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88 Namen

Kurz Kim-Jong Un Videospiele beibringen

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Kategorie: Literatur

100.000 Dollar um einem Noob ein paar Gaming-Tipps zu geben. Dieses verlockende Angebot kann der 21-Jährige John Chu natürlich nicht ausschlagen. Doch dabei gerät er immer mehr in ein gefährliches Spiel im Internet. Es scheint als ob dieser unerfahrene, mysteriöse Klient Nordkoreas Oberster Führer, Kim-Jong Un, sei! Ungeachtet dieses Risikos versucht John Chu ein doppeltes Spiel mit ihm zu spielen und riskiert dabei nicht nur im digitalen Netz um sein Leben zu spielen!

Die Handlung von 88 Namen spielt in naher Zukunft, in der sowohl Virtual Reality (VR), als auch das Internet sich weiterentwickelt haben. Durch moderne Technologie und Geräte, die man sich ähnlich der heutigen VR-Brille am Körper befestigt, wird das Leben im Internet-Dschungel deutlich haptischer, erlebbarer und auch emotionaler als heutzutage.

Wer beispielsweise Informationen über ein fremdes Land möchte loggt sich in "Factbook" ein und bekommt eine dreidimensionale Darstellung des gewünschten Ortes, den man selbst nach Belieben virtuell erkunden kann. Ein Reiseguide nach Nutzerpräferenz erklärt einem dann zudem alles, was man dazu wissen möchte. Diese Darstellung des Autors Matt Ruff erinnert an ein interaktives "Google Maps" oder an den Discovery Modus bei den "Assassin’s Creed" Videospielen, bei denen man eine virtuelle Tour im Videospiel durch das alte Griechenland oder Ägypten erleben darf. Genauso kann man sich nach den Vorstellungen des Autors in der Zukunft mittels VR mit den Doubles von Prominenten bei einer gemeinsamen cybersex-Nacht in exotischen, irrealen Welten vergnügen. Ein Angebot das der Protagonist von 88 Namen mehrmals in Anspruch nimmt, ohne dass er das wirkliche Äußere seiner nächtlichen Partner zu sehen bekommt.

Doch auch Massively Multiplayer Online Role-Playing Games, kurz MMORPGs, haben sich weiterentwickelt. Statt "Everquest" oder "World of Warcraft" ist es das neue fiktive Videospiel "Call to Wizardry", welches Millionen an Gamern weltweit in seinen Bann zieht.

Das Leben des John Chu besteht zu einem großen Teil aus dieser virtuellen Welt. Statt nur zum Spaß zu zocken hat dieser sein Hobby zum Beruf gemacht. Als Leiter einer sogenannten "Sherpa"-Gilde erfüllt er gegen Bezahlung seinen Kunden in "Call to Wizardry" jeden Wunsch. Doch auch in anderen MMORPGs hat John Chu Accounts und lässt sich für seine Hilfe bei Raids vergüten. Die insgesamt 88 verschiedenen Accounts erklären auch den Titel 88 Namen. 

Alles gut oder eine Zukunft auf Abwegen? 

Eigentlich könnte man meinen, dass alles im Leben von John Chu soweit ausgezeichnet verläuft. Zwei Probleme hat John Chu aber. Am Ende des ersten Kapitels werden diese den Leser*innen offenbart. Zum einen hat er sich mit seiner über "Call to Wizardry" kennengelernten Freundin Darla verzankt. Diese kann, seinen Worten nach "eine echte Bitch" sein und es ist nur eine Frage der Zeit, dass sie sich an John rächt. Doch eigentlich hat John sie echt gerne und wünscht sich den alten Konflikt mit seiner Online-Freundin aus der Welt zu schaffen. Zum anderen hat er kürzlich einen merkwürdigen Auftrag in seiner E-Mail erhalten. Ein gewisser Mr. Jones bietet ein wöchentliches Honorar von 100.000 Dollar, nur dafür, dass John ihm die Grundlagen verschiedener MMORPGs zeigt. Die Sache läuft soweit super, besonders als auf Johns Paypal-Account plötzlich die genannte Summe überwiesen wurde. Kurz nach seinem ersten virtuellen Treffen mit dem ominösen Kunden, nimmt die angeblich chinesische Ms. Pang mit ihm Kontakt auf. Ihre Forderung: John solle keine Fragen stellen, ihre Anweisungen befolgen und ihr Mr.Jones ausliefern. Ohne lange zu Überlegen akzeptiert John ihre Konditionen für eine wöchentliche Vergütung von 200.000 Dollar. So denkt der Protagonist, einen guten Deal gemacht zu haben, doch sein Handeln soll sich bald als großer Leichtsinn herausstellen. 

"Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist"

"Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist", ist die Unterschrift eines populären Cartoons aus den 1980ern aus der englischen Zeitung "The New Yorker". Dieser Spruch gilt auch heute und sogar in der nahen Zukunft der Welt von 88 Namen. In den Onlinewelten trifft man dort auf Charaktere aller Arten und obwohl John tausende Stunden mit seinen virtuellen Freund*innen in diesen Welten verbringt, weiß er praktisch nichts über deren reales Privatleben. Aus den Gesprächen mit ihnen setzt sich lediglich ein Bild über sie zusammen. So zieht er aufgrund deren Einstellungen zu bestimmten Themen oder über das Aussehen derer Online-Avatare Rückschlüsse über die Person, die im Real-Life hinter dem Avatar steckt. Er erschließt sich anhand weniger Indizien die vermeintliche Identität seiner Auftraggeber und gerät somit in eine Welt voller Spekulationen.

Die Leser*innen dürfen mit John darüber rätseln, wer am anderen Ende hinter dem Rechner sitzt. Eigentlich verblüffend wie wenig man sich wirklich kennt.

Pures Geek-Gold?

Wer "Ready Player One" von Ernest Cline gelesen oder den Kinofilm von Steven Spielberg gesehen hat, der wird viele Parallelen zu 88 Namen erkennen. Beide Werke sind bis zum Rand voll gespickt mit Anspielungen auf die Nerd-Kultur. John Chu ist ein Vollblut-Nerd und kennt sich besonders gut mit Klassikern wie "Buffy the Vampire Slayer", "Star Trek", "Firefly", oder dem Videospiel-Urgestein "Zork" aus. Es fühlt sich für die Leser*innen dennoch falsch an, in der Haut eines 21-Jährigen digital Natives aus dem Jahre 2050-60 zu stecken, der aber für ihn 80 Jahre alte Filme und Spiele zitiert. Auch sind Seiten wie Facebook, welche bereits heute unter den digital Natives den einstigen Reiz verloren haben, in seiner Zukunft verblüffenderweise immer noch der neueste Schrei. Auch werden Youtube oder Twitter von John bei Langeweile konsultiert, statt dass er auf moderne Alternativen für "coole Jugendliche" wie TikTok oder Instagram zurückgreift. An diesen Textpassagen merkt man,  dass der Autor kein "moderner" Gamer ist. Primär sind Matt Ruffs Anspielungen an Nerd-Material auf die 1980er bis etwa zum Jahr 2005 datiert. Das ist zwar logisch, denn wie soll Matt Ruff auf zukünftiges Material verweisen, welches er selbst nicht kennen kann. Zudem sind viele dutzende Referenzen zur amerikanischen Kultur enthalten. Dies ist soweit greifbar, da sowohl der Autor ein New Yorker ist und die Handlung in den USA spielt. Für nicht amerikanische Bürger sind diese Easter-Eggs aber schwerer nachzuvollziehen beziehungsweise erst nach dem eigenen Googlen ersinnlich. 

Für wen ist das Werk? 

Wer bereits Gamer ist, dem sind die Fachbegriffe bekannt und benötigt beispielsweise keine Erklärung darüber, welche Aufgaben ein Tank oder ein Healer in einer Gruppe zu erfüllen haben. Wer mit Videospielen bzw. Rollenspielen nichts zu tun hat, der wird sich  – trotz der Erklärungen zu Fachbegriffen im Guide des Buches – schwer tun. Er wird dann nicht am Folgen der einfachen Handlung scheitern, sondern an den hunderten Nerd-Kultur Anspielungen. Diese kleinen, witzigen Referenzen zu verstehen macht jedoch den Charme des Werkes aus. Wer sich mit Online Videospielen nicht auskennt, der wird wohl kaum Freude daran haben einen großen Teil des Buches "Liebesbriefe" des Autors an Videospiele à la "Grand Theft Auto" oder "World of Warcraft" lesen zu müssen. 

Ein Abenteuer in drei Akten 

88 Namen zeichnet sich durch eine kurzlebige, humorvolle und skurrile Story aus. 

Die Charaktere des Werkes verkörpern nicht bloß Stereotype, wie Nichtspielercharaktere (NSC) in einem Rollenspiel. Die Nebencharaktere von 88 Namen befriedigen nicht nur ihre Aufgaben für den Handlungsstrang, sondern haben alle ihren eigenen Charme. 

Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Zunächst erfolgt eine Einführung, dann folgt die virtuelle Welt und abschließend sind die Leser*innen mit John im Real Life angekommen. Der dritte Teil und damit der Höhepunkt dieses Werkes fällt recht flach aus und die Probleme, welche sich im Laufe des Buches aggregiert haben, lösen sich zu komfortabel auf. Hier verspricht der Buchrücken von 88 Namen mehr als wirklich passiert. Es ist der Naivität des Protagonisten geschuldet, der erst mit seinen wilden Gedanken die Leserschaft dazu bringt an seine große Weltverschwörung zu denken. Es stimmt also abschließend nicht nur für John, sondern auch für diesen Roman, dass das virtuelle Leben aufregender als die Wirklichkeit ist. 

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