar: Derzeit schreibe ich an Staffel 2, allerdings nicht non-stop. Mit Rhiannons Abenteuer wird es weitergehen, aber einen VÖ-Termin gibt es noch nicht. Zu viele Unwägbarkeiten – nicht zuletzt durch die Pandemie – machen es schwer, sich da terminlich genau festzulegen. Aber es kommt.

Porträtfoto von Katharina Bohm

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