Als ich Diablo 2 damals im Juni 2000 zu Release spielte, besaß ich einen klobigen Röhrenbildschirm mit einer maximalen Auflösung von 1024x768 Pixeln und musste diese trotzdem noch auf 800x600 Pixel herunterschrauben. Das war die damals höchste Auflösung von Diablo 2 und dennoch fand ich das Spiel mit seinen optionalen Parallax-3D-Effekten auf 2D-Hintergründen überaus schön und immersiv. Der direkte Vorgänger Diablo konnte mit dieser Pracht nicht mithalten.
Es war einmal vor 22 Jahren ...
Ich spielte Diablo 2 für lange Zeit alleine und mit Freunden auf Lan-parties und kaufte mir natürlich auch das Add-On Lord of Destruction mit seinem fünften Akt. Doch es war das Zeitalter der großen Grafiksprünge und schon bald spielte ich lieber Baldur's Gate: Dark Alliance auf der PS2, welches das Action-RPG-Genre in die dritte Dimension erhob und mit optimierter Controllersteuerung auch zugänglicher für Einsteiger war. Ohne den Erfolg von Diablo und seinem Nachfolger hätte es das ganze Genre jedoch nie gegeben. Kaum zu Glauben, dass der erste Teil zuerst als Rundentaktikspiel mit Permadeath konzipiert worden war und quasi über Nacht zu einem Echtzeit-Hack&Slay umprogrammiert wurde.
Manch glückliche Fügung ergibt sich eben kurzfristig. Heute blicken wir auf eine schiere Masse an Diablo-Klonen zurück: Path of Exile, Torchlight (welches von den ehemaligen Diablo-2-Entwicklern Travis Baldree und Eric Schaefer stammt), Titan Quest, Lost Ark oder Grim Dawn um nur ein paar modernere zu nennen. Aprops modern: 2021 erschien mit Diablo 2: Ressurected ein Remaster für PC und Konsolen. Es ist wie ein Klassentreffen: Man erwartet die selben Gesichter, die man vor 21 Jahren das letzte Mal gesehen hat, und blickt in die Fratzen geschundener Seelen die ein gefühltes Jahrtausend überdauert haben. Oh, warte, das war der klassische Grafikmodus. Diablo2 hat doch ein rundum erneuertes Facelifting bekommen ...
*Klick*
So, das sieht doch schon viel besser aus. Ganz so, wie ich es in meiner nostalgisch verklärten Erinnerung habe. Gut, die Welt ist in kerzengerade, rechtwinklige Flächen unterteilt, die sich nur wenig unterscheiden, ein Preis den wir für den Zufallsgenerator zahlen müssen, denn kein Durchlauf ähnelt dem anderen. Die Level werden jedes Mal neu zusammengewürfelt und die ebenfalls zufälligen Bossgegner haben die lustigsten Namen. Wer zuckt nicht erschrocken zusammen, wenn er dem blitzewerfenden Skelett "Darmschaum, die Geißel" und seiner klapprigen Gang in der nächtlichen Steppe von Tristram begegnet?
Und die Musik? Die unverändert atmosphärischen Gitarrenklänge von Matt Uelmen erklingen in ihrer schaurig schönen Melancholie und werden der endgültige Katalysator, um meine spirituelle Zeitmaschine in Gang zu setzen. Sie funktioniert! Ich bin wieder 18, bin gerade dabei mein Abi zu machen und verbringe meine Wochenenden mit dem Looten und Leveln in der Gameplay-Tretmühle eines verblichenen Zeitalters, während besorgte Eltern mich wegen des Diablo-2-Titelcovers an der Kasse für einen Satanisten halten.
Ich glaube, ich habe es mehr als deutlich gemacht: Wenn ihr noch sehr jung seid, werdet ihr die Faszination wahrscheinlich nicht verstehen, denn Grafikpolitur hin oder her, Diablo 2 ist nur der Beginn einer über zwei Jahrzente langen Evolution des Spielekomforts. Oder doch nicht?
Die Welt von damals
Also, bleibt ein Weilchen und hört auf zu jammern. Deckard Cain erzählt euch, warum der tägliche Schulweg eurer Eltern sie durch fünf Akte mit grausamen Höllenfürsten durch verfluchte Klöster, brennendheiße Wüsten, unbarmherzige Dschungel und sogar in die Tiefen der Hölle höchstselbst führten und zwar jeden Tag. Mit einem Rucksack, der so klein war, dass sie nur das Nötigste mitnehmen konnten. Dem Tod ins Auge blickend, wanderten sie "nach Westen, stets nach Westen", dem einsamen Wanderer hinterher, der die Seele Diablos in sich trug und den Kampf im seinem Innern gegen den Teufel persönlich zu verlieren drohte. Die Hintergrundgeschichte von Diablo 2 wird damals wie heute mit grandiosen Renderszenen erzählt. Doch sind wir nicht Teil davon. Gewissermaßen wandern wir dem Wanderer nur hinterher. Aus einer Riege von sieben Kämpfern verschiedener Klassen, die auch die später hinzugekommenen Figuren des Add-Ons Lord of Destruction beinhalten, wählen wir schließlich eine Klasse, mit der wir die Reise antreten wollen. Angekommen im Basiscamp machen wir uns auf den Weg zu Andariel, der ersten von fünf Höllenfürsten. Die ersten Nebenquests führen uns durch bekanntes Terrain. Hier hat Diablo 1 stattgefunden und der einsame Wanderer, den wir verfolgen, ist niemand Geringeres, als der gefallene Held des ersten Teils. Die Welt von Sanctuary ist eine Düstere, ohne Hoffnung und mit überwältigender Präsenz dämonischer Kreaturen, die uns leicht überwältigen können. Nicht so leicht, wie in Dark Souls, aber durch schiere Masse und einem Mangel an Heiltränken in unserem winzigen Inventar. In Diablo 2 wird die Größe des Inventars durch 40 quadratische Felder festgelegt. Hier befindet sich alles, was wir mit uns tragen: Heiltränke, Manatränke, Portalrollen, Identifikationsrollen und Runen. Jedes einzelne Item belegt einen Platz, manche sogar bis zu drei. Zwar können wir für die Schriftrollen Folianten kaufen, doch haben wir trotzdem schnell das Limit erreicht, wenn wir unsere ersten Rüstungsteile und Waffen aufgesammelt haben. Dann geht es zurück ins Camp, wo wir alles verkaufen und bei Bedarf noch identifizieren. Das passiert am Anfang so oft, dass wir uns schnell entscheiden nur noch den guten Kram mitzunehmen.
Und weg isses ...
Manchmal finden wir Dinge, die unsere Klasse nicht tragen kann oder für die wir nicht weit genug gelevelt sind. Diese legen wir dann in unsere Truhe, auf die wir auch mit anderen Klassen Zugriff haben. Hier legen wir auch das eingesammelte Gold ab, denn jeder Tod kostet uns eine beträchtliche Summe unseres Gewinns, den wir bei uns tragen. Und nicht nur das: Wir verlieren auch unsere Ausrüstung selbst. Umringt von zahllosen Gegnern, die uns mit unserer besten Ausrüstung niedergestreckt haben, liegt nun unsere Waffe bei unserer Leiche weit hinter den feindlichen Linien, wo wir eine einzige Chance haben, sie wiederzuerlangen.
Wenn eure Eltern euch also sagen "Wür hoddn jo nüschts", dann liegt das wohlmöglich daran, dass sie im dritten Akt zum wiederholten Male von ekelhaften Fetischen überwältigt worden waren.
Solch waghalsiges Gameplay ist in Diablo 2: Ressurected keineswegs leichtsinnig, sondern notwendig, denn viele Gegner können einfach und blitzschnell wiederbelebt werden, solange wir die nervigen Schamanen nicht eliminiert haben und natürlich befinden diese sich in den hinteren Reihen. Je nach Klasse wählen wir aus drei Skillbäumen neue Talente aus, die wir frei wählen können. Allerdings sollten wir unsere Punkteverteilung mit Bedacht wählen, denn nach Level 99 ist Schluss und dafür allein sind mehrere hundert Stunden und Durchgänge erforderlich. Im Multiplayer müssen wir uns den Loot teilen und wenn wir mit fremden Spielern spielen, ist die Chance groß, dass sie uns alles vor der Nase wegklauen, während wir gerade unser überfülltes Inventar entmüllen wollen. Das Leben ist halt nicht fair. Wer online spielen will, muss sich übrigens einen speziellen Onlinecharakter bauen. Dann könnt ihr mit bis zu acht Spielern zusammen spielen und an regelmäßigen Events teilnehmen. Allerdings nicht über den geteilten Bildschirm. Jeder Teilnehmer braucht eine eigene Plattform und einen Internetzugang. Ade, du schöne Lan-party.
Der Zeitgeist spielt mit
"Wie kann man so bestrafendes Gameplay gutheißen?", denken einige von euch wahrscheinlich. "Das ist ja noch schlimmer als jeder From-Software-Titel. Ohne die guten Waffen wird man zurückgeworfen, der Fortschritt wird zum Rückschritt, wenn man nicht aufpasst. Die Lernkurve wird zur Frustkurve". In der Tat: Als ich Diablo 2 nach 20 Jahren wieder spiele wird meine Nostalgie beinahe zur Allergie. Ich bin erwachsen, hab nach einem anstrengenden Arbeitstag kaum Zeit und Energie, um mich in ein Spiel zu stürzen, das mich mehr fordert als mein Chef. Dabei bin ich doch die Zielgruppe, oder? Nun zumindest war ich das vor 20 Jahren. An dieser Stelle könnte ich jetzt schreiben, dass Diablo 2 schlecht gealtert ist und mehr Komfortfunktionen nicht geschadet hätten. Es gibt sogar einige Verbesserungen, die es ins Remaster geschafft haben: Wir sammeln Gold jetzt automatisch auf, können unsere Skillbäume dreimal zurücksetzen und die Truhe im Camp ist stark gewachsen. Außerdem bietet Diablo 2: Ressurected durch seinen Konsolenrelease auch eine nahezu perfekte Konsolensteuerung an. Im Vergleich zur PC-Steuerung ist diese komfortabler zu bedienen. Zaubersprüche werden nicht mehr durchgescrollt, sondern können auf zwei mal sechs Slots verteilt und sofort benutzt werden. Die Analogsticks sorgen für eine präzise Steuerung und bieten mit seiner runderneuerten orthografischen 3D-Grafik einen stufenlosen Zoom. Zudem wurden kleine Details verbessert um das Endgame interessanter zu gestalten.
Für wen ist das Remaster?
Doch mit dem Release von Diablo 2: Ressurected hat Blizzard nicht einfach nur ein altes Spiel im neuen Gewand veröffentlicht. Denn für Fans des Action-RPGs werkelt das Studio derzeit ja noch an Diablo 4 und neue Spieler sollten sich definitiv eher darauf freuen. Diablo 2: Ressurected ist vielmehr ein spielbares Museumsstück, das eine Reise zu den Anfängen erlaubt, in der die Spieleindustrie das Bestehen selbst zum Spielziel erklärte. Es ist ein Spiel dessen Zeitgeist die Herausforderung in den Vordergrund stellte. Und damit ist seine Zielgruppe weder älter geworden, noch ausgestorben. Mit der Wiedergeburt des Roguelike-Genres und wie Hades, Enter the Gungeon, Darkest Dungeon oder dem PS5-Exklusiven Returnal ist uns eine neue Generation frustresistenter Gamer herangewachsen, die keine Angst vor verlorener Zeit haben. Ich stelle resignierend fest, dass Diablo 2: Ressurected gar nicht gealtert ist, sondern nur ich selbst. Es wäre daher unfair, das Spiel aus meiner eigenen Perspektive zu bewerten. Deswegen komme ich zu einem generationsübergreifenden Fazit:
Das Produkt wurde kostenlos für die Besprechung zur Verfügung gestellt.