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Die schwarze Grippe

Das kleine Corona-Weltuntergangs-Lesebuch

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Kategorie: Literatur

Die Kurzgeschichtensammlung Die schwarze Grippe: Das kleine Corona-Weltuntergangs-Lesebuch, herausgegeben von Joachim Körber, nimmt die aktuelle Pandemie zum Anlass, um eine kleine Selektion von Kurzgeschichten rund um Seuchen und weltumgreifende Krankheiten vorzustellen. Enthalten sind Erzählungen von Edgar Allan Poe, Jack London und Edgar Wallace, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen; viele der enthaltenen Geschichten sind sogar zum ersten Mal in die deutsche Sprache übersetzt worden. Damit möchte das Buch einen Querschnitt durch die Geschichte literarischer Pandemien bieten, kann letzten Endes aber nicht wirklich überzeugen.

Schaut man sich Seuchen und Pandemien an, wie sie in der Literatur seit Jahrhunderten dargestellt werden, dann stellt man schnell zwei Dinge fest: Erstens, krankheitsbedingte Weltuntergangsszenarien darf man ob ihrer Beliebtheit in der Popkultur getrost als eigenständige literarische Form betrachten, die in vielerlei Genres auftritt (medizinische Thriller, Horror, Science-Fiction, etc.). Zweitens, diese literarische Form ist extrem heterogen und experimentierfreudig, probiert stets neue Szenarien aus – die virusbedingte Zombieapokalypse ist ein Beispiel hierfür. Solche fiktionalen Pandemien sind Gedankenexperimente, die sozialkritische Fragen stellen können, die Gesellschaft aus einer verfremdeten Perspektive betrachten wollen und/oder die einfach unterhalten möchten. Aber genau diese Stärken nutzt Die schwarze Grippe leider kaum aus.

Eine einseitige Auswahl

Die schwarze Grippe bietet den Lesenden zehn Kurzgeschichten und das Gedicht "Die Pest" von Friedrich Schiller; die meisten der Beiträge können dem Genre des medizinischen Thrillers zugeordnet werden. Besonders erfreulich ist dabei, dass Joachim Körber mit seinen qualitativ wirklich hochwertigen Übersetzungen gleich mehrere Erzählungen zum ersten Mal nun auch in deutscher Sprache verfügbar macht. Dazu zählt beispielsweise eine Kurzgeschichte aus der Feder Edgar Wallace’ oder auch eine recht kurze Geschichte Lafcadio Hearns. Unterm Strich wagen die gewählten Beiträge jedoch zu wenig, sind sich oftmals zu ähnlich und sind vor allem schlicht zu männlich.

Dieser Eindruck entsteht bereits bei der Lektüre des Klappentexts: Hier werden Schriftsteller wie Giovanni Boccaccio, Daniel Defoe und Charles Brockden Brown als die großen Namen der literarischen Seuche genannt – von ihren weiblichen Kolleginnen Mary Shelley, Margaret Atwood, Octavia Butler oder auch Carmen Maria Machado fehlt jede Spur. Schaut man sich das Inhaltsverzeichnis an, ist lediglich einer der insgesamt elf Beiträge von einer Frau verfasst.

Doch die Kritik richtet sich hier nicht nur die Auswahl der Autor*innen, sondern gilt vielmehr auch für die Erzählperspektiven der jeweiligen Beiträge. Die Geschichten von Fred M. White, Teddy Keller und J. F. Bone strotzen nur so von heroischen männlichen Wissenschaftlern, die die Welt vor einer Pandemie retten, und nach denen entweder die Krankheit an sich oder deren Heilmittel benannt wird. Lafcadio Hearns Kurzgeschichte handelt gar von einem Mann, der als einziger Überlebender des männlichen Geschlechts sich seinem Schicksal beugt und für den Erhalt der menschlichen Rasse sorgt, indem er über 15.000 Kinder zeugt. Für sich genommen mögen diese Erzählungen durchaus unterhaltsam sein und gelegentlich sogar zum Nachdenken einladen; geballt in einer einzelnen Anthologie ist es jedoch zu viel des Guten.

Dennoch hat auch Die schwarze Grippe hat einige Highlights, auf die man sich freuen darf. Hier meine Top 3 der enthaltenen Beiträge:

Edgar Allan Poe, "König Pest"

In einer Anthologie über Seuchen darf Edgar Allan Poe selbstverständlich nicht fehlen, hat der Großmeister der amerikanischen Gothic Fiction doch gleich mehrere Erzählungen zu dem Thema verfasst. "König Pest" handelt von zwei Seemännern, die im pestverseuchten London des 14. Jahrhunderts betrunken in ein Fest des Pest-Königs und seiner seltsamen Gesellschaft stolpern. Poe bringt in seiner Beschreibung der Gesellschaft so viel Makabres und Abstoßendes zusammen, dass das Ergebnis letzten Endes humorvoll und grotesk ist. König Pest und seine Untertanen fungieren allesamt als Allegorien und Symbole für Tod und Krankheit. Etwas befremdlich ist daher, dass in dieser Übersetzung der Kurzgeschichte deren Untertitel "A Tale Containing an Allegory" (dt. "Eine Erzählung, die eine Allegorie enthält") ausgelassen wurde.

Tananarive Due, "Patient Null"

Der junge Jay lebt bereits seit mehreren Jahren in einem Quarantänezimmer, wo er von Ärzten überwacht wird und von einer Krankenschwester Hausunterricht erhält. Mittels Tagebucheinträge hält Jay seine Erlebnisse und Eindrücke fest. Für die Lesenden eröffnet sich hier ein Bild des schleichenden Verfalls: Man kann nur vermuten, dass die Welt außerhalb Jays Zimmer nicht mehr die ist, wie wir sie kennen. Jay scheint der Indexfall einer tödlichen Krankheit zu sein, für die niemand außer der Junge selbst eine Immunität entwickelt hat. Mit der Zeit greift der apokalyptische Zerfall auch in der Forschungsstation um sich, in der sich Jays Quarantänezimmer vermutlich befindet – die Besuche des Pflegepersonals werden immer seltener … Die Wahl der Erzählform ist in Dues Beitrag genial: Die Handlung erzählt sich ausschließlich durch Jays Tagebucheinträge. Dadurch setzt sich das Bild dessen, was ist, und dessen, was in der Vergangenheit passiert ist, nur langsam und fragmentarisch zusammen. Viele Fragen bleiben gänzlich ungeklärt, denn Jay ist nur ein kleiner Junge, der kaum verstehen kann, was um ihn herum eigentlich passiert. "Patient Null" ist der einzige Beitrag der Anthologie, der von einer Autorin verfasst wurde, und die einzige Erzählung, deren Hauptcharakter kein erwachsener Mann ist.

Richard Kadrey, "Jenseits des dunklen Gewässers"

Diese Erzählung entführt die Lesenden in eine dreckige, surreale Cyberpunk-Welt der pandemischen Postapokalypse. Eine tödliche Krankheit hat einen Großteil der Menschheit ausgelöscht und einige Bezirke sind einer dauerhaften Quarantäne unterstellt worden. Der namenlose Erzähler, der konsequent nur als der "Dieb" bezeichnet wird, möchte aus der Quarantänezone fliehen und heuert für diesen Zweck einen ebenso namenlosen und zwielichtigen "Führer" an, der ihm durch den tödlichen Dschungel der ehemaligen Stadt helfen soll. Kadreys Kurzgeschichte entwirft ein düsteres, minimalistisches Szenario, das dennoch Aufschluss über die gesamte Handlungswelt gibt.

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