X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

Niemandes Schlaf

Botanische Unruhe im dystopischen Himmel

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Literatur

Wir befinden wir uns in einer Welt, in der Schlaf beinahe verschwunden ist. Menschen leben hier auf engstem Raum in einer riesigen Stadt und sind geprägt und völlig abhängig vom allgegenwärtigen Internet. Als wie aus dem Nichts überall Blumen in allen erdenklichen Facetten auftauchen, droht die Stadt im Chaos zu versinken.

General Baker traut seinen Augen kaum, als er seinen entflohenen Hornissen-Drohnenschwarm in einem Schlachthaus wiederfindet und feststellt, dass dieser – vollkommen autonom handelnd – die beeindruckende Skulptur einer Blume kreiert hat. Zu allem Überfluss geht dieses Werk auch noch im Internet viral und Influencer*innen überschlagen sich mit Meldungen zu Blumen. Die Vielfalt ist dabei sowohl bemerkenswert wie undurchsichtig: Memes, Graffitis, Prints auf Kleidung, Wurst in Blumenform, in nächtlichen Träumen und in Computern finden sich Motive von Blumen. Selbst in Spülkästen von Toiletten keimen echte Pflanzen.

Professor Calvin, die Schlaf durch Unmengen von Tee ersetzt, arbeitet mit General Baker daran, Struktur ins Chaos zu bringen und der Ursache auf den Grund zu gehen. Dabei verfolgen die beiden unterschiedliche Ansätze. Während sie wissenschaftlich an die Thematik herangeht, Daten und Statistiken durchforstet, ruft er das Kriegsrecht aus und ist genervt, dass er die Blumen nicht einfach wegballern kann: “Ich werde langsam zu alt für Leute, die schlechte Fantasy-Romane in meiner Stadt inszenieren.” Zumal all das unbemerkt vor ihren Augen geschieht, wo die Stadt, die Einheimischen wie auch alle Systeme doch eigentlich nonstop überwacht werden. 

Protagonistin wie auch Narratorin der Geschehnisse ist Lou, eine nicht-binäre Person, die an Muskelschwund leidet und daher auf ihren KI-gesteuerten Rollstuhl Richard angewiesen ist, der ständig verbessert wird, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Lou bildet mit ihrem besten Freund, dem brillianten Wissenschaftler Tuomas, ein starkes Team in der Forschungsgruppe Bioakustik. Deren Leiter ist der exzentrische, aber liebenswerte Professor Scholz. 

Als Eva, eine Studentin, zur Gruppe stößt, ist Lou fasziniert von ihr – trotz Evas mysteriöser Vergangenheit und ihrem offensichtlichen Rückzug aus der Welt. Die junge Frau scheint eine besondere Verbindung zu den in den Kliniktoiletten aufgetauchten Blumen zu haben. Klammheimlich macht das Team sich daran, den Geheimnissen der Spülkasten-Botanik auf eigene Faust auf den Grund zu gehen. Während die Welt durch das Auftreten der Blumen immer verrückter wird und Lou versucht, die Ereignisse zu erfassen, schreitet der Prozess voran und soll die Welt am Ende nachhaltig verändern.

Zwischen Wissenschaft und transdimensionalen Phänomenen 

In Niemandes Schlaf von Sven Haupt werden die Lesenden in eine fein ausgearbeitete, futuristisch-dystopische Welt entführt, die mit ihrer Fülle an Details und Tiefe beeindruckt. Im Roman verfolgen wir zwei Hauptstränge. Zum einen den von Baker und Calvin, die sich auf unterschiedliche Weise bemühen, Ordnung in das blumige Chaos zu bringen. Bakers militärische Sichtweise kollidiert dabei mit Calvins wissenschaftlichem Ansatz, was zu interessanten Konflikten und Dialogen führt.

Zum anderen verfolgen wir Lou und ihr Team. Dabei gelingt es, Lou sowohl als aktive Gestalterin der Handlung als auch allwissende Erzählerin einzusetzen. Ihre doppelte Rolle birgt eine spannende Perspektive auf die Geschehnisse und verleiht dem Roman eine zusätzliche Ebene der Komplexität. Lous Persönlichkeit und Sicht auf die Welt sind zugleich universell und intim, was sie zu einer besonderen Identifikationsfigur macht.  

Die Figuren sind generell nuanciert und vielschichtig gestaltet, indem immer wieder kleinere Episoden und Charaktergeschichten eingeflochten werden. Diese ergänzen und vertiefen nicht nur das Verständnis für die einzelnen Personen, sondern tragen auch dazu bei, das Gesamtbild der Romanwelt abzurunden. Sei es ein Restaurantbesuch mit Lou und Eva, der keinen Raum für Privatsphäre oder Toilettengänge lässt, oder Tuomas Art und Geschick, den Überwachungen der Klinik zu entgehen. Diese Abschnitte sind spannend zu lesen und verleihen der Geschichte zusätzliche Bedeutung. 

Auch die Einbindung der künstlichen Intelligenzen wie Richard, George und Toto fügt eine subtile dystopische Nuance hinzu. Die Künstlichen Intelligenzen werden in Niemandes Schlaf nicht nur als Werkzeug genutzt, sondern sie sind auch Akteure mit eigenem Einfluss und Bedeutung im Kontext des Romans. Der Umgang der Charaktere mit ihnen spiegelt zudem die unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Gesellschaft wider, was zu weiteren Spannungsfeldern führt.

Die realitätsnahe Darstellung technologischer Anwendungen – wie zu beobachten bei Lous KI-gesteuertem Rollstuhl Richard – geben den futuristischen Elementen des Buches Balance und fügen der Geschichte einen zusätzlichen Grad an Realismus hinzu. Oder um es mit Professor Calvins Worten zu sagen: “Wir brauchen keine transdimensionalen Monster, die kommen, um uns zu vernichten. Wir schaffen das sogar, wenn uns lediglich jemand Blumen schenkt.“

Fazit 

Niemandes Schlaf ist eine fesselnde Geschichte, die in einer futuristisch-dystopischen Welt voller Rätsel und Geheimnisse situiert ist. Es ist eine Erkundung des menschlichen Wesens auf individueller wie auch gesellschaftlicher Ebene, in einer Welt, die sich zusehends verändert und in der die Protagonisten sich ebenso entwickeln und verändern. Die Haupt- und Nebencharaktere des Buchs sind allesamt starke Persönlichkeiten, die trotz aller Unterschiede funktionieren und mit unerwarteten Wendungen überraschen. 

Darüber hinaus stellt Niemandes Schlaf die Grenzen von Wissenschaft, Technik und Kontrolle in Frage und zeigt die Möglichkeiten und das Potenzial der Kreativität auf. Es ist ein intensives Leseerlebnis, das den Lesenden nachdenken und über den Horizont hinausschauen lässt. Der Roman zeigt, wie mächtig visuelle Inhalte in unserer vernetzten Welt sein können. Mit einem Augenzwinkern werden die Kontrollversuche eines Überwachungsstaates ins Visier genommen.

Dabei werden auch komplexere Themen auf eine humorvolle Art und Weise behandelt, die der anspruchsvollen Thematik Leichtigkeit verleiht, ohne die Bedeutung dessen, was erzählt wird, zu schmälern. Wer also auf der Suche nach einem erfrischenden, herausfordernden und dennoch unterhaltsamen Leseerlebnis ist, sollte das neue Buch von Sven Haupt nicht verpassen. 

Weitere Artikel: