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Autonom

Ein Roman über Fortschritt, Gier und Selbstbestimmung

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Kategorie: Literatur

Annalee Newitz beschäftigt sich als Journalistin und Bloggerin schon lange mit den Themen Wissenschaft, Fortschritt, Ethik und Kultur. Ihre Texte wurden in Popular Science und in Wired veröffentlicht, außerdem ist sie Mitgründerin des Blogs io9, der sich mit den Zusammenhängen zwischen Science Fiction, Technologie und Fortschritt beschäftigt. – Beste Voraussetzungen für einen spannenden Science-Fiction-Roman mit Tiefgang und Gegenwartsbezug.

Die Welt im Jahr 2144: Medikamente, die ihre Konsumenten leistungsfähiger, schöner oder glücklicher machen, und Bioimplantete gehören zum Alltag der Menschen. Sich selbst bewusste KIs sind schon lange ein Teil der Gesellschaft, obwohl sie noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen haben, und es hat sich eine neue Form der Sklaverei oder Leibeigenschaft entwickelt. In dieser Welt lebt Jack als Patentpiratin. Sie kopiert die Medikamente der großen Pharmafirmen und verkauft sie günstig an die Armen, um die Welt ein bisschen gerechter zu machen. Unwillentlich tritt sie jedoch eine Katastrophe los: Sie kopiert ein Medikament, das noch nicht für den Markt freigegeben wurde und – gesetzeswidrig – Menschen nach Arbeit süchtig macht. Etliche Abhängige arbeiten sich zu Tode oder lösen durch ihre Arbeitssucht schiere Katastrophen aus. Der Ermittler Eliasz und der Kampfroboter Paladin werden von dem Pharmaunternehmen beauftragt, die Piratin zu finden und zu töten. Währenddessen kämpft Jack darum, in jungen Wissenschaftlern und alten Freunden Verbündete zu finden, die ihr dabei helfen, ein Gegenmittel herzustellen.

Newitz kombiniert in Autonom eine erschreckend realistische Zukunftsvision mit einem rasanten Wissenschaftskrimi und sympathischen Charakteren mit Wiedererkennungswert. Sie haben nachvollziehbare Wünsche und Ziele und wirken auch manchmal ein bisschen naiv – sogar die eigentlich abgebrühte Jack –, wissen aber, was sie wollen und sind bereit, dafür zu sterben und zu töten. Da Newitz abwechselnd aus der Sicht beider Seiten erzählt und die Handlung so umso lebendiger gestaltet, weiß man im Finale gar nicht, auf wessen Seite man nun steht. Newitz gelingt es durch ihre schnörkellose und zugleich detaillierte Erzählweise mit Augenzwinkern, eine spannende, dystopische Zukunftsvision heraufzubeschwören, die gleichzeitig unterhält und zum Nachdenken anregt.

Fortschritt um jeden Preis?

Newitz liegen mit Autonom zwei Themen besonders am Herzen: die Vor- und Nachteile des human biological enhancement, also der Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit durch Medikamente, und die Rechte von sich selbst bewussten KIs und Robotern. Da Newitz selbst als Wissenschafts- und Technikjournalistin tätig ist, gelingt es ihr, ihre Dystopie umso realistischer erscheinen zu lassen.

In der Welt von Autonom gehören Medikamente, die die Menschen jünger aussehen lassen, ihre Sinne verbessern oder bei der Arbeit einen extatischen Rausch bescheren, schon lange zum Alltag. Dabei bindet Newitz die aktuellen Debatten über die ethische Vertretbarkeit solcher Medikamente clever in ihre Dystopie ein. Sie stellt nicht die Frage „Dürfen wir oder dürfen wir nicht?“, sondern zeigt an lebensnahen Beispielen, wie sich das Enhancement auf das Leben einzelner auswirken kann. Menschen werden älter, es gibt weniger körperliches Leid und es tun sich völlig neue Wirtschaftszweige auf. Zugleich entsteht aber auch eine starke soziale Ungerechtigkeit, da sich nicht jeder die Medikamente leisten kann, und besonders die Armen oder Abhängigen werden der Spielball der Pharmakriminalität.

Roboter, Menschen und die Liebe

Zugleich beleuchtet sie auch die Schattenseiten der Roboterrechte. Den KIs ist es in Autonom gelungen, sich in einem langwierigen Prozess ihre Anerkennung als Personen und schützenswertes Leben zu erkämpfen. Um sie trotzdem nicht als Arbeitskräfte zu verlieren, sind neu gebaute Roboter für eine bestimmte Zeit an einen Vertrag gebunden. Haben sie diese Zeit abgearbeitet, bekommen sie Bürgerrechte und einen sogenannten Autonomieschlüssel, der es ihnen erlaubt, ein „Ich“ zu entwickeln. Seitdem werden jedoch auch Menschen als Sklaven auf Zeit gehalten, da es nicht mehr zu rechtfertigen ist, dass alle Menschen bedingungslos autonom leben dürfen, die Roboter jedoch nicht. Anstatt die Roboter anzugleichen und als Arbeitskräfte zu verlieren, hat man den Menschen lieber ihre Grundrechte genommen.

Der Handlungsstrang um Eliasz und Paladin beschäftigt sich neben der Jagd nach Jack auch mit der Entwicklung eines Roboters zu einer autonomen Person. Paladin, zunächst ein er, später eine sie, beginnt während der Verfolgungsjagd eine Liebesbeziehung mit ihrem menschlichen Partner, in deren Verlauf sie zu ihrer eigenen Persönlichkeit findet. Was zunächst schön und auch ein wenig niedlich klingt, wirft bei genauerem Hinsehen jedoch einige Fragen auf.
Noch bevor Paladin für sich selbst ein Pronomen findet, beginnt sie die Beziehung mit Eliasz. Sie merkt schon früh, dass er sich von ihr sexuell angezogen fühlt, weiß damit jedoch zunächst nicht umzugehen. Im Laufe des Romans findet sie dann über Recherchen und Gespräche heraus, wie es um die menschliche Sexualität gestellt ist und wie sie sich ihm gegenüber verhalten kann. Dabei kommt ihre Liebe möglicherweise nicht von ungefähr: Sie ist darauf programmiert, ihrem Partner treu zu dienen und für sein Wohl zu sorgen. Paladin ist sich sicher, dass es mehr ist als bloße Programmierung, als Leserin kann ich mir ihre Verliebtheit jedoch nicht anders erklären: Eliasz weist nämlich kaum andere Qualitäten auf als braune Locken, ein Talent dafür, sich dumm zu stellen, und eine sexueller Vorliebe für Roboter mit großen Maschinengewehren. Als Paladin bemerkt, dass Eliasz die Vorstellung, in einen quasi männlichen Kampfroboter verliebt zu sein, in eine Existenzkrise stürzt – um keinen Preis der Welt will er als homosexuell gelten –, ändert er kurzerhand sein Pronomen und identifiziert sich von nun an als sie.

Es ist zwar eine spannende Frage, wie sich ein geschlechtsloses Wesen in eine Welt einfindet, in der es noch immer Norm ist, jeden in die Kategorien „männliche“ und „weiblich“ einzusortieren, darüber hinaus muss man sich jedoch auch fragen, wie viel von Paladins Persönlichkeit von ihr selbst und wie viel von Eliasz’ Projektionen kommt. Ist es wirklich so schön und so niedlich, wenn ein Wesen sexualisiert wird, noch bevor es weiß, was das Wort „Ich“ bedeutet? Eigene Freunde, eigene Ziele, ein Lieblingsort, ein Lieblingsfilm – alles Fehlanzeige. So etwas braucht Paladin nicht, solange Eliasz bei ihr ist. Führt Paladin tatsächlich eine gesunde Beziehung zu ihrem Partner und, viel wichtiger, zu sich selbst?

Wenn ich mir Figuren wie Olympia aus Der Sandmann, Maria aus Metropolis, Rahel aus Do androids dream of electric sheep? oder Ava aus Ex Machina ansehe, scheint es mir, als stände Paladin damit in einer langen Reihe. (Weiblich erscheinende) Androiden werden zu Lustobjekten degradiert, was normalerweise zur Katastrophe führt. Aber wenigstens gibt es für Paladin ein Happy End. Sie grübelt zwar kurz, ob es tatsächlich Liebe oder nur Programmierung ist, und lässt sich dann kurzerhand von ihrem Prinzen in eine bessere Welt entführen. Ist das also der Sinn des (künstlichen) Lebens? Das wird wohl kaum Newitz’ Botschaft sein, doch man muss zwischen den Zeilen lesen.

Fazit

Newitz’ Roman ist ein spannender dystopischer Krimi, der mit liebenswerten Charakteren Themen verhandelt, die trotz ihres futuristischen Settings bereits heute top-aktuell sind. Obwohl sie tief in die Materie eintaucht, wird die Handlung auch für einen Biochemie-Laien nicht langweilig. An dem Beispiel der Liebesgeschichte zwischen Paladin und Eliasz wird jedoch auch deutlich, dass der Geschichte etwas mehr Biss und ein wenig mehr Mut, Probleme auch wirklich als Probleme aufzuzeigen, gut getan hätten. Autonom lohnt sich für jeden Science-Fiction-Fan oder an Naturwissenschaften Interessierten und ist ein Muss für alle, die die Zukunft nicht unvorbereitet auf sich zukommen lassen wollen.

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