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Abenteuer gestalten

Rollenspieltheorie für Praktiker

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Kategorie: Pen & Paper

Ein eigenes Rollenspielabenteuer erfolgreich zu leiten, gehört sicher zu den positivsten Erfahrungen als Spielleiter*in. Wenn die eigene Idee rund läuft, die Spieler sich auf den Plot einlassen, Nichtspielercharaktere noch mehrere Abende in Erinnerung bleiben und alle vom abschließenden Twist überrascht sind, hat man als Spielleitung alles richtig gemacht. Solche gelungenen Rollenspielabenteuer schreiben sich jedoch nicht von alleine. Es braucht Inspiration, viel Übung und manchmal auch einen kleinen Anstoß von außen. Mit Abenteuer gestalten haben sich Andreas Melhorn und der System Matters Verlag das Ziel gesetzt, genau diesen kreativen Stein ins Rollen zu bringen. Das ungewöhnliche Buch soll auf etwa 260 Seiten alles (oder zumindest das meiste) enthalten, um Abenteuer zu erfinden, auszugestalten und erfolgreich zu leiten. Sicherlich kein leichtes Unterfangen …

Mit Andreas Melhorn hat sich kein unbekannter ans Werk gemacht. Er begleitet die Rollenspielszene schon seit einer gefühlten Ewigkeit und kann so in seinen Ausführungen auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz aufbauen. Melhorn bringt einen wunderbar flüssigen Schreibstil mit, der sich trotz umfangreicher Recherche nie belehrend liest, sondern immer nahbar, praktisch und offen subjektiv bleibt. Um nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen aufzubauen, hat er sich außerdem eine ganze Reihe an Unterstützer*innen gesucht. So haben der Spieleforscher Daniel Heßler, die Autorin und Diversity-Expertin Judith Vogt und der ehemalige Cthulhu-Chefredakteur Frank Heller im Buch handschriftliche Notizen im Haftzettelformat hinterlassen, auf denen sie nützliche Ergänzungen und Hinweise geben oder auch mal einfach nur besonders wichtige Aspekte hervorheben.

Notiz von Judith Vogt

Das handschriftliche Format ist ein ungewöhnlicher Designkniff, der optisch gelungen ist und glücklicherweise (fast) immer leserlich bleibt. Als ob das nicht genug wäre, sind außerdem noch ein gutes Dutzend weitere Rollenspielveteranen mit Zusatztipps vertreten. Hier findet sich ein wahres „who is who“ der Rollenspielszene, bestehend aus Verleger*innen, Autor*innen oder einfach nur erfahrenen Spielleiter*innen. Durch eingestreute Zusatztipps, Haftnotizen, Listen und angenehm kurze Zwischenkapitel schafft es das Buch sogar die bei einem so theoretischen Thema zu befürchtende Bleiwüste aufzubrechen. Besonderes Lob muss hier dem wunderbaren Layout und den treffenden Illustrationen von Maria Hecher ausgesprochen werden. Ihr Aquarellstil sieht nicht nur phantastisch aus, sondern man merkt den Zeichnungen auch an, dass sich intensiv mit dem Text auseinandergesetzt wurde. Text und Bild ergänzen sich optimal und sorgen für ein entspanntes Lesevergnügen. Dazu, dass sich die Lektüre von Abenteuer gestalten nach Schmökern und nicht nach Arbeit anfühlt, trägt auch der Aufbau bei. Die Abschnitte sind durchweg kurz gehalten, verweisen aufeinander und laden so zum Querlesen ein. Dazu ermuntert uns sogar das Einleitungskapitel, in dem „Gebrauchsanweisungen“ für verschiedene Zielgruppen gegeben werden. Schon hier wird deutlich: Abenteuer gestalten will ein praktischer Begleiter sein, keine Seminararbeit!

Nützlicher Tipp von Daniel Heßler

Abenteuertypen

Nach der Gebrauchsanweisung widmet sich das Buch den Grundlagen von Rollenspielabenteuern. Hier geht es recht theoretisch zur Sache, indem erst einmal Begriffe geklärt werden. Was ist eine Story? Was unterscheidet eine Story von einem Plot? Und was ist genau eine Handlung? Wie kann man Spannungsbögen verstehen und erzeugen – und was ist eigentlich dieses böse „Railroading“? Diese Begriffsklärung ist nicht nur für den weiteren Aufbau des Buches wichtig, sondern auch äußerst frisch und anregend geschrieben.

So legen etwa die Ausführungen zum leidigen Thema „Railroading“ – also eines Abenteuers, das sich wie auf Schienen anfühlt – ihr Augenmerk auf die subjektive Erfahrung der Spieler*innen und geben direkt Möglichkeiten an die Hand, um solche Situationen zu vermeiden. Etwa, indem man offen über den Rahmen des Abenteuers kommuniziert, oder die Abenteuer so auslegt, dass die Spieler*innen aktiv in die Richtung des Abenteuers gehen wollen. „Railroading“ – so die Beobachtung – hat seinen Sitz im Gefühl der Spieler*innen und hat erstaunlich wenig damit zu tun, wie viel tatsächliche Freiheit die Spieler*innen haben.

Nützliche Tipps können sich überall verstecken

Die gegebenen Überlegungen sind bei näherer Betrachtung naheliegend, aber selten so klar und augenöffnend und praktisch formuliert wie in Abenteuer gestalten. Vermutlich erzählt man auch niemandem etwas Neues, wenn man feststellt, dass man Abenteuer in drei Teile unterteilen kann. Einleitung, Hauptteil und Schluss dürfte schließlich nahezu jede*r aus dem Schulunterricht kennen und ist vielen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie kaum mehr drüber nachdenken müssen. Übersetzt man diese Trias aber in „stelle Fragen, arbeite mit Fragen, beantworte Fragen“, eröffnet sich plötzlich ein ganz neuer Blick auf diese Dreiteilung. Statt trocken nach drei Akten zu suchen, wird so gleich eine inspirierende Fragestellung an die Hand gegeben und ein neuer Blick auf Abenteuergestaltung geworfen. Insgesamt brilliert Andreas Melhorn darin, sich auf das zu konzentrieren was am Spieltisch zählt. Hier beißen wir uns nie durch Definitionen zum Selbstzweck, sondern haben immer einen erfrischenden Blick auf die Praxis. Kaum ein Abschnitt, in dem man auch nach langer Rollenspielerfahrung keinen kleinen Aha-Moment hat. Sei es, weil Bekanntes in klare Worte gefasst wird, oder sich ganz unerwartet eine neue Perspektive auftut.

AHHA, das sind also Bangs!

Mehr als die Hälfte des Buches befasst sich mit Techniken zur Abenteuergestaltung. Im dritten umfangreichen Kapitel werden unterschiedliche Abenteuerformen und Szenentypen vorgestellt und sogar um Brainstorming-Methoden und Spielleitertipps ergänzt. Den Einstieg machen hier die sogenannten ortsgebundenen Abenteuer, also Abenteuer, die im Wesentlichen durch die zu besuchenden Orte sowie ihre jeweiligen Gefahren und Hinweise bestimmt werden. Der Klassiker ist hier natürlich der Dungeon, wobei Melhorn – äußerst bewandert im sogenannten „Oldschool-Rollenspiel“ – zahlreiche Dungeontypen unterscheidet und ein sehr weites Verständnis davon hat, was alles ein Dungeon sein kann. Die Abschnitte sind rollenspielhistorisch höchst interessant, helfen aber natürlich auch dabei seine eigenen Dungeonabenteuer ganz praktisch zu gestalten. Ein Kontrastprogramm der ortsgebundenen Abenteuer sind schließlich „Sandbox-Ansätze“, also Abenteuer oder ganze Rollenspielsysteme, in denen sich die Spielgruppe selber ihre Ziele und Aufgaben sucht. Wiederum werden unterschiedliche Stile dieser Art von Abenteuern vorgestellt, aber vor allen Dingen herausgestellt, worin die Stärken und Fallstricke der Ansätze liegen. So widmet sich gleich der Einstieg der Frage, wie ein guter Informationsfluss gewährleistet werden kann, sodass sich die Gruppe weder überfordert fühlt, noch gelangweilt ist. Eine Frage, die man schnell viel zu spät im Blick hat.

Eine ganz andere Art des Abenteueraufbaus machen handlungsgeführte Abenteuer aus. Hier sind weniger die Orte, sondern vielmehr die Geschehnisse im Mittelpunkt. Das Buch stellt Modelle zur Plotstrukturierung anschaulich dar, die helfen können, um Abenteuer zu entwerfen oder deren Konstruktion bewusster zu verstehen. So etwa die „ABCDEF-Methode“, mittels derer eine klassische Pulpgeschichte dargestellt werden kann (A steht für Anfang, B für Bedrohung, C für eine Complication usw.), oder die „AHHA-Methode“, in der sich Actionszenen (A) und Hinweise (H) abwechseln. Auch das Kapitel zu personengeführten Abenteuern fällt ähnlich knackig aus. Hier werden Beziehungsnetzwerke vorgestellt sowie „Bangs“, die einen besonderen Typ von flexibel einsetzbaren charakterbezogenen Szenen darstellen. Schließlich bekommt auch das besonders anspruchsvolle Detektivabenteuer einen eigenen Abschnitt gewidmet.

Selbst abstrakte Konzepte wie die „Museumsstruktur“ mit der Detektivabenteuer entworfen werden können, sind anschaulich illustriert worden.

Abenteuer gestalten legt mit diesen Abenteuertypen nicht nur eine unglaublich umfangreiche Sammlung von Ideen und Methoden für die unterschiedlichen Abenteuertypen vor, sondern hilft dabei, das Entwickeln und Leiten von Abenteuern bewusster zu gestalten. Niemals geht es dabei um methodische Reinheit. Abenteuer können zwar theoretisch oder zu Übungszwecken strikt nach einem der vorgestellten Schemata erstellt werden, in der Praxis wird man die Methoden aber meist kombinieren und als Anregung nehmen. So regt das Buch zu alternativen Arten der Rollenspielvorbereitung an oder auch einfach dazu, darüber nachzudenken, welche Funktion einzelne Szenen einnehmen (sollen).

Hallo Fred

Fast schon ein eigenes Kapitel stellt schließlich der Unterabschnitt Ideenmaschinen dar. Hier widmet sich Andreas Melhorn Kreativitätstechniken mit denen man die Grundideen für Abenteuer sammeln kann. Richtig eingesetzt braucht man so nie mehr Angst vor einem zu spät vorbereiteten Abend zu haben. Wiederum setzt er theoretisch ein, indem er den Prozess gekonnt auf die Formel „die richtigen Fragen stellen“ bringt. Auf die Idee aufbauend, dass ein auf die relevanten Fragen konzentrierter Prozess fast schon automatisch ein spielbares Abenteuer erzeugt, stellt er eine für Rollenspielabenteuer adaptierte Form der Ideensammlung- und Ordnung vor, die er aus der Seminararbeit ableitet. Die Methode ist im Endeffekt ein durch die richtigen Fragen gesteuerter Ideensammlungsprozess, der mit einigen Kniffen zu einem Abenteuer ausgebaut werden kann. Hier überlassen wir uns ganz dem kreativen Unterbewusstsein, hier Fred genannt. Wem solch ein freier Prozess zu unsicher ist, der kann schließlich auch auf Hilfsmittel zurückgreifen und etwa von den kartenbasierten Methoden Gebrauch machen. Solche Überlegungen lassen sich nicht nur zum (spontanen) Abenteuerschreiben nutzen, sondern auch für Improvisation am Spieltisch. Hier greift das abschließende Teilkapitel ein, in dem Techniken für verschiedene Spielarten vorgestellt werden, etwa das Erstellen von praktischen Listen, das Zerlegen von Abenteuern in sogenannte „Inseln“ oder das Nutzen von (popkulturellen) Vorlagen als Inspirationsquellen.

Wenn Fred einmal läuft ist er kaum mehr zu bremsen.

Damit wären wir auch schon bei den Genres gelandet. Das letzte umfangreiche Kapitel widmet sich fünf ausgewählten Genres: Fantasy, Horror, Pulp, Superhelden und Science Fiction. Kurz und knackig werden die Spezifika des Genres herausgearbeitet, Subgenres und dominante Themen vorgestellt und schließlich besonders passende Techniken und sogar eine Abenteuerschablone für das Genre entworfen. Wiederum kann der abstrakte und trotzdem praktische Blick überzeugen. Die Genrekapitel ersetzen keine Quellenbücher, sind aber äußerst nützlich, um die Spezifika und Spannungsbögen eines Genres zu verstehen.

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