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Queer*Welten

Ein Magazin für eine bunte Phantastik

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Kategorie: Literatur

Dass die Queer*Welten nicht einfach nur ein weiteres Fantasymagazin ist, dürfte den meisten Leser*innen schon beim Cover auffallen. Hinter dem bewusst mit dem vieldiskutierten * versehenen Titel prangt die LGBTIQ+ Flagge und ein kunterbuntes Wortcluster in Herzform gibt uns schon einmal einen ersten Einblick auf das, was uns im Innenteil erwarten wird. Ohne groß drum herum zu reden: Die Queer*Welten ist der selbstbewusste Versuch, queerfeministischer Phantastik eine starke Stimme und ein verlässliches Publikationsorgan zu geben.

Zu diesem Zweck haben sich drei Herausgeber*innen versammelt, die sich in ihren Funktionen und Projekten schon lange um eine Phantastik jenseits von Geschlechterklischees verdient gemacht haben. Zum einen wären da Judith Vogt und Lena Richter, die man unter anderem vom Genderswapped-Podcast und aus der Rollenspielszene kennen könnte, und zum anderen die ehemalige Verlagsleiterin des Feder-&-Schwert-Verlags Kathrin Dodenhoeft. Mit einer so engagierten und erfahrenen Herausgeberschaft ist die Messlatte hoch gesetzt …

Was die Queer*Welten sein soll und warum es sie braucht, machen die drei Herausgeber*innen unmissverständlich in ihrem Vorwort (und hier) klar: die Förderung einer diversen phantastischen Literatur, die Raum für häufig übergangene Realitäten lässt. Eine Phantastik, die – mal explizit, mal implizit – gesellschaftliche Missverständnisse und Diskriminierungen aufgreift und auch Lebensweisen einen Platz gibt, die allzu einfach vergessen werden. Also beispielsweise nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe, transgender oder Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau verstehen oder auch einfach nicht in alteingesessenen Rollenbildern aufgehen. Alles also, was sich nicht so ganz identisch machen lassen will. Eben ‚queer‘ ist. Dass das in der ihrem Selbstverständnis so unendlich kreativen Phantastik auch 2020 keine Selbstverständlichkeit ist, kann man ganz aktuell an den Äußerungen von J. K. Rowling sehen, die Trans-Identitäten öffentlichkeitswirksam ihre Existenz aberkennt, aber auch an den zeitlosen Nörgeleien darüber, dass es zwar kein Problem ist, Drachen durch Dimensionstore fliegen zu lassen, aber Charaktere mit dunkler Haut in kälteren Regionen einfach unrealistisch seien.

Dabei ist die Queer*Welten ein positives Projekt. Obwohl im nonfiktionalen Teil auch Platz für unbequeme Kritik an Fantasyklischees ist, und sicherlich auch die eine oder andere Auseinandersetzung mit unbequemen Debatten ins Heft aufgenommen werden wird, liegt der Schwerpunkt auf der produktiven Szene selber. Ein Queertalsbericht versammelt (zumindest in Zukunft) Veranstaltungshinweise und Rezensionen zu queerer Literatur, während der große Teil des Magazins Platz für die eigentlichen Held*innen des Heftes lässt: die Geschichten selber. Die werden übrigens ganz gemäß des eigenen Verständnisses mit Contentwarnungen versehen und durch alternative Bildbeschreibungen wurde bei der digitalen Version ein Schritt zur Barrierefreiheit gegangen. Inklusion findet hier also nicht nur in der Theorie statt.

Bunte Phantastik

Den fiktionalen Teil der ersten Ausgabe machen drei Kurzgeschichten und eine Science-Ficition-Ballade aus, die zwar alle ihre queeren Aspekte haben, aber zuallererst gute Geschichten sind. Annette Juretzki beschert der Reihe mit „Nebelflor“ einen würdigen Einstieg. Ein Geist sorgt in einem Dorf für blutigen Unfrieden und nur die angereiste Geisterjägerin Korja kann für Ruhe sorgen. Die Geschichte liest sich auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Fantasy-Kurzgeschichte. Schnelle Kampfszenen und ein mystischer Fluch bilden die Zutaten für schnelle und spannende Unterhaltung. Wie man von Juretzki gewohnt ist, brilliert die Geschichte aber vor allen Dingen im World-, oder hier vielleicht auch eher Mythosbuilding. Die Konzeption des Fluches ist ebenso überzeugend wie die detailverliebte Beschreibung der Welt, in die man gleich viel tiefer eintauchen möchte. Besonders in Erinnerung dürfte jedoch die ungewöhnliche Ansprache des*der Leser*in in Du-Form sein, die geschickt eingesetzt wird und der Geschichte eine zweite Ebene mit pointiertem Twist beschert. Wie der genau aussieht, das müssen die Leser*innen aber natürlich selber herausfinden …

Auch „Feuer“ von Mitherausgeberin Lena Richter bleibt vergleichsweise klassisch. In einer Zukunftswelt entdeckt ein Junge ungeahnte Kräfte und gerät unerwartet in einen Jahrhunderte alten Konflikt. Wir beobachten die Welt durch die Augen des Jungen, der sich selber sucht und mehr als einmal Zuflucht in Geschichten über starke Amazonen sucht. Diese Perspektive ermöglicht uns eine finale Überraschung und baut eine starke emotionale Bindung auf. Viele Leser*innen können sich vermutlich im Teenie-Protagonisten wiedererkennen. Durch beiläufige und selbstverständliche Klischeebrüche hebt sich die Geschichte zusätzlich von üblichen Erzählungen über auserwählte Held*innen ab.

Deutlich experimenteller sind „Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffs Plastilon“ von Jasper Nicolaisen und „Die Heldenfresserin“ von Anna Zabini. Nicolaisens verspielte Ballade konnte mich leider im Gegensatz zur Heldenfresserin nicht ganz erreichen. Die Fresserin hat es hingegen in sich. Auf wenigen Seiten wird eine intensive Dekonstruktion des Heldenepos vollzogen, die mich sprachlos zurückgelassen hat. Es ist sicherlich nicht die unterhaltsame Fantasy der Abendlektüre, aber eine nüchtern-wortgewaltige und kluge Abrechnung mit Geschlechterrollen in der Phantastik, die mein persönlicher Liebling des Bandes ist.

Von Orks, Briten und dem Mythos der "Kriegerrassen"

Jede Ausgabe wird darüber hinaus einen nonfiktionalen Text enthalten. In der ersten Ausgabe widmet sich James Mendez Hodes der problematischen Geschichte der Orks, die er als Weiterführung eines mongolischen Klischees enttarnt. Der umfangreiche Text ist dabei nur der erste von zwei Teilen und geht auf die Entstehungsgeschichte der Orks bei Tolkien und auf antimongolische Bilder von Dschingis Khan bis zum ersten Weltkrieg ein. Im zweiten Teil soll dann die Weiterführung des Orkbildes im Rollenspiel und der praktischen Umgang damit in der Fantasyliteratur und am Spieltisch diskutiert werden.

Mendez Hodes und der Übersetzung durch Kathrin Dodenhoeft ist dabei trotz des nicht ganz einfachen und umfangreichen Themas ein gut lesbarer und unterhaltsamer Text gelungen. Der mit Fußnoten und kleinen Bildeinschüben versehene Artikel vermeidet durch direkte Ansprache und das ein oder andere Augenzwinkern einen akademischen Duktus. Überzeugend gelingt es Hodes dabei zu zeigen, dass starke Parallelen zwischen der Beschreibung von Orks und mongolischen Feindbildern bestehen und das anzunehmen ist, dass Tolkien die Idee von "Kriegsvölkern" im britischen Militärdienst kennengelernt hat.

Nicht ganz überzeugen können mich hingegen die oft etwas lockeren Belege sowie die sprunghaften und starken Schlüsse. Anhand einer Briefstelle kann der Text eindeutig belegen, dass Tolkien bei den Orks selber einen "mongolischen Typen" vor Augen hatte, ja sogar den "für Europäer) am wenigsten schönen" Typus (S. 39). Für das Zwischenfazit, dass Tolkien die Orks gezielt so geschaffen habe, dass darin "die widerwärtigsten asiatischen Stereotype kombiniert und lebendig wurden" (S. 48), fehlen mir aber stärkere Belegstellen im Werk selber. Zwar wird auf die orkische Entstehungsgeschichte aus dem Simarillion eingegangen, die kann aber die starken Thesen des Textes nicht genug untermauern. Es ist problemlos haltbar, dass Tolkien das Aussehen der Orks an "Mongolen" angelehnt hat, was zusammen mit dem Bild der "Kriegerrasse" ein mehr als problematisches Szenario aufbaut. Für den Schluss, dass sich der gesamte Herr der Ringe um den Antagonismus zwischen "europäische[m] Heroismus und asiatische[r] Bösartigkeit" drehen soll, reicht es aber nicht, dass Tolkien an einer Stelle erwähnt, dass er die Hobbits als "Abbildung des Englischen Soldaten" konzipiert hat (S. 48).

Insgesamt erreicht der Artikel alles, was er soll. Er ist unterhaltsam und regt zum Nachdenken an. Wer aber nicht vorher schon zumindest ein Stück von der Argumentation überzeugt ist, kann den Text relativ leicht als übertrieben abtun und darin mit einigem bösen Willen ein Beispiel für eine moralisierende Überpolitisierung der Fantasy erkennen. Ein paar Quellenangaben mehr und eine etwas langsamere Argumentation hätte dem wichtigen Thema gut getan. Nichtsdestotrotz bin ich gespannt, wie der Autor in der nächsten Ausgabe das Orkbild in der Rollenspiellandschaft diskutieren wird.

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