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The Electric State

Ein illustrierter Roman

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Kategorie: Literatur

Wie kein anderer versteht es Simon Stålenhag, uns in eine alternative Science-Fiction-Version unserer Wirklichkeit mitzunehmen. Im Electric State hat sich eine interzerebrale Intelligenz verselbstständigt und die Welt in einem beklemmenden Stillstand zwischen apatischen Zivilisten und einer drängenden Gefahr zurückgelassen. Eine ebenso innovative wie bedrückende Vision für die Gegenwart.

Dank einer eigenen Amazon-Serie und diverser begleitender Produkte verbindet man die Kunst von Simon Stålenhag primär mit den Tales from the Loop. Der hier bereits besprochene illustrierte Roman war aber nur der Anfang. Mittlerweile liegen ganze drei solcher Roman-Bild-Konglomerate von Stålenhag vor, von denen bereits zwei übersetzt wurden. Während der in der deutschen Ausgabe für Mitte 2021 angekündigte bebilderte Roman Things from the Flood lose an die Tales anknüpft und die dort erschaffene Welt in die düstereren 90ern weiterverfolgt, geht der neueste, hier vorliegende Roman: The Electric State in eine etwas andere Richtung. Zwar erkennen wir einige Elemente aus den anderen Bänden wieder, der Zusammenhang zwischen Tales und Things auf der einen und dem Electric State auf der anderen Seite bleibt jedoch weitgehend offen. Aber der Reihe nach …

Von neuronalen Drohnenkriegen: Die Welt

Es wird wohl irgendwann in den mittleren 90ern gewesen sein, als die interzerebrale Intelligenz ihren Anfang nahm; die das Buch einleitende Werbung für  ‚mode 6‘ – ‚a new experience arrives‘ – ist jedenfalls auf November 1996 datiert. Ein an ein Schnabeltier erinnernder VR-Helm, der es den Nutzern und Nutzerinnen erlaubt, direkte neuronale Stimulationen und Kommunikation zu erfahren. Allzu gut ging diese Erfindung jedoch offensichtlich nicht aus. Skelette von Menschen, verstorben mit aktivierten Neurohelmen, liegen ausgetrocknet in der Mojave-Wüste; Durchschnittliche Büroarbeiter und Büroarbeiterinnen stehen scheinbar eingenickt an Sentre-Aufladestationen und gigantische Kriegsgleiter verwandeln ganze Landschaftsstriche in Elefantenfriedhöfe. Eine wahrlich bizarre und düstere Szenerie, kontrastiert mit überzogen lachenden, comicartigen Roboterkreaturen, Pop-Art-Werbung und etwas amerikanischer Vorstadthorroridylle. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie rätselhaft. Aber ein kurzer Einleitungstext gibt zumindest eine erste Antwort: Ein Dohnenkrieg, ferngesteuert von Menschen die in ein virtuell-reales Spiel versunken sind und alle mentale Energie auf die Vernichtung des Feindes lenken.

Düstere Szenerien regen Überlegungen zur Funktionsweise des Gehirns an.

Die Grundparameter vom Elektronischen Status – oder gar Staat? – sind schnell begriffen und genau genommen gar nicht mal so neu. Sich verselbstständigende Drohnenkriege, und sogar die hier nicht vorweggenommene Ästhetik der Kampfdrohnen, könnten versierte Science-Fiction-Leser und -Leserinnen zumindest in Zügen bereits von Philip K. Dick kennen (ich denke zumindest an Second Variety). Ja selbst die Auflösung der Geschichte wirkt P. K. Dick-esque. Das macht aber nichts. Dicks paranoide Visionen reichen allemal für zwei Autoren und bekommen von Stålenhag einen Dreh, der die Welt und Geschichte zum begeisternden Unikat macht.

Die große Stärke von Stålenhag liegt darin, eine zugleich skurrile wie plausible Welt zu zeichnen. Wie auch in den Tales from the Loop zieht Electric State seine fesselnde Kraft aus der Welt, die entdeckt werden will. Dies gelingt neben der detailverliebten Imagination Stålenhags primär dadurch, dass der Text mit realistisch gehaltenen Bildern verschmolzen wurde. Statt uns Neurohelme, Roboter oder Firmen nur zu beschreiben, kriegen wir gleich ausgefeilte und prägnant wiedererkennbare Modelle präsentiert. Und auch die schon erwähnte Firma Sentre kommt direkt mit eigenem Logo und Werbemotto daher, wodurch sie uns dann auch innerhalb der Geschichte auf Werbetafeln begegnen kann. So entsteht eine Immersion, die nur wenige Medien erreichen, was Multitalent Stålenhag diesmal sogar noch durch einen eigenen Soundtrack für das Buch unterstützt.

Roadtrip mit Rückblicken: Die Geschichte

Im Gegensatz zum Buch Tales form the Loop, dessen Kurzgeschichten eher einzelne unabhängige Vignetten sind, zieht sich diesmal eine durchgängige Geschichte durch den Band. Neben der Welt als heimlichen Protagonisten haben wir es diesmal mit einer leiblichen Protagonistin und einem diese begleitenden Roboter zu tun. Die beiden lange Zeit namenlosen Figuren schleppen sich durch den Staub einer postapokalyptischen Wüste auf dem Weg zum Meer. Dazwischen durchstreifen sie überfüllte Großstädte, Kriegsschiffruinen, eine Art Vergnügungspark und beunruhigende Vororte. Mit distanzierter, kühler Stimme beschreibt uns die Protagonistin, ein kaum aus der Pubertät gekommenes Mädchen, die Erlebnisse. Ebenso wie die Welt erkunden wir auch die beiden Charaktere dabei nur langsam. Wer sind die beiden? Was ist ihre Geschichte? Was ihr Ziel? Durch gelegentliche Flashbacks und Gespräche der Beiden lüftet sich das Geheimnis langsam, während die sie umgebende Welt immer bedrohlicher wird. Obwohl fast jede unmittelbare Gefahr oder Action fehlt, entsteht so eine atmosphärische Spannung, die mitreißen kann. Ja, selbst die eingeschobenen Reflexionen zur Funktionsweise des Gehirns – unter anderem anschaulich an der Frage diskutiert, ob das Phänomen Lasagne mehr ist als die Summe der durch sie ausgelösten neuronalen Reize, – erzeugen so etwas wie Spannung oder zumindest Faszination.

Und dann ist da das Ende. Neben der für sich schon faszinierenden Bedrohung (natürlich spoilere ich nicht), endet das Buch mit einer emotional bewegenden Auflösung einer zentralen Frage. Ohne große Ankündigung finden plötzlich Fäden zusammen, die wir vorher vielleicht nur als Begleitmusik gelesen haben, und lassen uns mit einer neuen Frage erschrocken zurück. Ein Effekt, den wohl nur eine gut geschrieben Kurzgeschichte – oder hier eben ein schnell zu lesender illustrierter Roman – leisten können.

Gigantische Werbetafeln bewerben die Firma Sentre.

Aufmachung und Übersetzung

In Bezug auf Aufmachung und Übersetzung gilt weitgehend, was ich bereits zu Tales from the Loop geschrieben habe. FISCHER Tor legt eine hochwertige Ausgabe vor, die dank der Übersetzung von Stefan Pluschkat nicht nur Freude beim Betrachten, sondern auch beim Lesen bereitet. Hier wurde mit großer Detailverliebtheit gearbeitet und ein Buch produziert, das sich zwar problemlos an einem ruhigen Nachmittag lesen lässt, aber noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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