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Baltimore – Band Eins

Lord Baltimores Rachefeldzug

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Kategorie: Literatur

Ein berühmtes Zitat aus dem Science-Fiction-Genre besagt, dass Krieg immer gleich bleibt. Dass dem nicht ganz so ist, wusste man allerdings schon in der phantastischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Selbstverständlich wurde der rasante technische Fortschritt auch – oder zuvorderst? – zur Optimierung von Kriegsgerät genutzt. Fahrende Panzerschiffe eroberten das Land, Schnellfeuergewehre und Bomben mit unfassbarer Sprengkraft veränderten den Krieg von Grund auf. Anstatt ihn jedoch – wie so mancher Autor vorhersagte – auf wenige Tage zu komprimieren, zog und zieht sich der ‚moderne‘ Krieg in die Länge. Insbesondere der Erste Weltkrieg konnte das mit seinen ewigen Stellungskriegen und Schützengräben in besonders trister Weise verdeutlichen.

Baltimores Geschichte beginnt genau vor dieser Kulisse. Natürlich werden wir als Lesende nicht mit unendlicher Kriegsödnis gelangweilt, wir können die Furcht im Schützengraben aber zumindest ansatzweise nachfühlen, wenn uns der Hauptcharakter – Lord Henry Baltimore – Einblicke in seine Kriegserfahrungen gibt. Die sind durchaus realistisch gehalten, stellen allerdings auch die zentrale Abzweigung in der Geschichte der Parallelwelt von Baltimore dar. Gereizt durch das Massensterben und ein Ereignis, das hier ungenannt bleiben muss, kehren Vampire in der Welt ein, beenden die Schrecken des Krieges vorzeitig und ersetzen ihn durch neuen, untoten Horror.

Diese Welt bildet nun den eigentlichen Horizont für Baltimores Abenteuer. Den ehemaligen Soldat der britischen Streitkräfte hat der Krieg nicht nur ein Bein gekostet, sondern auch eine Fehde mit einem mächtigen Vampir eingebracht. Rastlos vor Rachsucht durchquert unser Held daher Europa, um seinen Erzrivalen zu stellen und auf dem Weg allerhand Horrorgeschöpfe zu bekämpfen. Über weite Strecken ist Baltimore daher ein kampfbetontes Vergnügen. Lord Baltimore weiß mit Säbeln, Pistolen, Bajonetten und Harpunen umzugehen, und kann es trotz fehlender Superkräfte mit ganzen Monsterscharen aufnehmen. Getragen werden diese fulminanten Szenen von der geschickt gewebten Handlung und dem überzeugenden Thema.

Die Thematik

Von der Handlung an sich soll aber nicht allzu viel verraten werden. Das Grundmotiv ist die Jagd des Lords auf seinen Erzfeind. Baltimore hat dementsprechend fast immer einen Anlass, den omnipräsenten Gefahren nachzugehen, wobei er nicht aus moralischem Eifer oder gar Mitleid handelt, sondern getrieben ist von einem gut begründeten Rachebedürfnis. Dieser enge Kontakt mit dem Bösen hat nun wiederum die Inquisition auf Baltimores Spur gebracht. Diese Katz-und-Maus-Konstellation sorgt für eine offene, aber dennoch zusammenhängende Geschichte, die in gewisser Weise sogar aufgelöst wird. Der persönliche Hintergrund Baltimores wird nie ganz aus den Augen verloren, wir haben es jedoch auch nicht mit einer durchgehenden Erzählung zu tun.

Die Thematik entspricht im Groben dem, was wir aus dem erweiterten Mignolaverse gewohnt sind. Zentral sind Motive des Okkultismus und eines verdrehten Christentums. Die Grenzen des Todes sind verschwommen, sodass Vampirismus – konzipiert als eine kluge und schnelle Art des Zombietums – und Nekromantie ständige Bedrohungen ausmachen. Christliche Insignien und handfeste Waffen ermöglichen es Baltimore, als ein moderner Van Helsing gegen diese Bedrohungen vorzugehen. Die Welt ist von Verfall und Horror gezeichnet, kann aber die wunderschönen europäischen Kulissen stellenweise kontrastreich bewahren.

Nicht nur durch die realen Schauplätze liest sich Baltimore deutlich bodenständiger als beispielsweise Hellboy. So wird Legendenstoff deutlich zaghafter in die Realität eingebettet. Teleportationen, extreme technische Gerätschaften, Realitätssprünge und andere phantastische Motive bleiben weitgehend aus. Nichtsdestotrotz wird manche Retro-Scifi-Technologie präsentiert und auch die ein oder andere Okkultistin ins Leben gerufen. Auch bedeutet das nicht, dass es in Baltimore insgesamt sanfter zugeht. Eher im Gegenteil: Die folternde Inquisition, die Grauen des Roten Todes und die menschliche Korruption wirken vor den realistischeren Kulissen fast noch heftiger, zumal ein überirdischer Held fehlt, um uns zu retten.

Inhalt

Band Eins des Sammelbandes enthält acht Geschichten auf fast 600 Seiten, die vorher auf ganze vier Sammelbände aufgeteilt waren. Besonders stark sind hier die umfangreichen Erzählungen. Die Pestschiffe erzählt auf etwa 120 Seiten vor allem die Vorgeschichte Baltimores und gibt Einblicke in die Kriegstechnologie. Baltimores Vergangenheit wird in Die Glocken der Verdammnis in ähnlichem Umfang weiter enthüllt. Hier steht jedoch okkulter (Nazi-)Horror vor idyllischer Schweizer Kulisse im Vordergrund und es wird der sympathische amerikanische Vampirjournalist Hodge eingeführt, dem wir später wieder begegnen werden.

Auf diese beeindruckenden und umfangreichen Erzählungen folgen fünf kürzere Episoden, die Schlaglichter auf einzelne Aspekte der Welt Baltimores werfen. Die Witwe und der Panzer ist zwar in seiner Auflösung eher klassisch, wirft aber ein  dramatisches Bild auf die Individualschicksale vor dem Hintergrund des vampiristischen Weltkriegs. Im durchreisenden Fremden erleben wir die Korruptionsmacht des neu erwachten Horrors und die Reaktion einer deutschen Dorfgemeinschaft. Das Schauspiel ist vielleicht die ungewöhnlichste Geschichte. Baltimore durchreist hier Verona im wunderschönen Italien und gerät in eine makabre Theateraufführung. Große Liebe vermischt die Ebenen von Schauspiel und Wirklichkeit. Die Geschichte greift kunstvoll auf Maskenball-, Pest- und  italienische Theatermotivik zurück. Ein Gastauftritt des nicht zufällig in Baltimore geborenen Meisters der Kurzgeschichte Edgar Allen Poe sorgt für eine komplexe und packende Erzählung. Dr. Leskovars Elixier spielt an der unschuldigen aber auch tristen Dalmatischen Küste, wo sich harte Action und gefühlvolle Einblicke in einfaches Zivilistenleben abwechseln. Der Inquisitor stellt schließlich einen perfekten Übergang für die letzte Geschichte dar, indem der Fokus auf den bereits genannten Inquisitor gelegt wird und Baltimore überhaupt nur am Rande auftaucht. Der Höllenzug ist schließlich wieder eine mehrere Kapitel umfassende Geschichte, die das Finale der vorhergehenden Erzählungen darstellt und gewissermaßen auch abschließt, weshalb hier nicht mehr verraten wird.

Trotz der Vielzahl an unterschiedlicher Motivik, Schauplätzen und Handlungen gelingt es den Geschichten, sich organisch ineinander zu fügen. Die einzelnen Erzählungen lassen sich zwar auch für sich alleine lesen, verflechten sich aber zu einer dichten Handlung und Charakterentwicklung, die man kaum mehr aus den Händen legen kann.

Grafische Umsetzung

Obwohl Mike Mignola zusammen mit  Christopher Golden durch den Roman Baltimore, oder der standfeste Zinnsoldat und der Vampir der Schöpfer der Welt ist und dementsprechend als Hauptautor fungiert, wurde die künstlerische Umsetzung hauptsächlich von Ben Stenbeck übernommen. Dessen Umsetzung erfolgte zwar in enger Zusammenarbeit mit Mignola, der auch für Coverartwork, Paneldesign und diverse Fallentscheidungen verantwortlich war, der eigentliche Comic zeigt aber eindeutig Stenbecks Federführung. Dessen Umsetzung ist äußerst passend. Typische Stilmittel, die man von Mignola erwartet, werden effektiv eingesetzt, ohne wie eine Imitation zu wirken. Markante Linienführung, effektvolle flächige Farbkontraste – zugegeben das Werk von Dave Stewart – und ein markanter Einsatz von Schatten erzeugen das typische Mignolaverse-Gefühl. Verglichen mit der sehr expressiven Linienführung von Mignola kommt Stenbecks Interpretation fast konservativ daher, das tut dem Buch aber keinen Abbruch. Der im Verhältnis deutlich realistischere Stil macht die Geschichte Baltimores etwas verdaulicher, ohne dass dadurch die verstörende Tiefe  verloren würde, und deckt sich mit dem Ton der Erzählungen.

Wie viel Liebe zum Detail im Artwork steckt, können die jeweils beigefügten Sketchbooks deutlich machen. Hier finden sich diverse Vorarbeiten für Charaktere, Monster und technische Ungetüme, die selbst kleinste Details darstellen. Auch unterschiedliche Coverentwürfe und (alternative) Paneldesigns werden präsentiert, die sogar einen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen Mignola und Stenbeck geben.

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