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A Walk Through Hell

Eine Geschichte mit bleibendem Eindruck

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Kategorie: Literatur

Auf den ersten Blick könnte A Walk Through Hell ein ganz normaler Agentencomic sein. Ein Agent, eine Agentin, beide stilvoll in schwarz gekleidet und mit moderner Pistole im Anschlag, ein Lagerhaus, eine Reihe Mordopfer. Auf den zweiten Blick entfaltet der Gang durch die Hölle jedoch eine hochkomplexe Investigation mit verstörenden Horrorelementen, die sich sich als eine intelligente und hoch relevante Reflexion auf das Amerika unserer Zeit entpuppt …

Der Anfang der Geschichte könnte kaum schlimmer sein. Beim harmlosen Gang durch eine Einkaufsmall wird ein frisches Elternpaar unvermittelt Opfer eines Amoklaufes. Frau und Kind werden ohne Grund aus nächster Nähe erschossen, der dabeistehende Vater so sehr überrascht, dass er sein Schicksal nicht wahrhaben kann und das Ganze nur mit einem hilflosen „Hey“ kommentiert. Begleitet werden diese schrecklichen Szenen von beunruhigenden Einschüben wie etwa dem ersten Satz: „Später waren sie sich einig, dass die anderen Ereignisse tatsächlich noch furchtbarer gewesen waren.“

Nach nur drei Seiten ist dieser Spuk dann auch schon wieder vorbei. Eine Agentin – Shaw – wälzt sich von Alpträumen geschüttelt im Bett, kann all die Ereignisse, die wir nur erahnen können, nicht verarbeiten, während sich ihr Kollege McGregor per Twitter über den Amoklauf und Diskussionen zur Waffengesetzgebungen austauscht. Ganz zeitgenössisch, mit To-Go-Kaffee und Gesicht im Smartphone versunken, geht es zu einem Routineeinsatz. Zwei Agenten sind im titelgebenden Lagerhaus verschwunden und die Kollegen in Uniform können oder wollen nicht sagen, was sich dort drinnen zuträgt. Selbst das SWAT-Team will nicht mehr herein, was jedoch kein Hindernis für die beiden Protagonist*innen ist, sich das einmal näher anzusehen. Was sich nun entfaltet, ist der titelgebende Gang durch die Hölle. Eine absurde Geisterbahnfahrt durch Szenen, von denen wir nie sicher sein können, ob sie inszeniert sind, es sich um geteilte Halluzinationen handelt oder sie einer furchtbaren Parallelwelt entstammen.

Die Erzählweise ist durch schnelle Schnitte charakterisiert und greift auch Social-Media-Einschübe auf.

Der Weg durch das Lagerhaus ist für sich betrachtet beängstigend und spannend, aber eigentlich nur ein Anlass um ein viel tieferes Geflecht zu erzählen. Auf sich allein gestellt und mit Szenen aus der Vergangenheit konfrontiert, erzählt Garth Ennis mit zahlreichen Rückblicken und schnellen Schnitten eine fesselnde und beunruhigende Geschichte um Korruption, Kindesmissbrauch und Bigotterie. Die für sich bereits komplexe und nicht ganz geklärte Geschichte vermengt sich mit zahlreichen Einschüben über den Arbeitsalltag und die Geschichte der Charaktere. Erfahrungen mit Diskriminierung, den männlich dominierten Arbeitsalltag der Polizei, politische Debatten zwischen Shaw und McGregor. Können Wahlen etwas ändern? Wie geht man mit einer Polizeitruppe um, die jeder weiblichen Führungskraft unterstellt über Quotenregelungen an ihre Position gekommen zu sein und den homosexuellen Agenten nicht zum Essen einlädt? Wie verhält man sich zu Trump? Ohne aufdringlich politisch zu sein, haben wir es hier mit zwei Menschen zu tun, die mehr sind als bloße Agenten und sich mit ihrer Welt auseinandersetzen. Konfrontiert mit übermächtiger Politik und ebenso übermächtigen korrupten Strukturen geben sie Einblick in eine Gedankenwelt, die sich als kenntnisreiche Analogie der USA unter Trump lesen lässt. Wer will, kann sogar im fragmentarischen Erzählstil und den nicht immer zuverlässigen Erzählstimmen ein Sinnbild für das Ende einer geteilten Wahrheit sehen.

Graphischer Horror

Man muss aber kein*e Kulturwissenschaftler*in sein, um am bildreichen Gang durch die Hölle seine Freude zu haben. Die oft schockierend explizite Geschichte allein ist faszinierend genug, wirft genug Rätsel auf, denen man aufmerksam folgen sollte und die sich eben auch als Horror-/Agentengeschichte lesen lässt. Auch jenseits allegorischer Überlegungen können die Charaktere mit ihren tiefen Hintergrundgeschichten ebenso wie die verstörend lächelnden Bösewichte überzeugen. Man muss keine Diskussion über die Banalität des Bösen interessant finden oder teilen, um vom völlig mit sich im reinen lächelnden Nazi abgeschreckt zu sein, der in einem Atemzug von der Schönheit der Notre-Dame und den Vernichtungslagern sprechen kann.

Und dann wäre da noch die graphische Umsetzung durch Goran Sudžuka, der eine durchgehend überzeugende Darstellung vorlegt, die insbesondere in der Charakterdarstellung brilliert und ein Gespür für morbide, verzerrte Szenerien hat. Ruhige Tischgespräche im hoffnungslosen Diner wechseln sich hier gekonnt mit körperlichem Horror oder absonderlich verschmolzenen Körpern fast cthuloiden Ausmaßes ab, während eingebettete Social-Media-Meldungen dafür sorgen, dass der Horror ganz nah vor unserer Haustür bleibt.

Der Gang durch das Lagerhaus ist Anlass für Rückblicke auf eine komplexe Geschichte.

Dafür, dass der Horror auch in unserem Bücherregal gut aussieht, sorgt hingegen der Cross-Cult Verlag. Das hochwertige Hardcover in angenehmen Format und mit prägnanten Farben sorgt dafür, dass es ein Vergnügen ist, die beiden Bände zu lesen. Eine Bilder- und Skizzengalerie runden zumindest Band 1 ab und lassen uns nach dem Albtraum nicht ganz alleine zurück. Und auch die Übersetzung macht trotz des tief in der US-amerikanischen Debatte verankerten Themas einen äußerst guten Job, der mich über weite Strecken vergessen lassen hat, hier kein Original vor Augen zu haben. Lediglich die gelegentliche Übersetzung von People of Color mit „Farbige“ ist angesichts des politisch sensiblen Thema unpassend und beeinträchtigt den ansonsten sehr guten Eindruck etwas.

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