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Urban Fantasy: Going Intersectional

Eine geniale Anthologie

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Kategorie: Literatur

Urban Fantasy ist ein Genre, dass die Lesenden in die Verworrenheiten und Besonderheiten unserer heutigen urbanisierten Gesellschaft entführt. Solche Geschichten müssen nicht unbedingt in einer Metropole angesiedelt sein; vielmehr befassen sie sich mit Situationen, in denen Menschen und andere Kreaturen koexistieren (müssen). Damit ist Urban Fantasy auch das ideale Genre, um sich mit Themen wie Diskriminierung auseinanderzusetzen. Doch die Kurzgeschichtensammlung Urban Fantasy: Going Intersectional geht sogar noch einen Schritt weiter. Die einzelnen Beiträge handeln allesamt von Charakteren, die gleich von mehreren Diskriminierungsformen betroffen sind.

Die lesbische und chronisch kranke Hexe; die muslimische Superheldin und Mutter; die Heldin mit Down-Syndrom, die als Einzige den Menschen das rettende Sonnenlicht wiedergeben kann – sie alle finden sich in der hervorragenden Anthologie Urban Fantasy: Going Intersectional, herausgegeben von Aşkın-Hayat Doğan und Patricia Eckermann. Diese Sammlung enthält solide und heterogene Geschichten, von denen gleich mehrere als starke Highlights hervorstechen.

Die Inhalte

Das Schönste an dieser Anthologie: Man weiß mit absoluter Sicherheit, dass jeder Beitrag sich abseits des Einheitsbreis von weißen, männlichen, straighten, cis, neurotypischen, nicht behinderten Protagonisten bewegt – eben das, was viel zu oft noch als "normale", "durchschnittliche" Charaktere gehandelt wird. Das Ergebnis der intersektionalen Prämisse dieser Sammlung sind dreidimensionale, komplexe Figuren mit menschlicher Würde, Motivationen und Hoffnungen. Dadurch, dass sowohl das Genre Urban Fantasy als auch der Intersektionalitätsbegriff in der Anthologie breit gehalten sind, beinhaltet das Buch sehr unterschiedliche – also im wahrsten Sinne des Wortes diverse – Beiträge, die alle ihren eigenen Charme haben. Genau deswegen lässt sich die Anthologie aber auch auf viele verschiedene Weisen lesen: in einem Rutsch von Anfang zu Ende; über viele Wochen verteilt immer wieder eine einzelne Geschichte; nach Gusto quer durch das Buch.

Dem vorangestellt ist jedoch das äußerst wichtige und kluge Vorwort von Doğan und Eckermann. Wer sich fragt, warum Intersektionalität eigentlich so wichtig ist und welchen Beitrag Popkultur und Fantasy zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der gesellschaftlichen Teilhabe haben kann, wird hier kurz und bündig die Antwort finden: "Je mehr Unterdrückungsformen auf einer Person lasten, desto unsichtbarer und handlungsunfähiger wird sie. Für nicht-Betroffene ist es schwierig nachzuvollziehen, wie sich Rassismus, Sexismus und andere Arten der Menschenfeindlichkeit auf das Leben einer Person auswirken. […] [E]s ist an der Zeit, dass wir uns einschreiben in die deutsche Fantasyliteratur, die für unser Verständnis einer diversen Gesellschaft immer noch viel zu weiß ist, viel zu alt, viel zu heteronormativ und privilegiert." Popkultur prägt unseren Blick dafür, was wir als "normal" und "durchschnittlich" erachten – genau das haben Doğan und Eckermann erkannt und legen eine Kurzgeschichtensammlung vor, die einen wichtigen Beitrag leistet, um genau diesen Blick neu zu fokussieren.

Hier ein kurzer Vorgeschmack auf meine Top 3 der enthaltenen Beiträge:

Lena Richter, "Das Innerste der Welt"

Vor langer Zeit hatte sich die queere, chronisch kranke Jennifer eigentlich von ihrem Erbe als Hexe abgekehrt. Nun ist ihre Cousine und letzte Verwandte verstorben und es liegt an ihr, die Essenz der Verstorbenen und ihres Hauses zu bergen. Die Aufgabe wird nicht nur ein mühsamer Kampf mit Jennifers Krankheit, sondern zugleich auch eine Reise in ihre eigene Vergangenheit. Der Beitrag besticht durch die ruhige, melancholische Atmosphäre, die durch die ungewöhnliche Erzählperspektive der 2. Person äußerst dicht und mitreißend ist.

Ronja Schrimpf, "Zuhause"

2020 hatte mehr zu bieten als nur Corona – das Jahr wurde eingeleitet, wie sich einige vielleicht noch vage erinnern können, mit Berichten über extrem umfangreiche Buschbrände in Australien. Maroochy ist nicht nur eine der Überlebenden dieser Brände, sondern sie ist auch Gestaltwanderlin, Aborigine und queer. Sie gehört zu denjenigen, die von der weißen australischen Regierung gerettet wurde und nun in diese ihr fremden Gesellschaft integriert werden soll – unabhängig davon, ob sie selbst überhaupt Interesse daran hat. Schrimpfs Beitrag setzt sich direkt mit der Geschichte Australiens und der "Gestohlenen Generation" von Aborigine-Kindern auseinander, die einst zwangsweise aus ihren Familien gerissen wurden, um sie stattdessen in die weiße Gesellschaft zu integrieren.

Judith Vogt, "Majas Queste"

Ein seltsamer Nebel hat die Welt in seinem Griff; überall, wo sich mehrere Leute zusammenfinden, verdichtet sich der Nebel – selbst über die Telefonleitung kann er sich ausbreiten. Wer in den dunklen, grauen Nebel gerät, altert rasant oder verschwindet gar gänzlich. Niemand weiß, woher der Nebel stammt; auch gibt es kein Gegenmittel. Somit hat sich das Leben der Menschen völlig verändert. Die Geschwister Sami und Maja sind auf dem Weg zum Supermarkt, als der Nebel sich um sie herum sich zu verdichten droht. Während Sami versucht, rational den Weg aus der Gefahr herauszufinden, scheint Maja ein Gespür dafür zu haben, wo sie hingehen müssen, um zu überleben. Auch scheint Maja, die das Down-Syndrom hat, die einzige Person zu sein, die den Nebel bekämpfen kann. So wird der eigentlich simple Weg zum Supermarkt zu einem unerwarteten Abenteuer.

Die Gestaltung und das Layout

Hält man das Buch zum ersten Mal in der Hand, möchte man eigentlich sofort loslesen. Das Cover ist einladend gestaltet und besticht mit seinen schicken Illustrationen und klaren Farben. Mit etwas mehr als 400 Seiten liegt das Taschenbuch gut in der Hand. Der Text hat eine angenehme Schriftgröße und ist dadurch gut lesbar – im Gegensatz zu vielen anderen Anthologien, die gerne auf einen kleineren, engeren Satz achten, um die Seitenzahl gering zu halten.

Lediglich zwei Mankos gibt es anzumerken: Erstens, die falsche Silbentrennung, die manche Geschichten heimsucht (bspw. "Faus|thieb" anstatt "Faust|hieb"). Zusammen mit einigen weiteren, kleineren orthographischen Fehlern schmälert dies an manchen Stellen doch den Lesespaß. Zweitens, und deutlich gravierender, der problematische Umschlagtext. Eigentlich schlägt sich dieser Text ganz gut – bis zum Schluss der Begriff "transsexuell" verwendet wird. Dieser Begriff ist irreführend und pathologisierend. Daher hat der Ach je Verlag sich in einem Statement bereits zu dem Thema geäußert und versichert, in digitalen Versionen und einem eventuellen Nachdruck der Printausgabe den Klappentext zu korrigiere. Sowohl für das oben genannte Problem der Silbentrennung als auch diesen Umschlagtext hätte ein gründlicheres Lektorat vermutlich Abhilfe geschaffen.

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