"Du hast sicher verstanden, dass du ein Symbol nachbauen musst. Welches? Das weiss ich auch nicht. ... Wenn es dir nicht gelingt, das Rätsel dieser Tür zu lösen, gehe zurück zu 40. Sektion 199." Wer bei diesem Text einen angenehmen Schauder spürt, kennt Spielbücher, wie Einsamer Wolf oder Fighting Fantasy oder Solo-Abenteuer von DSA. Spielbücher sind Bücher, bei denen der*die Leser*in entscheidet, was als nächstes geschieht. Üblicherweise liest man die Beschreibung eines Weges und kommt in der Geschichte an eine Kreuzung. Der Text lautet dann: "Wenn du nach links gehst, lies weiter bei 27. Wenn du nach rechts gehst, lies weiter bei 197." Ritter – Die Verlorene Stadt verbindet das Fantasy-Spielbuch mit einem vollfarbigen Comic.
Der Verlag empfiehlt das Buch ab 8 Jahren. Die Zeichnungen der Kreaturen und Fallen sind überzogen und kindgerecht. Will man sicher sein, dass die Bilder von grinsenden Skeletten und fliegenden Fetzen wirklich zum Kind passen, sollte man den Comic im Buchladen vor dem Kauf durchblättern. Leider gibt es keine Vorschau auf der Pegasus-Website oder auf Amazon.
Vom Wortschatz her gesehen, ist das Buch für Kinder ab 8 Jahren verständlich.
Ob die Spielregeln und Rätsel kindgerecht sind, schauen wir uns nun an.
Die Regeln sind mit drei Schwierigkeitsstufen, Stufenaufstieg, Charakterwerten, und Kampfsystem recht komplex. Die Erklärung ist nicht eingängig und frustriert nicht nur Kinder.
Das Charakterblatt und die Drehscheibe, die Würfel ersetzt, kann man aus dem Buch herausschneiden oder downloaden (Link siehe unten).
Die Lösung der Rätsel ist immer eine Zahl, zu der der/die Leser*in weiterblättert. Von der Kniffligkeit ist zu sagen, dass es zum größten Teil für Kinder ab 8 angemessen ist. Außerdem gibt es Hilfestellungen ("Wenn du nach zwei Versuchen nicht drauf gekommen bist, komme unter 214 zu mir.").
Kniffligere Mathematikrätsel, wie Rechnen mit Klammern und mehr als zwei Operatoren sind für Kinder ab der 5. Klasse gedacht. Die Belohnung für ((5x2)+5)x4 ist der Zugang zu einem Laden mit einer Nebenquest, rund um einen ulkigen Pandafisch. Bei drei bis vier Rätseln werden die Eltern wahrscheinlich helfen müssen. Zu dem Rätsel in Sektion 24 schreibe ich in der Kritik unten etwas.
Bei den Fallen zeigt sich die Stärke eines illustrierten Spielbuchs. Der*die Leser*in sieht ein Bild des Dungeonabschnitts. Ein scheinbar leerer Tunnel, an dessen Ende eine große Zahl prangt. Betrachtet man das Bild aber genauer, erkennt man auf dem Boden eine blasse kleine Zahl vor einem Kiesel. Folgt man dieser verborgenen Zahl, entdeckt der Charakter eine Falle, in die er hineingetapst wäre. Mit den visuellen Rätseln trumpft das Spiele-Comic als Genre und bringt den/die Spieler*in dazu, genauer hinzuschauen.
Der Ritter oder die Ritterin ist auf einem Schiff unterwegs. Hier bekommt er/sie den Auftrag, zwölf Gegenstände zu bringen, die auf der nächsten Insel verborgen liegen. Dazu gilt es, eine verlorene Stadt zu finden. Nur leider befindet sich die Schatzkarte in den Händen eines anderen. Entweder man stellt sich demjenigen oder versucht anderweitig die Karte in die Hände zu bekommen. Nach dem obligatorischen Besuch in verschiedenen Ausrüstungsläden geht es zwischen Palmen quer über eine tropische Insel voller Abenteuer. Es warten Skelette, Dungeons, Steinriesen, Fallen, Raubtiere, und Schätze. Das Insel-Setting weckte in mir Erinnerungen an Spielbücher aus den 90ern, wie die Insel der Sternenbestie von Wolfgang Hohlbein oder Island of the Lizard King von Ian Livingstone.
Die Ritter-Serie punktet mit Witz und den frechen, überzogenen Charakteren. Die Zeichnungen sind niedlich, die Farbpalette der Kolorierungen bewegt sich in satten und hellen Tönen, die die leichtherzige Stimmung der Bilder unterstreicht.
Vereinzelt Druckfehler (Sektion 20 "Jede Jeder Gegenstand ...") stören kaum, irritieren jedoch beim Spielen.
Der größte Kritikpunkt bei Spielbüchern sind Fehler bei Rätseln, die nicht nur für Kinder frustrierend sind. Leider gibt es in Sektion 24 eine fehlerhafte Aufgabenstellung. Der Text spricht vom Multiplizieren, aber es sollte dividiert werden. Nur so landet man in der Sektion 7, in der es dann auch weitergeht. In 7 fehlt leider auch das Symbol. Zwei Schnitzer, die diese Aufgabe nicht lösbar machen, ohne zu schummeln. Aufgrund des fehlenden Symbols vermute ich, dass dieser Fehler bereits im Original existiert. Ein Playtest nach der Übersetzung hätte diesen Fehler aufdecken können.
Das erste Spielbuch geht auf den französischen Schriftsteller Raymond Queneau zurück, der unter anderem für seine Sprachspiele und Verbreitung von Hegels Philosophie bekannt wurde. Dessen Un conte à votre façon (1967) ist ein kurzes Erzählstück, das die Mechanik "lies weiter bei 123" in die Literatur einführt.
Die ersten Spielebücher im Rahmen von Fantasy-Rollenspielen gehen zurück auf den US-Amerikaner Edward Packard mit Sugarcane Island (1976) zurück, der den Terminus "Choose your own adventure" einführte. Ian Livingstone und Steve Jackson entwickelten selbstständig Spielbücher, die Regeln von Dungeons&Dragons besaßen. Das Erstellen von Helden und Würfeln bei Begegnungen geht auf sie zurück. The Warlock of Firetop Mountain (1981) war der Auftakt und ebenfalls das Buch, das unter dem Titel Hexenmeister vom flammenden Berg in Deutschland vielleicht den größten Einfluss hatte. Es folgten Joe Devers Lone Wolf (1984) und zahlreiche Solo-Abenteuer für Rollenspielsysteme, unter anderem für Das Schwarze Auge. In Borbarads Fluch (1984) kann man übrigens tatsächlich ein Laserschwert erspielen!
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe Spiele-Comics, hauptsächlich aus Frankreich (Shuky, Yuio Cétrix, Gorobei und andere). Shukys Ritter-Bände werden in Deutschland von Pegasus Press vertrieben. Hier erscheinen auch Spielbücher außerhalb des Fantasy-Settings.