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Drachenväter: Die Geschichte des Rollenspiels und die Geburt der virtuellen Welt

Ein charmanter, aber makelhafter Exkurs in die Welt des Rollenspiels

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Kategorie: Literatur Pen & Paper

Seit einigen Jahren erleben Pen-and-Paper-Rollenspiele wie Dungeons & Dragons eine Renaissance: Es werden zahlreiche neue Bände verlegt, alte Publikationen neu herausgebracht, weitere Spielsysteme entwickelt. Bereits vor knapp zehn Jahren setzten sich die Autoren Tom Hillenbrand und Konrad Lischka daran, die Geschichte des Rollenspiels aufzuarbeiten und dabei auch dessen Weg in die virtuelle Welt der Computerspiele nachzuzeichnen. Das Ergebnis erschien 2014 unter dem Titel Drachenväter: Die Geschichte des Rollenspiels und die Geburt der virtuellen Welt und ist ein hochwertig gedruckter, flüssig zu lesender Prachtband, der inhaltlich jedoch nicht hält, was der Titel verspricht.

Anlass von Hillenbrands und Lischkas beachtlichem Projekt, das sie mittels Crowdfunding erfolgreich finanziert haben, bot das 40. Jubiläum der inzwischen kolossalen Dungeons & Dragons-Spielwelt. Die beiden Autoren haben nicht nur eine umfangreiche Recherche betrieben, sondern sich auch mit zahlreichen kreativen Köpfen zusammengesetzt, die die Welt der Rollenspiele aktiv mitgeformt haben. Hinzu kommen Dutzende in Farbe gedruckte Bilder, die aus verschiedenen Quellen sorgfältig zusammengetragen wurden. Kurzum: Drachenväter ist von der ersten bis zur letzten Seite ein Herzensprojekt.

Die Zielsetzung

Bereits der Titel des Sachbuchs verdeutlicht, wo die Reise hinwill. Dieses Buch soll nichts weniger als die Geschichte des Rollenspiels aufarbeiten. Der Klappentext setzt noch einen drauf, denn er beginnt mit der spannenden Frage, woher Videospielmechaniken wie Erfahrungspunkte, Levelaufstiege und Lebensenergie stammen. Damit stellt das Buch auch den direkten Zusammenhang zwischen den Rollenspielen der 1970er und den heutigen Triple-A-Titeln her. Natürlich werden auch literarische Größen wie J. R. R. Tolkien und George R. R. Martin genannt.

Der Blick ins Inhaltsverzeichnis bringt eine solide Übersicht über dieses sehr weite Feld: Drachenväter beginnt mit den Vorläufern von Pen-und-Paper-Systemen, darunter insbesondere sogenannte Kosims („Konfliktsimulationen“), geht anschließend auf die Geschichte der Fantasyliteratur ein (allen voran Robert E. Howard, H. P. Lovecraft und natürlich J. R. R. Tolkien) und widmet sich von da an ausführlich dem Giganten Dungeons & Dragons. Zwar gibt es im Mittelteil des Sachbuchs auch den gelegentlichen Abstecher in anderen Spielsysteme, wie beispielsweise Das Schwarze Auge und Pathfinder. Doch letztlich bleibt der Fokus auf D & D. Der Hauptteil schließt mit einem Exkurs ab, der von Dungeons & Dragons inspirierte Videospiele kurz vorstellt. Im Anhang finden sich, neben Literaturhinweisen, noch ein Glossar der wichtigsten spielmechanischen Aspekte und andere Bonusinhalte.

Die Umsetzung

Der vermutlich größte Schwachpunkt von Drachenväter ist, dass hier Dungeons & Dragons mit „Rollenspiel“ gleichgesetzt wird. Dieses Sachbuch stellt daher nicht die Geschichte des Rollenspiels nach. Dafür liegt der Fokus viel zu stark auf D & D. Im Fantasy-Genre lässt das Buch zahlreiche andere Rollenspielsysteme bestenfalls kurz aufleuchten, jenseits dieses Genres aber meist gänzlich unter den Tisch fallen. Das offensichtlichste Beispiel für diese Lücke sind Horrorrollenspiele, die nach dem Vorbild H. P. Lovecrafts entstanden. Zwar wird Lovecraft in einem 14-seitigen Kapitel vorgestellt, doch innerhalb dieses Kapitels werden nur wenige Sätze auf die Relevanz des kosmischen Horrors im Pen-and-Paper-Spiel verloren. Was dem Ganzen die Krone aufsetzt: Es wird mehr über Gary Gigax’ Versuche, den Cthulhu-Mythos in Dungeons & Dragons einzubauen, geschrieben, als über das inzwischen ebenso gigantische Rollenspiel Call of Cthulhu aus dem Hause Chaosium (deutscher Verlag: Pegasus Spiele). Wie dünn der Bezug zwischen Lovecraft und dem Rollenspiel in Drachenväter ist, darüber täuschen auch die zahlreichen Scans von Cthulhu-Regelbüchern nicht hinweg, die im Kapitel eingefügt sind.

Ebenso ärgerlich ist, wie das letzte Kapitel im Hauruckverfahren Computerspiele durchprügelt, die irgendwie irgendetwas mit Dungeons & Dragons zu tun haben könnten. Waren die vorherigen Kapitel noch sorgfältige, unterhaltsame Reisen durch die bewegte Geschichte von TSR, Games Workshop und Co., verliert sich dieser Abschnitt in einem nüchternen Enzyklopädie-Charakter – und lässt einmal mehr aus, wie auch andere Pen-and-Paper-Systeme das Videospiel geprägt haben. Diese und andere Lücken wären deutlich besser zu verschmerzen gewesen, wenn das Sachbuch bereits im Titel nicht ein gänzlich anderes Versprechen machen würde.

Deutlich positiver fällt dagegen auf, dass zahlreiche Personen der Rollenspielwelt im Buch als Interviewpartner*innen selbst zu Wort kommen oder aber direkt zitiert werden. Dabei gelingt es Hillenbrand und Lischka, die Größen der Szene nicht zu verherrlichen; vielmehr behalten sie stets ein kritisches Auge, was der bewegten Geschichte von Dungeons & Dragons nur gerecht wird. Hier wäre es durchaus spannend zu lesen gewesen, wie die beiden Autoren die Rollenspielwelt heute, knapp zehn Jahre nach der Veröffentlichung ihres Buches und somit auch nach dem breiten Wiederaufleben des Hobbies ebenso wie nach Wizards of the Coasts Open Game License-Fauxpas, einschätzen würden.

Zum Schreibstil

Wer schon einmal versucht hat, einen Text gemeinsam mit anderen zu schreiben, weiß, wie schwierig das ist. Es müssen genaue Absprachen getroffen werden, wer für welche Bausteine zuständig ist; anschließend muss sorgfältig geprüft werden, dass es in den einzelnen Versatzstücken keine gravierenden Lücken oder Doppelungen gibt; und natürlich sollte am Ende auch der Schreibstil halbwegs homogen sein.

Letzteres gelingt Hillenbrand und Lischka ungewöhnlich gut. Jedes Kapitel liest sich flüssig und das Buch ist ein wahrer Pageturner. Dabei bleibt der Schreibstil immer auf demselben hohen Niveau. Dass hier mehr als ein Autor am Werk war, merkt man Drachenväter nicht an.

Anders sieht es jedoch bei den beiden erstgenannten Faktoren aus: Viel zu häufig finden sich im Text Wiederholungen aus anderen Kapiteln; teilweise werden Absätze verbatim zweitverwertet. Das senkt die Lesefreude zwar nicht erheblich, sorgt aber dafür, dass das Sachbuch an einigen Stellen so wirkt, als wären mehrere für sich stehende Aufsätze zum Thema Rollenspiel grob überarbeitet, mit einer Einleitung und einem Schlussteil versehen und anschließend zu einem Buch zusammengefügt worden.

Die Aufmachung

Drachenväter ist äußerst wertig hergestellt. Als edler Hardcoverband mit Lesebändchen und Farbdruck kann sich das Buch in jedem Regal sehen lassen. Bereits die Haptik macht Lust auf mehr.

Jedes Kapitel wird von zahlreichen Bildern begleitet, die mal Auszüge aus den besprochenen Rollenspielbüchern präsentieren, dann wieder Fotografien relevanter Persönlichkeiten oder aber die Cover verschiedener Publikationen sind. Somit laden die Illustrationen zum Verweilen ein. Oftmals können hier handschriftlich ausgefüllte Charakterbögen oder aufwendig gestaltete Buchumschläge betrachtet werden. Leider werden die meisten dieser Bilder allerdings nicht in den Text eingebunden, stehen also recht kontextlos da. Absoluter Overkill ist hier das Kapitel zu Tolkiens Mittelerde, in dem viermal verschiedene Bildstrecken der berühmten deutschen grünen Ausgabe von Der Herr der Ringe abgedruckt sind – von den Umschlagbildern der englischen und amerikanischen Ausgaben wollen wir an dieser Stelle schon überhaupt nicht mehr reden.

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