X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

Hotel Kummer

Phantastik mit Tiefgang

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Literatur

Die Stimmen zu Erik R. Andara sind vollmundig. Manch einer will in ihm den Meistererzähler der dunklen Phantastik gefunden haben, andere wollen gleich ganze Landstriche nach ihm benennen. Das sind sicherlich große Worte für einen aufstrebenden Autor. Die Tatsache, dass sein Debütroman jüngst mit dem zweiten Platz des Vincentpreises ausgezeichnet wurde und er noch für dieses Jahr eine Reihe an Neuveröffentlichungen bereit hält, spricht jedoch für sich. Auch seine frisch erschienene Sammlung "Hotel Kummer" sorgt zurecht für etwas Aufsehen in der kleinen Blase aufstrebender Phantastik-Autor*innen.

Mit Hotel Kummer fasst Andara in einer äußerst hübschen limitierten Sammlerausgabe fünf seiner neueren Kurzgeschichten zusammen. Hinter dem Cover mit stilsicherem pinken Schriftzug führen uns ein opulentes Vor- und Nachwort sowie schicke Vignetten gemächlich in Andaras Welt. Dabei sind drei der Geschichten bereits veröffentlicht worden. Die mit Nähe an Poe operierende Geschichte "In ihrer Finsternis ruhen" und "Mein fremder Name" durfte ich bereits in anderen Zusammenhängen besprechen. Auch "Ökonomische Ordnung" wurde bereits publiziert, war mir aber noch nicht bekannt. 

Den Beginn macht "Jener, der da kommt", eine bedrohliche Geschichte, die beunruhigende Nachrichten aus dem Weltall mit der enormen beruflichen Belastungen der Protagonistin verschmilzt. Die pure Erschöpfung ist ebenso nachvollziehbar geschildert wie der Arbeitsalltag einer männerdominierten Wirtschaft. Wenn man so will, kann man hier Kapitalismuskritik ohne Zeigefinger beobachten. Übrigens etwas, das man auch von der Kurzgeschichte "Ökonomische Ordnung" erwarten könnte. Die Geschichte ist aber vielleicht die phantastischste der fünf und führt uns in eine ganz andere ökonomische Ordnung in der Zukunft, die tief mit hinduistischer Mythologie verschmolzen ist. Andara lotet hier keine postkapitalistischen Gesellschaftsentwürfe aus und rechnet nur am Rande mit der Ökonomie der Gegenwart ab, stattdessen wollen wir von Seite zu Seite entziffern, was es mit den mysteriösen Aliens und der von ihnen etablierten Ordnung auf sich hat. 

Den Abschluss bildet schließlich die titelgebende Geschichte "Hotel Kummer". Hier begleiten wir eine alternde Dame bei ihrem Aufenthalt im traurigen Hotel, der sich als Rückblick auf ihr Leben entpuppt. Die Geschichte überzeugt durch vielschichtige Bedeutungsebenen und bleibt nicht zufällig bis zum Ende etwas offen. Bewegend ist sie – wie die meisten Andarageschichten – durch die Hauptcharakterin, deren Schicksalsschläge uns unerwartet packen können. Es ist bestimmt nicht das, was ich beim Titel erwartet hätte, aber vielleicht noch etwas besser.

Von Licht ...

Ich bin wie immer von Andaras Werk fasziniert. Auch wenn ich vielleicht von Andaras Persönlichkeit etwas voreingenommen bin, ist da etwas, was ich nur in seinen Geschichten finde. Dabei fällt es mir gar nicht so leicht, auf den Punkt zu bringen, was es genau ist, dass Andaras Werk so besonders macht. Das fängt schon allein bei der Frage an, welches Genre seine Schriften bedienen. Sein Werk wird gerne im Bereich Horror verortet, es gibt gelegentliche Abstecher in die Fantasy und er fühlt sich im Umfeld der deutschsprachigen Weird Fiction sichtlich pudelwohl. Weird Fiktion, also Geschichten, die ein nicht immer klar zu fassendes absonderliches Element haben, scheint noch am ehesten zu passen. Keine der Geschichten Andaras kommen ganz ohne etwas "Übersinnliches" aus. Träume, Halluzinationen, sowie unerklärliche Realitätsbrüche sind in allen seinen Geschichten fester Bestandteil. Und doch ist es nicht das, was Andaras Werk für mich ausmacht. Das Übersinnliche ist nie die eigentliche Akteurin der Geschichten. Es gibt fast nie das Mysterium, das es zu enthüllen gilt; keine lovecraftesquen Horrorgestalten, die nur dazu da sind, Furcht zu erzeugen. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die auf eine menschenwidrige Welt reagieren. Ihre Ängste, Sorgen und Verzweiflung manifestieren sich im Grauen oder werden durch eine mystische Bedrohung ins unerträgliche gesteigert. Anstatt auf außergewöhnliche Figuren setzt Andara dabei auf Menschen von Nebenan (was in dem Fall Wien ist). Im Hotel Kummer treffen wir so auf fünf Frauen, die auf unspektakuläre Namen wie Kathrin oder Elfi hören. Die ganz normale Projektstellen in der freien Wirtschaft besetzen oder als betagte Damen auf ihr Leben zurückblicken. Obwohl ich kein Wiener bin, gehen mir die Geschichten durch ihre Charaktere unter die Haut. Es sind echte Menschen, mit denen ich mitfühle und keine Archetypen. Das gelingt durch einen recht langsamen, detailverliebten und durch viele Introspektionen gekennzeichneten Stil. Wir schauen den Protagonistinnen beim Denken und Entscheiden zu. Und natürlich bei ihrem Umgang mit absonderlichen Situationen wie etwa einem plötzlich im Zimmer stehenden Astronauten. Wenn ich im Deutschunterricht gut aufgepasst habe, lässt sich das als Realismus kennzeichnen. Andara selbst sieht sich stark vom magischen Realismus inspiriert und ohne das zu wissen, habe ich seinen Garten Numen einmal als "phantastischen Realismus" bezeichnet. Das scheint mir zu passen und Andaras Werk so einzigartig zu machen. Er gestaltet so realistische Charaktere und Welten, dass der Einbruch des Übernatürlichen, Surrealen um so vernichtender ausfällt.

Zum Buch gibt es auch passende Lesezeichen.

... und Schatten?

Wenn es dann doch etwas Kritik sein darf, dann trifft diese weniger Andara als die Rahmung seines Werkes. Das Vorwort von Michael Marrak gibt zwar einen sympathischen und gut einstimmenden Einblick in Leben und Werk Andaras, aber geht dann für meinen Geschmack doch einen kleinen Schritt zu weit. Wien und Umgebung in Anlehnung an Lovecraft Country zu Andaraland zu erklären scheint mir gerade vor dem kulturträchtigen Hintergrund Wiens nicht angemessen. Und so sehr ich Andara und seine Schriften schätze, ist er kein Lovecraft und will das auch garnicht werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Nachwort von Rudolf M. Berger. Seine Überlegungen zu Licht und Dunkel und sein Rückgriff auf Goethe sind sicherlich lesens- und denkenswert, aber einfach einen Fußstapfen zu groß. Noch will ich nicht über Andaras Leben und Werk philosophieren und Reflexionen über die Ästhetik seiner Werke lesen, sondern seine kommenden Schritte begleiten. In einer Sache weiß ich mich mit den beiden nämlich einig: Von Andara dürfen wir noch vieles erwarten.

Weitere Artikel: