X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

Rezension zu Chaos & Ordnung : Irwin MacOsborn

Die Welt aus der Sicht eines Barden.

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Literatur

Als Entdecker-Story konzipiert, als Pen&Paper-Rollenspiel gespielt und als Roman niedergeschrieben, behandelt das Epos den unausweichlichen Kreislauf von Krieg und Frieden in einem dynamischen Wechselspiel aus purer Erfindung, „real" gelebten Szenarien und schriftstellerischem Einsatz. Im sechsten Band der Chroniken von Chaos und Ordnung blicken wir durch die Augen des weit bekannten Barden Irwin MacOsborn, der Assassinin Chara und der elfischen Kommandantin Siralen auf den Kontinent El’Chan und dessen Bewohner*innen. Im Vergleich zu den anderen, namensgebenden Akteuren der Geschichte, ist MacOsborn keine klassische, schillernde Heldenpersönlichkeit, welche sich im steten Vertrauen auf die eigenen Kräfte sofort in den Kampf wirft. Viel eher werden Chancen abgewogen, Kenntnisse eingeschätzt und verschiedene Handlungsmöglichkeiten eruiert.

Als die Flotte der Allianz unter Führung von Chara Pasiphae-Opoulus und Siralen Befendiku Issirimen auf der Suche nach neuen Verbündeten gegen das Chaos über die Grenzen Amaleas hinaus in fremde Gewässer segelt, konnten die Bündnispartner der Ordnung nicht ahnen, was sie dort jenseits der bekannten Welt erwarten würde. 

Weit südlich des großen Abgrundes liegt der Kontinent El‘Chan, der das ein oder andere Rätsel birgt, gleichfalls dessen Bewohner*innen. Tief im Landesinneren, in einer längst vergessenen Stätte, können die Reisenden einen Blick hinter den Vorhang werfen, der die Geheimnisse um die Herkunft der Magie, der Völker und der Welt selbst verbirgt. Doch die Wahrheit, die dahinter zum Vorschein kommt, bringt so manches Weltbild ins Wanken. Einzig Al’Jebal scheint zu wissen, was es mit dem dunklen Geheimnis auf sich hat und wie es das Spiel der Mächte von Chaos und Ordnung entscheiden wird.

Unterdessen tobt an Bord ein Machtkampf zwischen Chaos- und Ordnungsanhängern, der die gesamte Flotte ins Unheil zu stürzen droht. Schwarze Segel werden  am Horizont gesichtet und Intrigen, Missgunst und Neid sind allgegenwärtige Begleiter, die ihre bedrohlichen Schwingen über die Besatzung legen. In all dieser Dunkelheit setzt Siralen ein helles Zeichen, doch das Chaos strebt unnachgiebig danach, die aufkommende Flamme im Keim zu ersticken. So nimmt eine dramatische Verflechtung der Schicksale aller an Bord befindlichen Personen den Lauf.

Ein Vergleich zu den restlichen Bänden

Der Schreibstil, den J. H. Prassl in ihrem neuesten Werk verfolgt, unterscheidet sich klar von dem, der die ersten Bände prägte. Der Ausdruck wurde präziser, jedoch war mir an manchen Stellen nicht immer klar ersichtlich, welche Charaktere in eine Konversation involviert sind. Zieht man den ersten Band, Thorn Gandir, heran, kommt dies viel klarer zum Vorschein, was vermutlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass noch eine geringere Anzahl an Akteuren auftrat, ganz im Gegensatz zum neuen Band, in dem viele "NPCs" (gemäß dem Rollenspiel-Jargon) im einzelnen Kapitel oder der jeweiligen Szene gleichzeitig vorkommen. 

Ebenso sticht ins Auge, dass in den ersten Bänden der Reihe vorrangig die Sichtweise der namensgebenden Figur wiedergegeben wird, im neuesten Band wird oft zwischen Chara, Siralen und Irwin hin und her gewechselt, wobei letzterer weniger zum Zug kommt. Dies war, so meine persönliche Empfindung, ein kleiner Makel des Werkes, da die Perspektive eines weitestgehend ängstlichen, aber zugleich weltoffenen, wenn auch teils arroganten Barden interessante Blickwinkel auf die Begebenheiten und Entdeckungen geworfen hätte. 

Oft werden die story-relevanten Szenen aus der Perspektive von Chara und Siralen wiedergegeben, welche – in meinen Augen – eine eingegrenzte, subjektive Sicht auf die jeweiligen Geschehnisse darstellen, da beide meist strategisch und auf den eigenen Vorteil bedacht an Probleme herangehen, wobei erstere im Vergleich zu letzterer oft ihre persönlichen Werte beiseite schiebt und diesen zuwider handeln kann. Irwin hingegen handelt zumeist instinktiv und steht somit in einem interessanten Gegensatz zu den beiden anderen Protagonistinnen.  

Die Schicksale der Hauptcharaktere sind im vorliegenden Band enger als jemals zuvor verknüpft, da auf dem begrenzten Raum, den die Schiffe der Flotte und die Expeditionslager auf El’Chan bieten, die unterschiedlichen Persönlichkeiten bei vielen Punkten bezüglich des weiteren Vorgehens anecken, oder sich gar konträr gegenüberstehen. Aus den Blickwinkeln der verschiedenen Personen wird, ganz im Stile der vorangehenden Veröffentlichungen, die fortschreitende Geschichte wiedergegeben, wobei es J. H. Prassl gut gelingt, vieles (vorerst) im Dunkeln zu lassen, da gewisse Dinge und Informationen nur einem einzigen Charakter bekannt sind, den anderen aber nicht.

Der Schreibstil des Werkes, durch die Autor*innen als "Blindes Schreiben" bezeichnet, kommt hier zum Tragen. Da Judith zugleich die Spielerin von Chara und Co-Autorin ist, weiß man als Leser*in genau so viel wie sie selbst, und erlangt als "Miterlebender" der Geschichte kein Allwissen. Ebenso wenig kann Judith dieses unbewusst in das Werk hineinschreiben. Heinz hingegen verfügt als Spielleiter und Weltenbauer über jenes Verständnis des Verlaufs der Geschichte, sei es zu den Antagonisten und Protagonisten, den Hintergründen oder dem Finale, auf das die Geschichte hinauslaufen wird. Heinz präferiert diesen Schreibstil, da nicht bereits im Vorhinein auf ein Ende hingeschrieben werden kann, welches für die Lesenden im Rahmen ihrer imaginären Reise schnell ersichtlich wird. Auch die Entscheidungen, welche die Rollenspieler*innen treffen, bringen großes, unvorhersehbares Potential für die Geschichte, weil sie manche Türen aufstoßen, aber andere verschließen. Nach jedem geschriebenen Teil wird in einem kurzen Gespräch Rücksprache gehalten, ob die von Judith verfasste Geschichte zu weit von Heinz rotem Faden abweicht und ob man manchen Stellen nachgefeilt werden muss. 

Ich sehe dieses "Blinde Schreiben" als Gegensatz zu dem im Rollenspiel gefürchteten Meta-Gaming (d. h., Spieler*innen haben Informationen, die der Charakter nicht wissen kann/besitzen darf, diese dürfen nicht ins Spiel einfließen, um Vorteile zu erlangen, auch wenn der Charakter dadurch in Gefahr gerät oder scheitern wird), was in meinen Augen einen wundervollen Aspekt der Chaos&Ordnung-Reihe ausmacht, da sie auf einem Rollenspielabenteuer basiert. Ich fühle mich an manchen Stellen in meine eigenen Charaktere rückversetzt, wenn ich mir wünschte, etwas zu wissen, aber von der SL (Spielleitung) im Dunklen gelassen wurde. Die Lektüre der Welt von Amalea war für mich so, als würde ich an einem Tisch bei einer Rollenspielgruppe sitzen, aber nur als Zuhörer, nicht als aktiver Spieler. 

Der Schreibstil birgt für die Lesenden viele Wow-Momente. So wurde ich an mancher Stelle, nachdem ich mir in Gedanken bereits ausgemalt hatte, was passieren wird, ein ums andere Mal positiv überrascht, als das komplette Gegenteil, oder eine von mir nicht bedachte Lösung eintrat.

Die Entwicklung der Charaktere

Dadurch, dass Chara und Siralen beide im Kommando der Flotte stehen, krachen deren starken Persönlichkeiten ein ums andere Mal aneinander. Als sich Siralen zurückzieht und Chara rücksichtslos handelt, führt dies zu offen ausgetragenen Konflikten innerhalb des Flottenoberkommandos, dies gipfelt sogar in einer offiziellen Ächtung. 

Im neuesten Band durchlaufen alle Charaktere eine tiefgehende Veränderung. Siralens Leben wird von einem Moment auf den anderen auf den Kopf gestellt; Chara fühlt ihre Freiheit desto stärker, je weiter sie von Al’Jebal entfernt ist; Irwin wird anfangs von allen als nutzlose, feige und egozentrische Nervensäge angesehen, von der niemand weiß, wieso sie überhaupt an Bord ist, geschweige denn an den Landgängen und -expeditionen teilnimmt. Doch als das Chaos seine dunklen Klauen nach einzelnen Besatzungsmitgliedern ausstreckt, ist es der Barde, welcher mit seiner Musik die Wende bringt: Herzen werden geöffnet, Wunden geheilt und die emotionalen Wogen geglättet. In Irwin wohnt, so scheint es, eine unerschöpfliche, starke Quelle der Magie, die an den schwärzesten Tagen die Wende bringt und dann schier unaufhaltsam zu sprudeln scheint. 

Bei Chara wird an ihren Tagebucheinträgen offensichtlich, dass sie nicht mehr dieselbe Assassine ist, die am Ende des ersten Bandes am Hofe Al’Jebals in dessen Dienste trat. Diese Tagebucheinträge sind der einzige Aspekt des Buches, der uns einen Vorsprung gegenüber den anderen Protagonisten bringt. Wir wissen, wie Chara ungefähr handeln wird, und warum sie so handelt. Sogar Gefühle platzen ein ums andere Mal aus ihr heraus, sie öffnet sich anderen und handelt für die Freundschaft, gegen ihre eigenen Prinzipien. Im Epilog erfahren wir mehr über ihre persönliche Entwicklung. 

Wenn man als Leser*in mit sich selbst hadert

An manchen Stellen hätte ich die eine oder andere Person gerne zur Raison gebracht, sie angeschrien oder meine (fiktiven) magischen Kräfte verwendet, um doch alles zum Guten zu wenden. Diese Emotionalität, die beim Studieren dieses Bandes aus mir hervorbrach, spricht für den Schreibstil des Autorenduos, welcher mich seit dem ersten Band fesselt. Vermutlich liegt es auch daran, dass ich selbst ein begeisterter Rollenspieler bin und mich manches an Situationen aus meinen eigenen Runden erinnerte, in denen die Emotionen hochkochten. Da aber klar ist, dass nicht nur eine Person hinter dem Gesamtwerk steht, sondern jeder Charakter von einer realen Person gespielt wurde, die eigene Gedanken, Prinzipien und Lösungsansätze hat, muss jedem Lesenden bewusst sein, dass man nicht mit jedem Entschluss konform geht und darauf reagieren wird.

 

Spoiler!
Die für mich als Leser schwierigste Situation war jene, als offensichtlich wurde, dass das Kind von Siralen und Tauron Hagegard nicht so ist, wie jene es sich erhofft haben, sondern vom Slarpon (einem Wesen, welches seinem Träger fremde Sprachen übersetzen kann, sich aber mit dessen Wirbelsäule verbindet) korrumpiert wurde. Das gute Schicksal, welches ich beiden Charakteren aus tiefstem Herzen gegönnt habe, zerfloss somit förmlich zwischen den Buchseiten und rückte in weite Ferne, bis es sich letzten Endes in einer Reihe von Geschehnissen dramatisch zuspitzte, die ich nicht erwartet, geschweige denn moralisch und ethisch unterstützt habe. Dies war die einzige Stelle des Werkes, die in mir ein Unwohlsein auslöste, vermutlich auch, da ich anders gehandelt hätte, um die Situation zu entschärfen und ich hoffe, dass Siralen wieder zur starken, selbstbewussten Frau wird, die sie einst war und nicht an Charas Handlungen und Irwins Fehler, der den Stein erst ins Rollen brachte, zerbricht. 

Fazit

Zusammenfassend ist der sechste Band der Chroniken im Vergleich zu den vorangehenden Werken keine unfehlbare Heldengeschichte, viel mehr werden die Schwächen und Entwicklungen der einzelnen Charaktere in diesem Teil viel stärker zum Vorschein gebracht. Den Umständen der Mission geschuldet, geraten Chara, Siralen, Irwin und die anderen Mitglieder der Flotte ein ums andere Mal in eine moralische Bredouille, ob das persönliche Schickal über jenes der Allgemeinheit gestellt werden sollte.

Hilfreich war auch das Glossar am Ende des Buches, um wieder in die vorangehenden Bände hineinzufinden, oder um bei einem unbekannten Namen nachzuschlagen, um welche Person es sich hierbei handelt. 

Das Buch fesselte mich von Anfang bis Ende, auch wenn manche Stellen für mich persönlich wirklich schwer zu lesen waren, sodass ich ab und an kleinere Pausen einlegte, um das Gelesene und die Entwicklung der Geschichte zu verdauen. Alles in allem bleiben noch viele Fragen offen, wie es nun weitergeht. Sind die Verbündeten, welche man auf El’Chan gefunden hat, wirklich hilfreich? Sind sie nur Kanonenfutter? Was will Al’Jebal eigentlich? Wird sich Siralen wieder fangen, verzeiht sie Chara? Springt Chara über ihren Schatten, oder lässt sie wieder Freund*innen über die Klinge springen? Man darf auf jeden Fall gespannt sein, was uns in den nächsten Bänden erwarten wird. 

 

Weitere Artikel: