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Revolver Tarot

Wenn Gut und Böse sich zum Duell treffen

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Kategorie: Literatur

Nevada 1869: Mit letzter Kraft schleppt sich der 15jährige Jim durch die 40-Meilen-Wüste, bis er neben seiner treuen Stute Promise endgültig zusammenbricht. In diesen Momenten ahnt er nicht, dass ein schneller Tod nicht das Schlimmste ist, was ihn in einer von Gott verlassenen Welt zu erwarten hat. Nach seiner Rettung durch den Halbkojoten Mutt gelangt Jim nach Golgatha, wo er erst ins Amt des Hilfs-Deputys und dann in einen schier unmöglichen Kampf zwischen Zombies, Indianern, Göttern, raffgierigen Geschäftsmännern und Engeln gerät. Welches der Übel das Größte ist, wird ihm erst klar, als er sich näher mit dem Jadeauge beschäftigt, das sein Vater ihm vermacht hat und das dadurch zu seinem Geburtsrecht und zu seiner größten Verantwortung wird.

„Ruf mich nich’ an, ich muss die Welt des Wilden Westens retten!“

Während andere mit einer Erkältung im Bett liegen und langsam dahinsiechen, nutzen Leseratten die Gelegenheit der Zwangspause, sich kopfüber ins nächste Abenteuer zu stürzen. Mit schniefender Nase und keuchendem Husten hetzte ich also hinter Jon, Jim, Mutt und Maude her, um nicht nur ihre Geheimnisse zu ergründen, sondern mit ihnen die Bevölkerung von Golgatha und mal eben die ganze Welt zu retten. Der Berg aus Schutt und Asche, der sich neben meinem Bett stapelte, bestand dabei allerdings höchstens aus vollgeschnupften Taschentüchern. Und mit jedem Schritt, den die Helden von Revolver Tarot weiter auf den Abgrund und das Ende der Welt zutraten, schien mir meine Erkältung ein kleines bisschen weniger schlimm.

Schöpfung, Verrat, Hoffnung oder schlicht Blasphemie?

Im Verwirrspiel zwischen den Kriegen der Engel, dem Geschehen auf der irdischen Welt und den kleinen Familienscherereien, die jeder einzelne Charakter so mit sich bringt, kommt mal so gar keine Langeweile auf. Die verschiedenen Ebenen, in die der Leser quasi eingesogen wird, weisen vielerlei Parallelen und Verknüpfungen auf, sodass sich aus vielen kleinen Puzzleteilen ein großes Ganzes ergibt, das sich langsam offenbart und zum Schluss in einem letzten Urknall der Erkenntnis vollkommen preisgibt. Besonders spannend ist dabei die Frage, ob Gut und Böse wirklich in den Tiefen ihres Daseins das sind, was sie vorzugeben scheinen. War Gott nun zuerst da oder das Nichts, und war es wirklich legitim von Gott, das Nichts mit der Schöpfung zu vernichten? Ist es richtig, Engel um Engel zu opfern, um ein uraltes Wesen zu bannen, nur wegen der Idee der Menschheit, die man so gerne erschaffen möchte? Und wenn sich nun dieses uralte Wesen, das langsam erwacht, aufbäumt und versucht, von den Ketten der Knechtschaft zu befreien und seine eigene Lebenswelt wiederherzustellen, ist das dann wirklich … böse? Mit diesen Fragen wird der Leser auf allen Ebenen der Handlung konfrontiert und zum Nachdenken angeregt. Natürlich gibt es einen recht klaren Weg, zumindest aus der Sicht der Spezies, die dabei leider draufgehen müsste, aber ein kleiner nagender Funke aus Zweifeln bleibt dennoch übrig und genau das ist – meines Erachtens – auch der ganz besondere Clou des Buches.

Tiefsinnige Spannung

Neben all den Fragen, die aufgeworfen werden, verliert die Handlung aber in keinem Moment an Spannung. Die liebevoll gestalteten Charaktere, die ihre eigene Vergangenheit haben und dadurch vielschichtig und sympathisch werden, haben ihre eigenen Marotten und Probleme zu meistern. Der Gemischtwarenhändler, der sich von (zumindest Teilen) seiner Frau nicht trennen kann, der etwas andere Arzt, der versessen ist vom Augenblick, in dem ein Wesen stirbt, der Metzger, der die Witwe von nebenan gerne an einem Fleischerhaken aufhängen und mal so richtig … gernhaben möchte oder der mormonische Bürgermeister, dem seine beiden Frauen nicht genug sind, weil sie eben das falsche Geschlecht haben – sie alle haben ihren Platz in Golgatha. Aber selbstverständlich kennt auch der übliche Wahnsinn immer noch eine Steigerung. Zum Beispiel, wenn eben dieses uralte Wesen aus der Zeit vor Gott sich in den dunklen Tiefen der stillgelegten Silbermine rührt und einen nach dem anderen von Golgathas Bürgern zu Kindern der schwarzen Madonna werden lässt.

Fazit

Gläubige, die ein Problem mit Skepsis und Zweifel gegenüber konventionell-grundierten Glaubensvorstellungen haben, sollten die Finger von diesem Buch lassen. Für alle anderen ist Revolver Tarot von R.S. Belcher ein Must-Read. Dafür sprechen nicht nur die zahlreichen Momente, die den Leser wirklich zum Nachdenken über religiöse Gegebenheiten anstacheln, sondern eben auch die Verknüpfung von Helden und Toleranz-Konflikten, die damals wie heute Thema sind. Denn hier gibt es eben mal keinen strahlenden Ritter in goldener Rüstung, der sich mit unbefleckter Weste im Glanz der Tugend tummelt, sondern authentische Bürger mit all ihren Fehlern, Sünden und alternativen Lebensweisen, die trotz Schuld, Gewissensbissen und inneren Dilemmas die Kraft aufbringen, sich für das Richtige zu entscheiden. Das alles eingebettet in eine raue Wild-West-Szenerie ergibt für mich eine ideale Kombination. Das einzige, kleine Manko: Irgendwie sind manchmal zu viele übermächtige Wesen am Start und man weiß gar nicht so recht, ob’s ein bisschen weniger Allmacht nicht auch getan hätte.

Revolver Tarot
R.S. Belcher
(Papierverzierer Verlag, 2015)
512 Seiten, Smart Cover
ISBN: 978-3944544304
Webseite: Revolver Tarot beim Papierverzierer Verlag

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