X

Cookie Notice

Wir nutzen auf unserer Website Cookies und andere Technologien, um zu analysieren wie Sie unsere Webseite nutzen, Inhalte zu personalisieren und Werbung zu schalten. Durch die weitere Nutzung erklären Sie, dass Sie mit der Nutzung von Cookies einverstanden sind. Beachten Sie bitte, dass dieser Hinweis und die Einstellungen nur für die AMP Version unserer Seite gelten. Auf der regulären Website treffen Sie die Auswahl über den Cookiebot.

Startseite
Brett- und Kartenspiele Cosplay Filme Games Intern Interview Kurzgeschichten LARP Literatur Musik Pen & Paper Rezepte Sonstiges Tabletop Veranstaltungen

New Hong Kong Story

Cinematisches Kung-Fu-Rollenspiel

Zur klassischen Webseite

Kategorie: Pen & Paper

New Hong Kong Story bezeichnet sich selber als ein „Cinematic Action Rollenspiel". Damit ist der Fokus des Spiels deutlich angezeigt. Hier geht es darum, actionreiche Hong-Kong-Filme nachzuspielen. Das Spiel gibt uns daher alles an die Hand, um Kung-Fu- und Triaden-Filme oder kampfbetonte Actionserien nachzuspielen. Dazu bietet es umfangreiche Regeln für Martial-Arts-Kämpfe, klassische Eigenschaften für Helden und Widersacher des Genres, Hintergrundbeschreibungen typischer Schauplätze und sogar eine kommentierte Liste der wichtigsten Genrefilme. Dazu kommt das Spiel mit einem ungewöhnlichen Twist daher: Statt unmittelbar in die FIlme und Serien zu springen, verkörpern wir Schauspieler, die ihre Werte auch über verschiedene Filmprojekte hinweg behalten und verschiedene Rollen annehmen.

Der Twist

Der Wechsel vom Charakter zum Schauspieler ist keine Nebensache und neben der Genreadaption das auffälligste Merkmal von New Hong Kong Story. Das Spiel ist keine reine Setting-, sondern tatsächlich eine Filmgenreadaption. So wird die Spielleitung passenderweise (aber genuin maskulin) als Regisseur bezeichnet und angehalten, sich an Dramaturgien des Hong-Kong-Kinos zu orientieren und beispielsweise auch Schnitte und Kameraperspektiven mit in die Beschreibungen aufzunehmen.

Auch auf (Schau-)Spielerseite wird das Konzept konsequent umgesetzt. Take-2-Punkte erlauben uns, eine Aufnahme neu zu drehen, also einen Wurf zu wiederholen. Sonderfertigkeiten ermöglichen Cuts oder statten uns mit markigen Zitaten aus und wir dürfen im Spiel coole Stunts ansagen und dafür schwerere Proben ablegen, aber Bonuspunkte ergattern. Über die Abende sammeln wir außerdem Starruhm und Awards an, was wir im Spiel ebenfalls zu unserem Vorteil einsetzen dürfen.

Tatsächlich wird der Blick auf die Filmlandschaft so sehr zum Thema, dass unser Spieleabend selbst als Film behandelt wird. Hatte unser Spieleabend Überlänge und Blockbusterqualität oder hat es nur für eine Direct-to-DVD Produktion gereicht? Je nach Erfolg des Films erhalten unsere Schauspieler unterschiedlichen Starruhm, den sie durch passende Awards für „den besten Stunt“ oder „die beste schauspielerische Leistung“ individuell erhöhen dürfen. Erfahrungspunktvergabe einmal anders.

Nach einigen Abenden dürfen wir sogar ein New-Hong-Kong-Story-Filmfestival abhalten, die einzelnen Filme nominieren und Filmpreise ergattern. Unsere Schauspieler können auf der Avenue of Stars verewigt werden und sich zur Ruhe setzen. Gelungen ist auch die Tatsache, dass wir unsere Schauspieler in wechselnden Runden oder gar auf Conventions mitnehmen dürfen und nicht an eine feste Spielgruppe gebunden sind

All das ist fachkundig recherchiert, stimmig in Szene gesetzt und mit Regelvorschlägen unterfüttert, nimmt sich aber nicht zu ernst. Die Metaebene von rotem Teppich, Filmawards, Outtakes und Rollencastings hebt das Spiel zweifelsohne ab, kann aber auch relativ schnell abgehandelt werden. Auf alle Fälle bleibt es ein gelungenes stilistisches Mittel, um wiederholte Proben und Schicksalspunkte für die Veränderung der Umgebung (hier: Drehbuchänderungen) zu erklären.

Über 80 eindrucksvoll Tuschebearbeitungen werten das Buch passend zum Genre auf

Die Regeln

Während das ungewöhnliche Genre und die übergreifende Schauspielerebene äußerst innovativ sind, ist das Regelwerk deutlich klassischer angelegt. Während es bereits ein minimalistisches deutschsprachiges Spiel in einem vergleichbaren Genre gibt (Die Legenden von Xia Wu (pdf)), entscheidet sich New Hong Kong Story fast schon für einen Maximalansatz. Da die Grundregeln durchaus simpel gehalten sind, stellt sich das System nicht zu Unrecht als einsteigerfreundlich dar, es müssen aber dennoch umfangreiche Listen und eine Vielzahl an Fallunterscheidungen im Blick behalten werden. Es ist kein Leichtgewicht, kann aber mit fachkundiger Unterstützung schnell erlernt und verstanden werden.

Grundsätzlich basiert das System auf einer Attributs- und Fertigkeitskombination. Schauspieler – und davon abgeleitet die Rollen – verfügen über sechs grundlegende Attribute mit den Werten von 1–10 sowie etwa 30 Fertigkeiten im gleichen Punktebereich. Um eine Probe zu bestehen, muss die Summe aus einer Fertigkeit und passendem Attribut mit einem zwanzigseitigen Würfel erreicht oder unterwürfelt werden, wobei je eine 10% Chance auf einen kritischen Erfolg (1 oder 2) oder Patzer (19 oder 20) besteht. Durch die relativ freie Kombination beider Werte können Proben flexibel umgesetzt werden. Anstatt einfach auf Klettern zu würfeln, darf die Regie entscheiden, ob hier die Ausdauer wichtig, ein geschickter Griff entscheidend oder ob es gerade eine Frage der Stärke ist. Grundsätzlich steht nicht einmal einer Coolness- oder Wissens-Probe auf Klettern etwas im Weg.

Martialische Nahkämpfe gehören fest zum Genre ...

Was am Spieltisch durchaus schnell vonstattengehen dürfte, ist bei der Erstellung doch etwas komplexer. Zum einen müssen hier abgeleitete Werte berechnet werden. Der Basiswert des Nahkampfangriffs bestimmt sich beispielsweise durch [(Stärke x 2 + Chi) / 3], was zwar nicht überordentlich komplex ist, aber ganz gut anzeigt, in welche Richtung das System geht. Auch das Steigern von Fertigkeiten bestimmt sich durch die Addition eines jeweils spezifischen Grundwertes mit der zu erreichenden Stufe. Um unsere Fingerfertigkeit zu erhöhen, bezahlen wir zwei Fertigkeitspunkte zuzüglich zu der zu erreichenden Stufe; um den Waffenlosen Kampf zu verbessern, zahlen wir gleich sechs Punkte plus Zielwert. Das ist schnell begriffen und wird handlich auf dem Charakterbogen angegeben, macht das System aber durch die unterschiedlichen Basiswerte nicht unbedingt übersichtlicher.

Am umfangreichsten sind schließlich die etwa 150(!) Vor- und Nachteile sowie zehn Martial-Arts-Stile mit passenden Angriffslisten und Fertigkeitsstufen. Man merkt all diesen Listen an, dass hier viel Recherchearbeit und Genrekenntnis eingeflossen ist. Detailverliebte Genrefans dürften ihre wahre Freude daran haben, ihre Charaktere mit maßgeschneiderten Fertigkeitslisten und Kampfstilen zu versehen. Unser blind kämpfender Ausdauer-Meiser mit Kalebasse als Lieblingswaffe und Meisterschaft im Drunken Style Kung-Fu lässt sich sicher in wenig anderen Spielen so detailliert umsetzen. Das Punktesystem vermeidet dabei großen Glückseinfluss, das System ist aber erst einmal nichts, um „mal schnell“ einen Schauspieler zu erstellen.

Dafür sind die einzelnen Subsysteme regeltechnisch relativ schlank gehalten und untereinander kompatibel. Sie haben aber wie alle mehr oder minder konkrete Listen das Problem, grundsätzlich unendlich ausbaubar zu sein. Obwohl hier noch Raum für Erweiterungen ist, ist das Buch an sich relativ geschlossen. Vor- und Nachteile, Kampfstile, umfangreiche Waffenlisten und sogar ein bisschen Übersinnliches (Wuxia) sind umfassend genug vorgestellt. Darüber hinaus lassen sich fehlende Elemente problemlos selbst entwerfen. Mit den Martial-Arts- und Wuxia-Kartensets dürfen wir übrigens bereits neue Martial-Arts-Stile, Techniken und Waffen erwerben.

... ebenso wie nicht weniger martialische Schießereien

Inwieweit der detaillierte und listenintensive Regelstil gefällt, ist sicher Geschmacksache. Tatsächlich sind die beliebten großen Rollenspielsysteme zumeist in diesem Stil aufgebaut und New Hong Kong Story vermeidet größere Fallstricke. Das System ist konsequent geschrieben und kann mit etwas Einarbeitungszeit sauber und am Spieltisch flüssig gespielt werden, es richtet sich aber eher an Regelfüchse und potentielle Charakteroptimierer als an primär narrative Rollenspielrunden.

Das Genre

Alle Regeln sind eindeutig auf actionorientierte asiatische Filme ausgelegt. Nicht nur die Schauspiel- und Produktionsebene, sondern auch die Regeldetails, Vorteilslisten und Beispiele sind gänzlich genrebezogen. Der Fokus liegt klar auf Kampf- und Actionszenen und eine gewisse „Coolness“ der Aktionen. Viele kleine Regeldetails unterstützen diesen Stil ebenso wie graphische Elemente und die klare Einteilung unterschiedlicher Nichtspielercharakter-Klassen. Die Spielleiterhinweise – im Regiestuhl – fallen hingegen erstaunlich knapp aus. Auch ein Beispielabenteuer fehlt, wenngleich der „Kurzfilm“ Under Fire im Rahmen des diesjährigen Gratisrollenspieltages kreiert wurde und entweder heruntergeladen oder gleich mitbestellt werden kann.

Die Hintergrundinformationen zu Hong Kong, dem chinesischen Festland und unterschiedlichen Dynastien geben einen eher allgemeinen Überblick und Kontext. Am besten lässt man sich daher von den echten Vorlagen inspirieren und von den Hong-Kong-Filmen anstecken. Dazu sind die mehr als 100 mitgelieferten kurzen Filmbesprechungen ein perfekter Leitfaden und können schnell zum improvisierten Abenteuer – pardon: Film – taugen.

Die Landkarten sind in einem schicken Aquarellstil gehalten und allemal schöner als auf Onlinekarten zurückgreifen zu müssen.

Die Aufmachung

Optisch ist New Hong Kong Story äußerst gelungen und muss sich auch vor Rollenspielgrößen nicht verstecken. Auch wenn der Druck nicht so opulent ausfällt wie bei umfangreichen Großauflagen und wir bei der kostengünstigen Standardausgabe keinen Hardcoverluxus bekommen, wird das durch das überzeugende Artwork allemal wettgemacht. Fast jede Doppelseite kommt mit irgendeiner grafischen Auflockerung, zumeist einer kräftigen Tuschegrafik, daher. Darüber hinaus wird jedes Kapitel mit einer kleinen Drehstreifensequenz eingeleitet und die Martial-Arts-Stile werden mit optisch aufgewerteter Kalligraphie abgegrenzt. Die Hintergrundbeschreibungen von Hong Kong und anderen Schauplätzen sind sogar mit schicken Farbkarten bebildert. Hier wurde wirklich viel Zeit und Aufwand in die Bebilderung und grafische Umsetzung gesteckt und ein runder Stil gefunden.

Auch das Layout ist durchdacht. Zwar wirkt es manchmal etwas gedrängt, braucht den Platz aber, da die immerhin 330 Seiten randvoll mit Text gefüllt sind. Gut platzierte Tabellen präsentieren den Inhalt übersichtlich und gelbe Haftnotizen heben Formeln hervor. Stimmungsvolle Beispiele werden farblich unterschieden, auch wenn der Farbunterschied im Druck leider etwas schwach durchkommt. Index und Inhaltsverzeichnis sind mittlerweile Standard und erleichtern das schnelle Auffinden gesuchter Regeln deutlich.

Kampfstile werden mit Kalligraphien eingeleitet. Hier: Drunken Style Kung-Fu

Weitere Artikel: