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Super-Pulp 05: Notruf aus dem Scherbenviertel

Zwischen wohligem Schauer und untotem Bauchweh

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Kategorie: Literatur

"Pulp /pʌlp/: Ein Magazin oder Buch, das Schundgeschichten enthält und üblicherweise auf grobem, unbehandelten Papier gedruckt wird." Auch wenn ich über die Papierbeschaffenheit nichts sagen kann, da ich meine Rezension auf einer digitalen Ausgabe aufbaue, scheint mir kein Einstieg besser zu passen, als diese an einen bekannten Film erinnernde Definition. Pulp: Das sind Geschichten, die für die Unterhaltung und Zerstreuung geschrieben werden. Die so manche Prämissen und Schlüsse etwas lockerer behandeln, Charaktere simpler halten und statt einem subtilen Horror gleich drei oder vier Serienmörder*innen mit Kettensägen auflaufen lassen und Frauen gerne eine Körbchennummer zu groß verpassen.

Super Pulp steht in genau dieser Tradition und Herausgeber r.evolver versammelt für den BLITZ-Verlag mittlerweile zum fünften Mal eine umfangreiche Sammlung an ‘Schundliteratur’, die so manche Größe der Szene versammelt. Dabei wird schnell klar, sich das Projekt abheben will und durchaus mit Humor genommen werden will. Im allemal veralteten Stil führt uns r.evolver die Geschichten und Autor*innen ohne große Bescheidenheit vor und gibt so das Gefühl, das gammelige Papier zu schnüffeln. Die dahinterliegenden Stories variieren in der Qualität, können aber weitgehend überzeugen, wenngleich ab und an etwas Bauchweh bleibt. Aber lesen Sie selbst ...

Wiener Noir

Die umfangreiche Titelstory stammt diesmal von Erik R. Andara. Ihn und sein Werk verfolge ich nun schon seit einiger Zeit sehr intensiv, was auch der Grund war, mir das Heft einmal näher anzusehen. Insofern ist es auch keine große Überraschung, dass seine Geschichte für mich nicht nur Titelstory, sondern auch das Highlight des Heftes ist. In deutlich ruhigerem Ton als die anderen Beiträge präsentiert er eine hochwertige futuristische Noir Story mit Cthulhu-Elementen. Ein Notruf aus dem verarmten Scherbenviertel erreicht die privatisierte Polizei mit drängender Regelmäßigkeit. Um seinen Eis-Konsum (die Droge, nicht die Speise!) zu finanzieren, nimmt unser namenloser Protagonist jeden Auftrag an und wird in ein surreales Horrorszenario gezogen. Besonders beeindruckend ist das rahmende Thema um Schlaf und Traum, das einige tiefere Ebenen verspricht, die vielleicht erst bei zweiter Lektüre ganz zur Geltung kommen und auch einen Blick in die eigenständigen Vorgängergeschichte in Der unmögliche Mord lohnenswert macht. Andara zeigt hier, dass er cthuloide Schöpfungsmythen wie im Schlaf beherrscht, während das World Building um Mikrojobs und Systemkritik pulpig aber glaubwürdig ausfällt. Am Ende bleibt eine Geschichte, die erstklassig unterhält, aber etwas mehr ist als bloße Unterhaltung.

Blut und Ekel

Deutlich heftiger geht es in der Geschichte der von mir ebenso geschätzten Faye Hell vor. Mit "Die Bitch und der Jesusfreak" legt sie ein satirisches Massaker des Hardcore Horrors vor: Im Umfeld der Leipziger Buchmesse richtet ein "Jesusfreak" ein Blutbad an Splatter-Autor*innen an. Dabei folgt er genau deren eigenen Drehbüchern. Der Plot ist geschickt konstruiert und auch wer die hingerichteten Autor*innen nicht kennt, kann seinen Spaß daran haben. Wohlgemerkt: Kann! Faye Hell gilt nicht zu unrecht als eine Autorin härtester Schule. Sie kann Blut und Porno und das kann ganz schön unangenehm werden. Wer unter die Kruste aus Ekelporno knibbelt, kann hier jedoch die Stärken einer Autorin erkennen, die ihr Handwerk versteht und ernst nimmt. Immer wieder finden sich präzise sprachliche Eingriffe auf hohem Level, die gekonnt an die Substanz gehen. Ich bleibe aber lieber bei ihren nüchternen Werken, etwa dem Zeitalter der Kröte.

Wenn ich hier den Einstieg mit Andara und Hell gemacht habe, obwohl ich dadurch die Heftreihenfolge breche, hat das einen guten Grund. Nicht nur, dass ich die beiden Autor*innen sehr zu schätzen gelernt habe und Andara mir sogar das Tor in die literarische Phantastik aufgeschlossen hat: Die beiden Geschichten bilden auch die Extreme der Sammlung und sind meines Erachtens die qualitativ hochwertigsten Geschichten. Außerdem hätte die Einstiegsgeschichte sicherlich bereits einige Leser*innen vergrault. Mich eingeschlossen. Daniel Weber legt mit "Der die Toten liebt" eine Geschichte vor, die sich zwar schnell wegliest und seine Prämissen konsequent durchdenkt, aber ein völlig überzogenes Nekrophilie-Thema behandelt: Ein pubertärer Junge kann Tote zu einem kurzzeitigen Leben zurückholen und nutzt das um frischerweckte Frauen zu vergewaltigen. Sicher, es ist nicht nur pulp, sondern super-pulp, aber hier fällt es mir wirklich schwer, mich drauf einzulassen, geschweige denn eine Empfehlung auszusprechen. Wer madigen Humor hat, mag seine Freude damit haben. Auch ist mir durchaus klar, dass hier mit der Provokation gespielt wird und in der Kunst ist erstmal fast alles erlaubt ist. Aber mit Verlaub: Das muss dann eben auch Kritik aushalten und die ist in meinem Fall eindeutig. Sowas braucht es einfach nicht und lässt tief in das Frauenbild des Genres blicken. Ein denkbar ungünstiger Start in das Heft.

Eiseskälte

Die vierte Geschichte, die ich hervorheben möchte, stammt vom umtriebigen Autor und Hammer-Boox Verlagschef Markus Kastenholz. Sein “Tod im Schnee” konnte mich durch eine erstaunlich ruhige Stimmung und intensive Charakterzeichnung überzeugen, die mit einer locker-rotzig aus dem Ärmel geschüttelte Kritik an Karrierepolitiker*innen garniert wird. Ein selten heftiger Winter überzieht das Land und der erbärmliche Lokalpolitiker Krantz muss dennoch an einer Ratssitzung teilnehmen, um seine Karrierechancen nicht zu schmälern. Widerwillig quält er sich in sein Auto und macht sich auf eine gefährliche Fahrt. Dieses minimalistische Konzept kann abgesehen von dem etwas plumpen und plötzlichen Ende überzeugen und weiß zu unterhalten. So kann und darf Pulp für mich aussehen, auch wenn Krantz sich natürlich die obligatorische “Nutte” herbeisehnt. Na gut ...

Und der ganze Rest

Wenn ich hier vier Geschichten hervorhebe, möchte ich den anderen dreien kein Unrecht tun. Die restlichen Geschichten teilen aber das etwas ärgerliche Schicksal, Fortsetzungsgeschichten zu sein, die im vorliegenden Heft allesamt den zweiten Teil erreicht haben. Dank knackiger und witzig-pulpig geschriebener Ein- und Ausleitung lassen sich die Stories auch eigenständig lesen, hinterlassen aber immer das Gefühl, das etwas fehlt.

Da wäre zum ersten die präapokalyptische “Schutzzone” von Stefan Hensch. Mit schnellen Schnitten zwischen verschiedenen Schauplätzen schildert er den Ausnahmezustand aus verschiedenen Perspektiven und erreicht ein gewisses Serienfeelig. Abgesehen von den Passagen, in denen die Blondheit der wohlgeformten, attraktiven (und ja: blonden) Frau etwas sehr oft wiederholt wird, konnte mich die Story unterhalten und weist sogar eine etwas unerwartete Prämisse auf. Ich sage nur Dreiecke!

Ähnliches ist über “Hexengift” von Pulp-Veteran Thomas Williams zu sagen, dessen Geschichte sich um die ganz eigensinnige Droge Bones dreht, die einige spannende und einzigartige Situationen erzeugt. Oder wann hat sich das letzte Mal jemand ernsthaft bei Euch entschuldigt und um Hilfe gerufen, während er Euch umbringen wollte? Der zweite Teil ist davon ab allerdings weitgehend ein einziges Gemetzel, das zwar actionreich beschrieben wird, aber am Ende genauso schnell wieder vergessen wie gelesen ist.

Etwas anspruchsvoller geht es in Charly Bloods “In der Wirtsstube der Verdammnis” zu, der einige Verwirrspiele mit Orten, Dimensionen und Charakteren betreibt. Hier habe ich allerdings am deutlichsten gemerkt, dass mir der erste Teil der Story gefehlt hat, um der Geschichte so ganz zu folgen.

Abschließend sei noch der kleine Theorieartikel zur Geschichte des Agentenromans von Martin Compart genannt, der sehr lesenswert ist und das Heft angenehm abrundet. Solche kleinen Genreübersichten finde ich äußerst hilfreich und die hier ist von einem wahren Experten geschrieben worden. Wäre dann noch eine Agentenstory angeschlossen worden (oder kann “Schutzzone” schon als eine gelten?), wäre es noch etwas runder geworden.

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