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H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns, Bd. 2

Der Abschluss des Horror-Mangas

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Kategorie: Literatur

Bereits seit 2004 liefert Gou Tanabe Manga-Adaptionen diverser Erzählungen von H. P. Lovecraft. H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns ist sein bisher ambitioniertestes Projekt: In zwei Bänden legt er eine visuelle Umsetzung Lovecrafts Kurzromans aus dem Jahre 1936 vor. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch weiß diese Adaption zu gefallen. Im zweiten, abschließenden Teil stellt Tanabe erneut nur sein Können als Horror-Mangaka unter Beweis. Einen bitteren Beigeschmack gibt es jedoch: Während Tanabe sich in seiner Adaption bisher die nötigen Freiheiten nimmt und Lovecrafts Roman anpasst, umschreibt und neuinterpretiert, fällt das schwierige Thema der Sklaverei und des Rassismus, das letztendlich Dreh- und Angelpunkt von Berge des Wahnsinns ist, unkommentiert unter den Tisch.

Nachdem die Lake-Expedition unter ungeklärten Umständen zu Tode kam, bricht Prof. Dyer mit seinem Assistenten Danforth auf, um den verschollenen Doktoranden Gedney zu suchen. Von ihm erhoffen sie sich eine Aussage darüber, was mit dem Forschungsteam geschah. Dafür fliegen die beiden jenseits der gigantischen, schwarzen "Berge des Wahnsinns" – und entdecken dort eine uralte, komplexe und scheinbar ausgestorbene Stadt. Dyer kommt seinem Forscherdrang sofort nach und beginnt, die Stadt zu erkunden. Dabei entschlüsselt er mithilfe zahlreicher kunstvoller Fresken und Wandgemälde die Historie der Alten Wesen, deren Überbleibsel Lake vor seinem mysteriösen Tod fand. Es entfaltet sich eine komplexe Geschichte von der Besiedelung der Erde durch die Alten Wesen, ihren Revierkämpfe mit weiteren, außerirdischen Wesen (darunter auch Cthulhu), ihrer Erschaffung der Shoggothen als Sklavenrasse und der Menschheit als Futterquelle. Versunken in der Geschichte der Alten Wesen, müssen Dyer und Danforth plötzlich feststellen: Sie sind nicht allein in dieser äonenalten Stadt.

Die Erzählung

Der abschließende Teil des Mangas ist noch einmal dichter, düsterer und geheimnisvoller als der Vorgänger. Während der erste Teil sich um das Mysterium der verwüsteten Lake-Expedition dreht, konzentriert der zweite Teil sich gänzlich auf Dyers und Danforths Erkundung der Stadt. Die beiden sind auf sich gestellt in dieser Metropole, die sich jeglichem menschlichen Verständnis von Architektur, Ordnung und Funktion entzieht. Tanabe entführt uns in die groteske Stadt der Alten Wesen und passt, wo nötig, erneut Lovecrafts Stil an das visuelle Erzählformat an. So wird die Geschichte der Stadt, wie die beiden Wissenschaftler sie aus den Wandgemälden entschlüsseln, im Vergleich zur Vorlage um einiges gekürzt. Nichtsdestotrotz werden die schrecklichen Implikationen, die diese Historie mit sich bringt, deutlich: Die bisherigen Theorien zur Entstehung des Lebens auf der Erde sind falsch; der Mensch ist weder die Folge komplexer, biochemischer Prozesse auf der Erde, noch wurde er von Gott als Krone der Schöpfung erschaffen.

Es gelingt Tanabe, den Spannungsbogen, den er ab dem ersten Teil kreiert, kontinuierlich weiterzuführen. Aus zunächst schleichendem Grusel in der antarktischen Einöde wird schließlich blanker Horror. Je weiter die beiden Forscher mit ihrer Erkundung kommen, desto mehr nimmt das Erzähltempo Fahrt auf – bis es schließlich zu einer fulminanten Verfolgungsjagd kommt.

Der Stil

Erneut vermag Gou Tanabe, den eigentlich unvorstellbaren und unbeschreiblichen Horror H. P. Lovecrafts zu verbildlichen. Ein geschickter Schachzug verhilft ihm dabei, das Grauen dennoch vage und somit der Vorstellungskraft der Lesenden zu überlassen: Tanabes Zeichnungen sind so realistisch und detailliert, dass sie desorientierend und stellenweise gar unleserlich sind. Die schrecklichen Lovecraftschen Kreaturen werden also zwar visuell dargestellt, bleiben aber dennoch unbegreiflich. Die Tatsache, dass der Manga ausschließlich in Schwarz-Weiß gezeichnet ist, unterstützt diesen Effekt.

Auch baut Tanabe im zweiten Teil die Stärke aus, die er im Auftakt zu H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns bereits unter Beweis gestellt hat: Er wechselt rapide zwischen kleinen, personenfokussierten Panels und doppelseitigen, großzügigen Landschaft- bzw. Stadtzeichnungen. Jede einzelne Zeichnung ist mit viel Liebe zum Detail kreiert und man sollte sich die Zeit nehmen, die Panels sorgfältig zu betrachten. Die eisige Kälte der Antarktis und die unheimliche Stille der Stadt vermag dieser Stil definitiv zu vermitteln.

Achtung, Spoiler: Die Shoggothen

Im Zuge der finalen Verfolgungsjagd tritt ein Aspekt zum Vorschein, der schlicht angesprochen werden muss. Sprechen wir also über den sprichwörtlichen Shoggothen im Raum.

H. P. Lovecraft war xenophob, rassistisch und anti-semitisch; selbst im direkten Vergleich mit seinen Zeitgenossen fallen seine krassen Haltungen auf. Die extremen Positionen des Schriftstellers können und sollten also keineswegs mit einem simplen Verweis auf "die allgemeinen Haltungen zur damaligen Zeit" entschuldigt werden. Immer wieder schlägt sich diese Weltanschauung auch in den Fiktionen Lovecrafts nieder: Die Vermischung von Rassen als Grundlage von Horror und Ekel; die Degeneration zivilisierter, kultivierter Völker durch äußere, barbarische Einflüsse. Dies sind nur zwei Beispiele dafür, inwiefern Lovecrafts Xenophobie ein entscheidender Teil seiner besonderen Form des Horrors ist. Dies bedeutet natürlich nicht, dass man das Werk des Autors nun ignorieren oder gar verbieten sollten; es bedarf vielmehr einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller und seinem Werk – insbesondere in Anbetracht aktueller globalpolitischer Entwicklungen.

Der Roman Berge des Wahnsinns ist in dieser kritischen Auseinandersetzung ein Schlüsseltext. Während Einige den Text als ein Zeichen für Lovecrafts Gemütswandel zum weniger fremdenfeindlichen Menschen hin sehen, interpretieren Andere ihn vielmehr als Bestätigung der "white supremacy"-Vorstellungen des Schriftstellers. Grund für diese Diskussion ist die Darstellung des Verhältnisses zwischen den Alten Wesen und den Shoggothen. Letztere wurden einst von den Alten Wesen als Sklaven erschaffen, um physische Arbeit zu verrichten. Während die Alten Wesen ihrer Vorliebe für Kunst und Kultur nachgingen, erbauten die tumben Shoggothen ihre Städte. Immer wieder werden die Alten Wesen im Roman als Hochzivilisation dargestellt, während die Shoggothen primitive Barbaren sind. Schließlich kam es jedoch zur Rebellion und letztendlich zum Untergang der Alten Wesen. Als Prof. Dyer, zunächst gleichzeitig fasziniert von der Kunst der Alten Wesen und schockiert von deren Brutalität und der Tatsache, dass sie die Menschheit zum Zeitvertreib und als Futterquelle erschufen, vom Sklavenaufstand erfährt, sympathisiert er plötzlich mit den Alten Wesen – eine äußerst problematische Aussage.

Exakt diese Passage hat Gou Tanabe jedoch kommentarlos und nahezu identisch mit der Vorlage übernommen. So stellt Prof. Dyer fest: "Für sich genommen waren diese Wesen sicherlich keine Dämonen, sondern die 'Menschen' ihrer Zeit. Sie folgten nur anderen Regeln. […] Wenn ich recht darüber nachdenke ist es falsch, sie als wild und grausam zu bezeichnen. Was haben sie schon Schlimmes getan?" In keiner Weise hinterfragt Tanabe die problematische Aussage hinter diesem plötzlichen Mitgefühl mit den Alten Wesen, dem Herrenvolk seiner Zeit. Dies verwundert, da Tanabe an anderer Stelle durchaus selbstbewusst in Lovecrafts Vorlage eingreift. So scheint es fast, als ob dem Mangaka der Eingriff entweder zu heikel oder nicht relevant genug gewesen sei. Ohne Zweifel steht jedoch fest: Einem Künstler von der Klasse wie Tanabe wäre es mit wenigen Mitteln gelungen, Lovecrafts Verherrlichung der Sklaverei in Berge des Wahnsinns zumindest einen kritischen Anstrich zu verpassen. So bleibt jedoch ein bitterer Beigeschmack bei dem ansonsten großartigen Horror-Manga.

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