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Wildflower - Die Gesetzlose

Der wilde Westen und greifbare Hilflosigkeit

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Kategorie: Literatur

Aster und Clementine sind Staubblütige, das heißt, sie haben keinen Schatten. Menschen ohne Schatten werden als geborene Kriminelle angesehen und dienen als Leibeigene in ewiger Zinsschuld. Ausgeliefert dem Gutdünken ihrer Herrschaften.

Die beiden Schwestern wurden von ihrer Familie an ein Welcome House verkauft. Eine Einrichtung, in der Mädchen zur Prostitution gezwungen werden. Widersetzen sie sich, werden sie von sogenannten „Raubvögeln“ seelisch gequält. Dennoch sieht es nach außen so aus, als hätte es die Good Luck Girls besser getroffen, da sie zumindest medizinisch versorgt werden und keinen Hunger leiden müssen. Das sehen die Mädchen von Madame Fleur allerdings anders, denn sie werden Abend für Abend den Wünschen und Wünschen der Männer unterworfen, die das Welcome House besuchen. Ihre eigenen Bedürfnisse sind dabei nicht von Interesse. Wird nicht gespurt, gibt es Folter.

Aster, die ältere der beiden Geschwister, wurde bereits in die Arbeit als Good Luck Girl eingewiesen. Clementines „Glücksnacht“, also der Übergang von einer Bediensteten zur Prostituierten, steht gerade an. Ihre Jungfräulichkeit wurde an den Meistbietenden verkauft. Doch als der sich der jungen Frau nähert und sie mit groben Händen seinem Willen unterwerfen will, gerät Clementine in Panik und tötet ihren Peiniger. Als Konsequenz droht ihr unendliche Folter oder der Tod. Es sei denn, sie schafft es zu fliehen. Nicht nur ihre Schwester Aster, auch andere Mädchen ergreifen die winzige Chance, diesem qualvollen Leben entkommen zu können. Gemeinsam begeben sie sich auf eine schier unmögliche Flucht durch den Grind, einer Gegend ganz im Zeichen des Wilden Westens.

Zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit

Die Flucht scheint aber zunächst erstmal nur ein Übergang vom Regen in die Traufe zu sein, denn die Welt des Grinds ist von tausend Gefahren bevölkert. In den Wäldern gibt es nicht nur Gesetzeshüter und die gefürchteten Raubvögel, die auf der Jagd nach den Geflüchteten sind, sondern auch Rächer: Geistwesen, die voller Aggressionen und Wut sind und alles jagen, was lebendig scheint. Auch Hunger und Orientierungslosigkeit kommen hinzu, denn die ehemaligen Good Luck Girls sind durch eine Korkade gekennzeichnet, ein Mal, das über Dekolleté, Hals und Kinn verläuft und sich nicht abdecken lässt. Eines der Mädchen kennt ein Gerücht über eine Frau, die fähig ist, dieses Zeichen zu entfernen. Der letzte Hoffnungsschimmer, für den es sich zu kämpfen lohnt. Denn ohne die Korkade könnten sie vielleicht ein normales Leben führen. Doch dafür müssen sie meilenweit reisen. Ohne Geld, ohne Unterstützung und mit zahlreichen Jägern im Rücken. Zwar erhalten sie Hilfe von Zee, einem Wegemann, der sich in der Wildnis auskennt, doch wer weiß, ob sie ihm überhaupt trauen können.

Charlotte Nicole Davis schafft es, eine Welt im Wilden Westen aufzubauen, die nicht nur das dafür typische grobe Charakterbild aufweist, sondern eng mit dem Thema Sklaverei und Leibeigenschaft verbunden ist. Die Korkaden – ähnlich der dunklen Haut der People of Color – „brandmarken“ die Frauen als Menschen ohne eigene Rechte. Sie sind dem Vorurteil unterworfen, allein durch ihre Geburt kriminell zu sein, und werden in Leibeigenschaften gezwungen, aus denen sie sich nicht befreien können. Der Kampf der Good Luck Girls ist ein Kampf um Gleichberechtigung und ein selbstbestimmtes Leben für all diejenigen, die sich nichts zuschulden kommen lassen haben, sondern allein aufgrund ihrer Herkunft Rassismus ausgesetzt sind.

Emotionale Herausforderung

Der Kampf der Gefährtinnen, sich ein eigenes Leben aufbauen zu können, fernab von Vorurteilen und Unterwerfung, wird greifbar. Für Nicht-Schwarze Menschen ist es schwierig, sich überhaupt vorstellen zu können, wie sich ein Leben mit dunkler Hautfarbe anfühlt. So traurig das allein schon ist, umso trauriger ist es eigentlich, dass die Thematik der erzwungenen Prostitution es einer größeren Menge an Leserschaft möglich macht, nachzuempfinden wie sich Hilflosigkeit in der Beziehung anfühlt. Die Folgen der erlittenen Traumata von Aster und Violet, der beiden Good Luck Girls, die bereits Freier empfangen mussten, ziehen sich wie ein roter und erschreckender Faden durch die Handlung. Immer wieder werden die Frauen mit der Verzweiflung konfrontiert, der sie im Welcome House und unter den Händen der „Aufschneider“ (für Sex zahlende Männer), erdulden mussten und sind gefangen in der für dieses PTBS typischen Divergenz zwischen „wir hatten es doch besser als andere“ und der tiefen Panik, die durch das Erlebte ausgelöst wird. Die Authentizität der Charaktere und ihrer Empfindungen machen das Buch zu einem literarischen Erleben einer harten Realität, gekleidet in ein fiktives Gewand. Natürlich gibt es keine mental-magiebegabten Raubvögel in der Wirklichkeit. Doch die Methoden sogenannter Lover Boys oder anderer Psycho-Manipulierenden sind mit denen der Raubvögel durchaus vergleichbar. Auch dass die Korkaden, die stellvertretend für die dunkle Hautfarbe stehen können, sich nicht verstecken lassen und stigmatisieren, sind eine Parallele, die in der Wirklichkeit für die gleichen Effekte sorgen. So werden wir allein durch die Rezeption des fiktiven Buches konfrontiert mit der Wirklichkeit derer, die auch im 21. Jahrhundert noch Rassismus und Feindseligkeiten erleben müssen, obwohl sie sich nie etwas zu Schulden haben kommen lassen, allein durch Vorurteile gegenüber Äußerlichkeiten oder unvertrauter Kulturen.

Auch die Traumata vergewaltigter Mädchen (denn um nichts anderes handelt es sich bei erzwungener Prostitution), werden authentisch beschrieben. Die Hilflosigkeit, Verzweiflung und Handlungsunfähigkeit in manchen Situationen lassen die Gefährtinnen um Aster und Clementine aber nicht weniger heldenhaft erscheinen in ihrem Kampf um ein eigenes – und glückliches – Leben.

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