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Scherbenfresser

Ein Erzählspiel um Hoffnung und Verzweiflung

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Kategorie: Pen & Paper

Uns ist etwas Schreckliches widerfahren. Was, das wissen wir nicht genau. Wir wissen ja nicht einmal mehr, wer wir überhaupt sind. Nur unsere Namen und ein paar Fragmente des Schreckens sind uns noch im Kopf, als der Horror auch schon weiter geht. Zusammen stellen wir uns diesem Schrecken und erfahren dabei nicht nur immer mehr darüber, was uns bedroht und wie wir es überwinden können, sondern auch wer wir eigentlich sind.

Scherbenfresser ist ein Erzählspiel für 2-6 Personen, das ohne Vorbereitung an einem Spielabend abgeschlossen werden kann. Grundsätzlich spielt sich Scherbenfresser dabei wie ein klassisches Tisch-Rollenspiel. Wir erzählen eine Geschichte, interagieren untereinander und mit der Spielwelt, würfeln aus, wie eine Szene endet und verkörpern Rollen, die sich durch Merkmale und Eigenschaften auszeichnen. Im Gegensatz zu klassischen Rollenspielen, die häufig auf lange Kampagnen ausgelegt sind, und detaillierte Regeln für die Eigenschaften unserer Charaktere kennen, konzentriert sich Scherbenfresser ganz auf das Erzählen einer bestimmten Art von Geschichten. Scherbenfresser erzählt, wie unsere Charaktere mit Krisen umgehen, verzweifeln, Hoffnung sammeln und mit etwas Glück den Schrecken überwinden. Dazu setzt das Spiel auf wenige, reduzierte Regeln, die vor allen Dingen den Spielfluss steuern und durch die richtigen Fragen eine Geschichte erzeugen.

Weltenfresser

Anders als klassische Rollenspiele ist Scherbenfresser dabei an kein festes Szenario gebunden. Zwar ist die Art der Geschichten festgelegt, ob wir die Suche nach unserem zersplitterten Ich aber in einer Fantasywelt ansiedeln, in den ganz realen 90ern oder der fernen Zukunft ist erst einmal offen. Ja, wir wissen üblicher Weise nicht einmal vor dem Abenteuer, wohin die Entdeckungsreise geht.

Zwar können wir für jedes Setting auf ein vorgefertigtes Beispielszenario zurückgreifen und finden sogar ein voll ausgearbeitetes Einsteigerszenario im Buch, die spannendste Art, Scherbenfresser zu spielen, besteht aber sicher darin, unser ganz eigenes Szenario zu entwerfen. Dazu setzt Scherbenfresser auf einen beeindruckenden Szenariogenerator. Mit vier sechsseitigen Würfeln und einer Reihe von miteinander verknüpften Tabellen entsteht in wenigen Sekunden ein Satz, der unser Szenario beschreibt. Etwa: In einer magischen Welt in einem Sumpf formten sich bösartige Golems aus allem, was uns umgab. Oder: In den 90ern in der Bibliothek waren wir die Opfer von Gehirnwäsche. Ganz vom Zufall gesteuert oder mit optionalen Regeln für etwas Auswahl entsteht so eine von über 500 möglichen Szenariobeschreibungen. Für unsere Autorenrunde ging es so ebenfalls in die 90er, der Hauptschauplatz war allerdings eine Herberge und unsere Bedrohung ein Werwolf.

Mit diesem Satz im Blick entstehen die ersten Bilder in unseren Köpfen. Und genau die möchte Scherbenfresser anzapfen. In einem kurzen Verfahren sammeln wir gemeinsam Beispiele für Räume, Hindernisse, Aspekte des Schreckens und mögliche Entdeckungen. Mit diesem recht freien Brainstorming sammeln wir nicht nur Ideen für das weitere Spiel, sondern geben – fast noch wichtiger –, auch ein näheres Thema vor. Es ist erstaunlich, wie sich fast automatisch aus diesen Ideen ein kleiner Mikrokosmos entwickelt. Im Optimalfall haben wir damit nämlich schon alles beisammen, um ohne weitere Vorbereitung ins Spiel zu springen.

Erzählsplitter

Entscheidet man sich nicht für eines der Beispielszenarien ist vor dem Spielabend noch nichts über unser Abenteuer bekannt. Handlung, Nichtspielcharaktere, Geheimnisse und Hindernisse entstehen erst im Spiel selbst. Das setzt einiges an Improvisationsbereitschaft voraus. Scherbenfresser bietet uns aber neben Inspirationsquellen auch eine ganze Reihe an Werkzeugen an die Hand, die uns unterstützen. Zum einen gibt uns das Buch wertvolle Tipps, wie wir so beschreiben können, dass die Mitspieler*innen und die Schicksal genannte Spielleitung an unsere Ideen anknüpfen können und sich eine gemeinsam erzählte Geschichte ergibt. Zum anderen führt uns das Spiel durch eine klare Szenenstruktur.

Eine Runde Scherbenfresser spielt sich in genau fünf Szenen, die eine klare Struktur haben. So wechseln sich in den ersten vier Szenen Hindernis- und Entdeckungsphasen ab, während wir in der letzten Szene bestimmen, ob wir den Schrecken bewältigen konnten oder nicht. Diese Struktur hilft uns, den Überblick zu behalten und die Geschichte zu einem gelungenen Ende zu bringen. Dadurch ist es sogar möglich, Scherbenfresser ohne feste Spielleitung zu spielen, sondern diese Aufgabe abwechselnd zu vergeben. Das erfordert zwar sicherlich etwas Übung im Rollenspiel, entlastet aber die Verantwortung der Spielleitung und kann in der richtigen Runde zu einem Abenteuer führen, das alle gleichermaßen gestalten.

Überhaupt ist der Blick auf die Mitspielenden wichtig. Ein längerer Abschnitt widmet sich der Frage, wie alle Beteiligten gleichermaßen einbezogen werden können. Da sich Scherbenfresser unerwartet entwickeln kann und potentiell schwierige und belastende Themen anschneidet, werden außerdem einige sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen empfohlen, um zu gewährleisten, dass alle am Spieltisch Spaß haben. Dazu finden sich gut nachvollziehbare und unaufdringliche, aber nicht ganz unkritischen Darstellungen der X-Karte und den von Ron Edwards eingeführten Konzept von „Tabus“ und „Schleiern“.

Scherbenwürfel

Um das gemeinsame Geschichtenerzählen zu unterstützen, setzt das Spiel auf wenige Würfel. Während der Hindernisphase erinnern wir uns an unsere verborgenen Fähigkeiten und Ängste, die uns Vorteile in Form eines Willenskraftwürfels geben. Den brauchen wir jedoch nicht, um Hindernisse zu bewältigen, sondern um mehr über den Schrecken zu erfahren. Ist das Hindernis überwunden, dürfen wir nämlich Erinnerungssplitter in Form von Scherben sammeln. Hierzu beantworten wir eine durch die Szene und einen Würfelwurf vorgegebene Frage und können eine Scherbe erlangen, die wir später dem Gesamtbild hinzufügen dürfen. Danach bestimmen wir mit einem weiteren Wurf, ob wir noch genug Durchhaltewillen haben, um weiter zu forschen und die mit dem Wurf neu erwürfelte Frage beantworten oder in Verzweiflung fallen. Das Prinzip ist in wenigen Augenblicken verstanden und bis auf die Abschlussszene auch die einzige Situation, in der wir würfeln. Die Regeln von Scherbenfresser sind bewusst knapp gehalten und halten keine großen Überraschungen parat. Würfel und Ressourcenverwaltung treten eindeutig hinter die Geschichte zurück. Die Stärke des Spiels liegt daran, das Tempo der Geschichte zu steuern und die richtigen Fragen zu stellen. Und den Job macht es gut.

Qualität

Autor Gianni Ventrella hat sich dafür entschieden, sein Produkt ohne Verlagsunterstützung zu vertreiben und mittels einer Vorbestellaktion anzustoßen. Daher liegen dieser Besprechung nur eine Vorab-PDF und eine gemeinsame Autorenrunde zugrunde. Die optionalen Würfel und als Marker einsetzbare Scherben machen ebenfalls einen guten Eindruck. Der Blick in das Buch zeigt schnell, dass der Autor weiß was er tut und sich an den richtigen Stellen Profis dazu geholt hat. So hat Axel Kuckuck wunderbare Illustrationen beigesteuert und der Text ist sauber lektoriert und in ein stimmungsvolles und durchdachtes Layout gebracht worden. Flowcharts und Infoboxen strukturieren Regeln und Text und spiegeln die intensive und begeisterte Arbeit am Produkt wider. Ventrella gelingt es, die Regeln und Stimmung klar darzustellen und dabei sogar zu unterhalten. Manche der Tipps lassen sich sogar problemlos auf andere Spiele übertragen. Wer gegenüber Eigenproduktionen skeptisch ist, kann also beruhigt sein, dass sich Scherbenfresser nicht vor anderen Erzählspielen verstecken muss.

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