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Homo Femininus

Eine feministische Dystopie

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Kategorie: Literatur

Was wäre, wenn die Frauenbewegung untergegangen wäre und sich stattdessen ein brutales Regime der Männer durchgesetzt hätte? In ihrer Dystopie zeichnet Lina Thiede das Leben von Frauen, die in einer Gesellschaft leben, die ihnen das Menschsein abspricht und zu willfährigen Sklavinnen eigener Gattung erklärt: Homo Femini ...

Der Debütroman von Lina Thiede folgt dem Leben dreier Frauen, die in einer alternativen Gegenwart völlig entrechtet als Sklavinnen leben. Zum einen wäre da Becca, eine muskulöse Athleta, die fast täglich im wahrsten Wortsinne um ihr Überleben kämpft, indem sie in den Pits andere Frauen auf Leben und Tod gegenübersteht. Zum zweiten ist da Samantha, eine Creatrix, die das Leben austrägt, das in Laboren aus dem Genmaterial von sogenannten Genetrix gezüchtet wurde und schließlich Chloe, eine Coa, die als Prostituierte den Männern Entspannung und Vergnügung bringen muss. Bei allen drei Protagonistinnen handelt es sich um Sklavinnen, die einer von fünf Kasten zugehören. Jeweils durch eine anders eingefärbte Iris klar erkennbar, bleibt Frauen nur das Schicksal einer Athleta, Genetrix, Creatrix, Coa oder Haussklavin. Diese Prämisse wird mit einiger Konsequenz durchgeführt und macht zweifelsohne den produktiven Kern des Buches aus.

Damit geht auch eine eindeutige Content Note einher, die dem Buch selber leider fehlt: Dieses Buch ist ganz bestimmt nichts für Menschen, die von sexualisierter Gewalt und Gewalt gegen Frauen retraumatisiert werden können. Und auch diese Rezension nicht.

Frauen ohne Rechte

Das Leben der drei Protagonistinnen ist durchaus unterschiedlich. So erlebt Becca zuerst die staubigen Pits außerhalb der großen Städte und zieht als Wanderkämpferin von einem Blutvergießen zum nächsten, wobei sie ohne jegliche Rücksicht die Genicke ihrer Opponentinnen bricht. Ein kleiner Schock durchfährt sie, als sie einen Kastenwechsel erfahren muss und so indirekt mit dem Schicksal der anderen beiden Sklavinnen in Kontakt kommt. Als Creatrix erlebt Samantha ein noch einmal unfreieres Regime und wird völlig zur Gebärmaschine degradiert, während die Coa Chloe als Gesellschafterin auch Einblicke in andere Kreise hat und vielleicht die interessantesten Einblicke gibt. Das Geflecht der drei kommt nur indirekt und wohlkomponiert zusammen. Thiede versteht es, einen Roman zu strukturieren und die Fäden geschickt zusammenzuführen. Dabei nimmt sie sich viel Zeit für den Alltag der Frauen, der durch eine natürliche Schwangerschaft noch einmal komplizierter wird. Fokus ist und bleibt aber das Gesellschaftssystem, dass die Frauen mit äußerster Brutalität unterdrückt. Die feministische Perspektive Thiedes ist eindeutig, wobei meines Erachtens auch voyeuristische Aspekte hineinkommen, die diesen Zweck etwas unterminieren, indem sie eine Lust an Demütigung bedienen.

Eine feministische Dystopie?

Die äußerste Brutalität und klare Machtverteilung hebt das Buch zweifelsohne von anderen Dystopien ab, bringt aber auch einige Schwächen und Probleme mit sich. Zum einen wäre da die vollständige Entrechtung der Frauen, die zu eigentlich handlungsunfähigen Protagonistinnen führen müsste. Es ist grob gesprochen das Pproblem jeder totalitären Dystopie, die Gründe finden muss, um ihren Protagonist*innen doch Handlungsspielräume zuzuschreiben und sie eben nicht als die Objekte zu präsentieren, die die Gesellschaft aus ihnen macht. Thiede löst das einerseits, indem sie auf widersprechende Autoritäten setzt, die die Frauen in Zwickmühlen manövriert und andererseits dadurch, den Charakteren doch mehr Freiheiten zuzugestehen, als sich eigentlich aus dem Setting ergeben dürfte. Damit geht eine gewisse Verwässerung des Weltenbaus einher, der noch ein zweites Problem mit sich bringt … 

Dadurch, dass die Herrschaftsverhältnisse völlig eindeutig gezeichnet werden und auch auf äußerst direkte Art und Weise umgesetzt werden, fehlt es dem Buch an Nuancen. Dies lässt sich vielleicht gut an einem – sich sowieso aufdrängenden – Vergleich mit dem Report der Magd (A Handmaid‘s Tale) zeigen. Beide Dystopien gehen von einer völligen Entrechtung der Frau aus, die Sexismus anprangern soll. Dabei gelingt es dem Report jedoch anders als Homo Femininus, eine eigene, vollständig auf Gebärfähigkeit fokussierte Ideologie zu entwerfen, die der Herrschaft der Männer zumindest den Anschein einer Legitimierung gibt und so auch den Blick auf gegenwärtige patriarchale Logiken schärfen kann. Auch gelingt es hier aufzuzeigen, wie sich diese Ideologie in das Denken der entrechteten Frauen selber einschreibt und diese gegeneinander ausspielt. So eine Subtilität vermisse ich hingegen bei Thiedes Roman und sie ist aufgrund des Weltenbaus auch kaum möglich. Frauen sehen sich mit brachialer Unterdrückung konfrontiert, die nicht einmal versucht, sich zu legitimieren und Gehorsam durch pure Gewalt erzwingt. Damit wird dann allerdings auch die feministische Perspektive des Romans deutlich geschwächt. Sicherlich ist unzweifelhaft, dass es der Autorin um die Denunziation von Unterdrückung geht, dass eine offensichtliche Versklavung unmenschlich ist, dürfte allerdings eine Selbstverständlichkeit sein und steht dadurch weit unter dem Niveau der Kritik. Es ist keine produktive Auseinandersetzung mit dem Regime der Männer möglich, da es sich selber in solcher Plumpheit zeigt, dass es einfach nur verwerflich ist. So bleibt für mich die Frage, welchen Impuls Homo Femininus für gegenwärtige feministische Bemühungen geben kann.

Solch eine Kritik mag insofern ungerecht sein, als es nur wenige Bücher gibt, die eine solche Ebene erreichen. Hält man sich dann vor Augen, dass die Autorin diesen Roman ohne Kenntnis des Reports und mit 19 Jahren geschrieben hat, ist sie noch einmal unfairer. Sie ist aber vielleicht deshalb erlaubt, weil Lina Thiede zweifelsohne das Potenzial hat, solche relevanten Geschichten zu erzählen. Nicht nur, dass sie stilistisch brilliert, auch hat sie mit der Kurzgeschichte Penis Parvus bereits gezeigt, dass sie Dystopien entwerfen kann, die genau die beanstandeten Elemente umsetzen.

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