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Der Todesengel

Grusel mit Sprachkunst und besonderem Flair

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Kategorie: Literatur

Helene Gniffke hat sich ihren ersten großen Schritt als Immobilienmaklerin sicher anders vorgestellt. Nachdem sie bei der ersten Objektsichtung das Auto abwürgt, schlägt sie im viel zu günstigen Blazer und mit Knien wie aus Wackelpudding bei einer gewissen Gerda Grope auf. Dass sie nach einem ebenso unbeholfenen wie unangenehmen Gespräch mit einem teuren Sportwagen zurück durch Köln fahren würde, hätte sich Helene kaum träumen können. Und was das Ganze mit einer Zufallsbegegnung im Bombenschutzbunker des zweiten Weltkrieges und einer alten Kölner Sage zu tun hat, sollte man am besten selbst lesen …

Die eigentliche Geschichte um Gerda Grope soll hier nicht vorweggenommen werden. Sie wird über drei ineinander verzahnten Zeitepochen erzählt und dreht sich um ein Generationen verbindendes Geheimnis. Während die Handlung gelungen konzipiert wird, ist es die Sprache und Liebe zum detail, die den Todesengel für mich besonders macht. Gekonnt beschreibt Ina Elbracht die Gefühle und Ängste ihrer Charaktere. Das wird schon zu Beginn deutlich, deneine Szene aus dem Köln der letzten Kriegstage bildet. Hier zeichnet die Autorin die Ängste der kleinen Gerda nach, die von Fliegersirenen getrieben in den Luftschutzbunker eilt und im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein auf sich gestellt ist, bis sich eine Beschützerin ihrer annimmt. Mithilfe von Details wie einem gestrickten Handschuh, Gesprächsfetzen und assoziativen Überlegungen der Protagonistin nimmt uns die Autorin Wort für Wort tiefer in die Realität ihrer Figuren mit. Stark sind auch hier schon die – für Elbracht typischen – Beschreibungen sprachlicher Eigenheiten, wie der kölschen Mundart und einer Sprachverschiebung, die noch im ganzen Buch von Bedeutung sein wird.

Das gilt auch ungebrochen für den zweiten Strang der Handlung: Das bereits angesprochene Maklergespräch. Würde mich ein Verkaufsgespräch normalerweise nach wenigen Minuten langweilen, schafft es Elbracht, die Verhandlung durch Introspektiven und einen gewitzten Blick für das Getänzel um soziale Konventionen über ganze Kapitel spannend zu halten. Dabei sind es die Beobachtungen am Rande, die sich in mir festgesetzt haben. So etwa die zynische Diskussion um Minimalismus, die punktgenau damit schließt, dass sich der Verzicht auf Statussymbole nur für diejenigen schickt, die sich selbige leisten können. Solche Beobachtungen, gepaart mit einer Liebe für die Charaktere und Schauplätze sind es, die mir den Todesengel äußerst sympathisch machen.

Ein Grusel-Thriller?

Aber Der Todesengel ist natürlich keine Ratgeberliteratur oder Alltagsposse, sondern wird als Grusel-Thriller beworben. Wirklicher Grusel kommt jedoch nur an wenigen Stellen auf und macht ebensowenig wie dramatische Thrillerszenen die eigentliche Stoßrichtung des Bandes aus. Vielmehr ist Der Todesengel eine solide konzipierte Mystery-Geschichte, die sich um einen dritten Erzählstrang entfaltet, nämlich der alten Kölner Richmodis-Sage, die stilsicher im Märchenduktus präsentiert wird und perfekt mit dem Lokalkolorit des Buches zusammen geht. 

Die drei Fäden – Schutzbunker, Maklergespräch und Richmodis Sage – werden klug aber durchaus absehbar verwoben. Schnell wird klar, um welche der Charaktere sich das Geheimnis dreht, und schon ab der Hälfte der Erzählung kann man das zentrale Mysterium erahnen und zu Teilen lüften. Zwar folgen genug Details und Kehrtwenden, um auch die zweite Hälfte spannend zu halten, sie erfinden das Mysteryrad aber sicher nicht neu. Ja, einzelne Motive sind sogar so abgestanden, dass man sie schnell mit einem Schmunzeln beiseite legen sollte, um den Kopf für die eigentliche Stärke des Buches frei zu bekommen. Und als diese kann ich wiederum den Elbracht’schen Stil nicht hoch genug loben. Die Autorin hat durchweg die volle Kontrolle über ihre Sprache und ist uns Leser*innen immer einen Satz voraus. Wann immer ich geglaubt hatte, sie bei einem grammatikalischen oder logischen Fehler ertappt zu haben, wird dieser selber thematisiert und entpuppt sich als gelungenes Stilmittel. An solcher Übung mag nicht jede*r seine*ihre Freude haben, ich kann jedenfalls nicht genug von Elbrachts Sprachkunst bekommen.

Klungaversum

Bei aller Bewunderung für Elbrachts Erzählweise können mich Handlung und Geheimnis nicht immer überzeugen. Während die Frage, was es mit dem Todesengel auf sich hat, schnell gelüftet werden kann, gefällt mir die Zusammenführung der Handlungsstränge diesmal durchaus gut. Verglichen mit ihrem wohl bekanntesten Buch – Klunga – ist der Todesengel nicht nur deutlich kürzer, sondern auch pointierter. Trotz gelegentlicher Schwenks bleiben wir immer nah an den überschaubaren Hauptcharakteren und dem zentralen Mythos. Bei aller Konsistenz störe ich mich allerdings wiederum an kleinen Stilbrüchen. Während die stilistisch abgehobenen Märchenpassagen die Sprachkunst Elbrachts unterstreichen, reißt wieder einmal der Horror aus. Recht unvermittelt gehen in einer Szene die Pferde mit ihr durch (quasi rückwärts die Wendeltreppe hoch …) und konfrontieren uns mit einer Ekelszene die etwa für Menschen mit geburtsbezogenem Trauma sehr unangenehm sein dürfte. Von diesem Ausreißer abgesehen, bekommt man jedoch eine weitgehend verlässliche Kost, die übrigens auch ganz direkt mit Klunga in Zusammenhang steht. So spielt der Todesengel nicht nur ebenfalls in Köln, sondern tauchen sogar einige Charaktere aus Klunga auf. Die Einbettung dieser Figuren gelingt dabei geschickt. So fällt kein bekannter Name und lässt sich die Geschichte auch ohne Kenntnis des Klungas vollständig verstehen. Wer das Kölsche Örben-Fäntäsie-Epos kennt, wird allerdings ein paar Figuren anhand ihrer Beschreibungen wiedererkennen. So entsteht eine lose Verknüpfung der beiden Bücher und gewinnt die erschaffene Mythologie noch etwas mehr an Tiefe. 

Wie im Klunga darf zu guter Letzt auch kein Gimmick fehlen. So ist jedes Kapitel mit einem zeitgenössischen Schlagertitel benannt, der – meist zwanglos, manchmal etwas gewollt – auch im Text aufgegriffen wird. Pfiffig!

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