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Neues aus der Feendrachenhöhle 3

Halloween oder einmal volltanken bitte!

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Kategorie: Kurzgeschichten Literatur Sonstiges

Neulich, ich hatte gerade meine frisch geschrubbten Drachenmauken wohlig im behaglichen Goldmünzennest zu einem kurzen Vorabendschläfchen ausgestreckt, da hörte ich draußen ein schrilles Kichern. Zuerst dachte ich, dass es wieder zu einem typischen Streit zwischen den Anwohnern auf der anderen Seite des feuchten Flusses gekommen war. Doch ich sollte mich irren. Dem schrillen Kichern folgte das mir nur allzu bekannte frustrierende Klingeln.

   „Ich bin nicht ansprechbar!“, rief ich genervt.
   „Offensichtlich ja doch“, kam es frech zurück.
   Das war Kai!
   Ich weiß nicht wieso, aber ich stand auf. Auf dem Weg zur Tür beschlich mich eine Vorahnung. Eine schlimme Vorahnung.
   „Hallo, was willst du denn schon wie …“, mir blieben die Worte im Maul stecken. Draußen stand nicht das Menschenmädchen Kai, sondern eine kleine, schwarz angezogene Hexe mit spitzem Hut. Sie grinste mich mit einem unechten, breiten Steinbruchgebiss an, sodass ihre ebenfalls unechten Warzen nur so wackelten. Und sie hatte die Hände in die Luft gehoben, vollführte einige Beschwörungsbewegungen und lachte hämisch dabei.
   „Süßes oder Saures!“, krakehlte die Hexe und hüpfte von einem Bein auf das andere.
   „Sehr beeindruckend“, sagte ich unbeeindruckt.
   „Gefällt dir meine Verkleidung?“, fragte die Hexe, die nun wieder eindeutig nach Kai klang. An ihrer Stupsnase und den lebhaften Augen hatte ich sie natürlich bereits erkannt.
   „Sie ist nicht ganz originalgetreu, aber durchaus interessant interpretiert“, musste ich zugeben.
   „Jetzt sei mal nicht so pingelig“, meinte Kai, während sie die Aufsteckzähne aus dem Mund nahm und in einer Tasche ihres Kleides verstaute. „Bei Halloween geht’s in erster Linie um den Spaß.“
   „Halloween, was für ein Halloween? Ist das nicht so eine merkwürdige menschliche Marotte?“
   „Ja, ist es. Aber heute ist es auch genauso deine Marotte. Und die deiner Nachbarn. Wir gehen sie besuchen und fordern Süßigkeiten“, sagte Kai bestimmt. „Aber vorher verwandeln wir dich noch in ein furchteinflößendes Ungetüm.“
  ‚Die Nachbarn besuchen?‘, hallte es in meinem Kopf nach. Meine schlimme Vorahnung verwandelte sich jedenfalls gerade in grausige Gewissheit. Noch konnte ich meine nervöse Lunge in Zaum halten. Doch dass ich an diesem Abend meine Höhlennebenbewohner aufsuchen musste, war offenbar nicht das einzige Grauen.
   „Was meinst du mit verwandeln?“, fragte ich daher irritiert und blickte an Kai vorbei. Hatte sie irgendwo eine echte Hexe versteckt?
   „Mit verwandeln meine ich verkleiden. Du musst dir ein Kostüm anziehen, das unheimlich ist und Angst einjagt.“ Kai blieb beharrlich. „Das macht wirklich Spaß, wirst schon sehen. Das ist wie LARP.“
   Ich zog die Stirn in Falten.
   „LARP? Du meinst so wie ‚Leckerer Anis-Rachen-Putzer?“
   „Nein.“
   „Locker-amüsante Ränke-Plänkelei?“
   „Nö.“
   „Lässige Alt-Roben-Parade?“
   „Ich meine LARP wie Live-Action-Role-Play“, sagte Kai.
   „Ach das LARP“, erinnerte ich mich und winkte ab. „Ich weiß nicht, ob ich das will. Außerdem hab ich kein Kostüm. Wenn ich das Halloween-Prinzip richtig verstanden habe, kann ich ja schlecht als ich selbst gehen. Und das obwohl ich als Feendrache bereits Angst und Schrecken verbreite. Eben weil ich ein fruchteinflößendes Ungetüm bin.“
   „Bist du nicht“, sagte Kai knapp und verschränkte die Arme.
   „Bin ich wohl.“
   Ich kniff die Augen zusammen und starrte Kai an. Kai kniff ebenfalls die Augen zusammen und starrte zurück. Augenscheinlich waren wir in einem Augenduell verhakelt.
   „Also“, sagte Kai.
   „Also“, sagte ich.
   Wir ließen beide nicht locker.
   „Wir könnten dich in einen gruseligen Skelettdrachen verwandeln, indem wir dir Knochen aufmalen“, erklärte Kai. „Oder in einen ekligen Zombiedrachen, der Gehirne futtern will.“
   „Du vergisst, mit wem du es zu tun hast“, gab ich so jovial zurück wie ich konnte. Es wurde schwer, weder zu blinzeln noch den Blick abzuwenden. „Ich muss nicht erst sterben und wieder auferstehen, um mich an Gehirnen gütlich zu tun. Außerdem jagt das doch niemandem Angst ein. Erst recht nicht mir selbst.“
   „Also hast du vor nichts Angst?“
   Ich zögerte offenbar eine Sekunde zu lang. „Nei-ein.“ Ein widerliches Bild schoss mir durch den Kopf und ich verzog für einen Augenblick mein Antlitz.
   „Hah! Du hast geblinzelt!“, meinte Kai triumphierend.
   „Hab ich nicht“, maulte ich geschlagen.
   „Drachenjäger, schwarze Pfeile, Zahnarzttermin“, zählte Kai neugierig auf. „Wovor hast du Angst? Sag schon!“
   Ich wollte nicht darüber reden. Wer will schon über seine unangenehmsten Ängste reden? Das ist schließlich beängstigend. Und unangenehm. Jedoch würde dieses Kind nicht aufhören zu bohren. Soweit kannte ich Kai bereits. Ich machte es daher kurz und schmerzvoll.
   „Na gut, wenn du es also unbedingt wissen willst: Ich kann kein Benzin sehen“, seufzte ich und ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich an die seltsame Flüssigkeit denken musste.
   „Benzin? Davor hast du Angst, ehrlich?“ Kai sah mich ungläubig an.
   Ich nickte bestätigend. Es war nicht schön, aber ich hatte mir diese Angst nicht ausgesucht, sondern sie mich.
   „Tja, manche Menschen können kein Blut sehen, ich kann eben kein Benzin sehen. Oder riechen. Dieser stechende Gestank, da wird mir immer ganz komisch. Du musst wissen, wir Drachen haben eine empfindliche Nase.“
   „Na gut.“ Kai nickte. „Dann ist es ja perfekt, dass wir heute Halloween haben. Wir brauchen eine Verkleidung für dich, die was mit Benzin zu tun hat und du kannst dich deinen Ängsten stellen. Vielleicht ein Auto …
   Ich zitterte am ganzen Körper. Selbst die Rauchwölkchen, die just dabei gewesen waren sich in meiner Lunge zu formieren, verpufften schlagartig.
   „… oder, nein, noch besser. Eine Tanksäule. Ja, genau, das machen wir, wir verkleiden dich als Tanksäule! Lass uns mal nachschauen, was wir in deiner Höhle finden können, das dich wie ein Benzinspender aussehen lässt.“
   Sprach‘s und versuchte mich in meine Behausung zu schieben. Ich allerdings spürte gar nicht, dass Kai beide Arme in meinen Bauch gestemmt hatte, weil ich starr ob der Vorstellung war, genau das zu sein, was eines meiner schlimmsten Schreckgespenster darstellte. Wenn auch nur verkleidet.
   „Heh“, hörte ich Kai schnaufen. „Nun mach mal ein bisschen mit.“
   Wie in einem Albtraum gefangen, bewegte ich die Glieder. Zu meinem Erstaunen kam ich auch von der Stelle.
   „Also, was können wir denn nun verwenden?“
   Kai sah sich suchend um. Dann lief sie durch die Höhle und kramte in meinen Sachen. Ich beobachtete sie dabei wie durch einen Nebel. Nur langsam setzte meine Sprache wieder ein.
   „Aber ich will das nicht“, kam es mühsam aus mir hervor. „Das ist mir einfach zu unheimlich. Und war es nicht so, dass sich eigentlich die anderen erschrecken sollen und nicht ich?“
   „Hier, das könnte klappen.“ Anstatt auf meine Frage zu antworten, hielt Kai mir zwei alte Fahrradgummis entgegen. „Daraus basteln wir die Benzinschläuche. Und die kriegst du dann rechts und links drangemacht. Dann brauchen wir noch was, was dich wie einen Kasten aussehen lässt. Hast du irgendwelche Bretter da?“
   Ich überlegte einen Moment. Das Überlegen hielt mich vom Angsthaben ab.
   „Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Wir können hinten in der Schatzkammer mal nachschauen“, sprach ich zögerlich und deutete auf eine kleine Tür, die in der dunkelsten Ecke meiner Höhle versteckt lag.
   „Krass, du hast ‘ne richtige Schatzkammer?“
   Kai war begeistert.
   „Natürlich habe ich eine richtige Schatzkammer“, antwortete ich etwas pikiert. „Ich bin ja auch ein richtiger Feendrache.“
   Ich ging hinüber, steckte meine Kralle in das Schloss und die Tür sprang auf.
   „Woooaaahh!!!“, machte Kai, nachdem ich mit einem kurzen Feuerstoß die Fackeln in den oberen Wandhalterungen angezündet hatte. „Das ist ja megastark! So viel Gold und Edelsteine.“
   „Ach das, das ist doch gar nichts.“ Ich tat herablassend. Aber eigentlich war ich sehr stolz auf meine unterirdische Halle mit den drei Goldbergen und den vielen farblich sortierten Juwelenhügeln. „In meiner Familie hab ich den kleinsten Schatz, aber ich bin zufrieden.“
   Kai wollte die Steintreppe hinabrennen, doch ich hielt sie zurück.
   „Wenn wir was passendes Brettartiges finden wollen, dann müssen wir oben auf der Galerie bleiben. Da hinten ist der Gerümpelhaufen mit dem wertlosen Unrat.“
   Wir gingen beide an das eine Ende der Galerie, an welchem ich Ritterrüstungen, Gewänder und dergleichen Müll mehr aufgestapelt hatte. Das Zeug hatte sich im Laufe der Zeit wie von selbst angesammelt, ich musste wirklich endlich mal entmisten.
   „Das ist doch perfekt.“ Kai fischte angestrengt einige Schilde heraus. „Die befestigen wir aneinander und legen sie dir um.“
   „Wenn du meinst.“ Mir war schon alles egal. Ich trug die mannsgroßen Schilde aus der Schatzkammer heraus und ließ sie scheppernd in der Mitte meiner Höhle auf den Boden fallen. Kai betrat ebenfalls den Raum. Sie hielt eine kaputte Wahrsagerkugel in der Hand.
   „Funktioniert die?“
   „Nein. Die habe ich mir von einem fahrenden Zauberer aufschwatzen lassen. Der meinte, die Kugel wäre sehr mächtig und hätte sogar einen Namen. Wie war der gleich? Der Name hatte was mit einem Tier zu tun … Palland-Tier oder so ähnlich. Wie du siehst, ist sie innen hohl. Da ist nix mit Magie.“
   „Aber ich habe eine Idee, was wir damit machen können“, sage Kai und war bereits eifrig mit den Fahrradgummis beschäftigt. „Los, wir müssen uns beeilen, es ist schließlich schon fast dunkel.“
   Etwas später hatten wir mir die aneinandergebundenen Schilde übergestreift und die zwei improvisierten Schläuche baumelten an meinen beschildeten Flanken. Kai fummelte an der hohlen Kugel herum.
   „Jetzt erzähl mal!“, forderte sie mich auf, während sie einige Saphire in die Kugel füllte. „Wer wohnt in deiner Nachbarschaft?“
   Ich hatte keine Lust darüber zu reden, zumal wir meinen Nachbarn gleich gegenüberstehen würden und ich aussah wie ein Feendrache, der ein Tagespraktikum in der Blechbüchsenindustrie absolvierte. Aber es konnte auch nicht schaden, Kai darauf vorzubereiten, wen wir antreffen könnten.
   „Gleich auf dem gegenüberliegenden Ufer des feuchten Flusses, der an meiner Höhle vorbeifließt, steht das Bauhaus. Da wohnt Okulus. Er ist ein Zyklop und vielleicht so groß wie du. Er wird aber nur Klüpfel genannt, weil er der geborene Heimwerker ist. Zumindest glaubt er das. Er hämmert und klopft immer an irgendwas herum, was dann aber kaputt oder zumindest schief geht. Keine Ahnung, ob das daran liegt, dass er ein Augenproblem hat. Jedenfalls regt sich seine direkte Nachbarin, diese Krähe von einer Harpyie, über den Krach auf.“
   „Das ist aber nicht sehr nett, sie Krähe oder Harpyie zu nennen“, bemerkte Kai, während sie mir, auf einer Leiter stehend, die mit Juwelen gefüllte Kugel umgedreht auf meinen Kopf setzte.
   „Sie ist eine Krähe. Oder eine Harpyie. Man weiß es nicht genau. Entweder ist sie eine Harpyie, die wie eine Krähe klingt oder eine Krähe, die wie Harpyie klingt. Keiner kann das sagen, weil sie noch niemand gesehen hat. Nur gehört. Sie liebt es, sich zu beschweren.“
   „Aha“, machte Kai und zurrte das Seil, welches die Kugel an ihrem Platz halten sollte, unter meiner Schnauze fest.
   „Ja und wo wir gerade bei Nachbarn sind, die man nicht sieht: Im mysteriösen Wäldchen nebenan leben die Elfen, aber die sind nie zu Hause. Das heißt es könnte ein sehr kurzer Rundgang werden.“
   „Und sonst wohnt hier niemand?“, fragte Kai. Sie war soeben von der Leiter herabgestiegen und betrachtete ihr Werk kritisch.
   „Hm“, überlegte ich laut. „In der nahen Umgebung nicht. Etwas weiter weg liegt die Stadt Eswarzweimal. Und dann gibt es noch ein paar Hügel, Höhlen und Häuser, wo weitere phantastische Wesen leben, die ich aber nur vom Hörensagen kenne. Außerdem haben wir derzeit viele Leerstände, es sind einige weggezogen.“
   „Na gut, dann versuchen wir unser Glück einfach“, sagte Kai. „Hast du noch einen Beutel?“
   „Wofür?“
   „Na für die Süßigkeiten. Wir wollen doch Süßes, sonst geben wir ihnen Saures.“
   „Guck mal in die Haushaltsalmerei, da bewahre ich meine Einkaufsbeutel auf“, sagte ich, denn bewegen wollte ich mich nicht. Ich fühlte mich eingeengt. Es war unbequem bis garstig, eine Tanksäule zu sein. Die Schilde waren sehr dicht um meine Taille geschnallt. Trotzdem musste ich den Schildgürtel mit meinen Vorderklauen stützen, damit er nicht ständig hoch oder runter rutschte. Wenigstens waren meine Flügel frei. Ich schielte nach oben.
   „Was soll eigentlich die Kugel mit den Juwelen auf meinem Kopf darstellen?“
   „Das ist dieses blaue Licht, das bei den Feuerwehrwagen oben drauf sitzt“, sagte Kai, den Beutel in der Hand schwenkend.
   „Aha, und was macht das blaue Licht?“
   „Es leuchtet blau. Du bist eine Mischung aus Tanksäule und Feuerwehrauto.“
   „Hmpf“, machte ich skeptisch. Meine Angst vor Benzin war komplett verflogen und hatte der Angst, mich zum Trottel zu machen, komplett Platz gemacht. „Und du meinst, das erkennt man?“
   „Klar, das ist doch eindeutig!“
   Kai setzte sich wieder die unechten Steinbruchzähne ein, trat aus der Höhle heraus und wartete bis ich ebenfalls draußen stand.
    ‚Hoffentlich ist keiner da‘, dachte ich und war dankbar, dass es bereits Nacht war.
   „Mist“, sagte Kai, als sie die Tür schloss. „Ich hab die Laterne vergessen. Jetzt sehen wir nichts.“
   „Ach, da mach dir mal keine Sorgen“, sagte ich.
   Ich blies eine züngelnde Flamme in die Luft und schlug mehrmals sanft mit den Flügeln. Mein magischer Flügelschlag hüllte das Feuer ein und umschloss es zu einer schwebenden Sphäre, die unseren Weg erhellte.
   „Wunderschön“, flüsterte Kai. „Sowas kannst du auch?“
   Ich zog einen Maulwinkel nach oben. Dann watschelte ich los. Die Feuersphäre schwebte dicht vor mir und tauchte den Wegeabschnitt in warmes Licht. Kai ging an meiner Seite. Sie beobachtete die Sphäre fasziniert.
   Die Steinbrücke, die sich über den feuchten Fluss wölbte, hatten wir bald hinter uns gelassen. Wir betraten den Hof, auf dem Klüpfels Bauhaus stand. Überall lagen halbfertige und defekte, hölzerne und metallene Konstruktionen verstreut. Dazwischen, und das wunderte mich, glühten uns hässliche Fratzen an.
   „Oh, es scheint, als ob dein Nachbar Halloween kennt“, freute Kai sich. „Ausgehöhlte Kürbisse. Das gehört mit dazu.“
   Als wir vor der Eingangstür des Bauhauses angekommen waren, forderte ich Kai auf, zu klingeln. Mehr als stehen und laufen war in dieser Verkleidung nicht drin.
   „Du musst an den Schwanzfedern des Hahnes dort auf der Stange neben der Tür ziehen“, wies ich Kai an.
   Kai tat es und ein bemühtes Krähen ging von dem Federvieh aus. Ein anderes, ärgerliches Krächzen schallte aus den Bäumen zurück. Kai guckte mich fragend an.
   „Die Krähe … oder Harpyie, wie du willst“, erklärte ich gelangweilt.
   Da öffnete sich die Tür.
   „Süßes oder Saures“, rief Kai sofort und vollführte wieder ihren Hexentanz.
  Uns gegenüber stand ein Pirat, der ungefähr die gleiche Größe wie Kai hatte. Auf seinem Kopf thronte ein imposanter Hut auf dem ein Totenschädel abgebildet war. Der Pirat war in zerfetzte Seemannskleidung gehüllt. Außerdem trug er eine Augenklappe. Über seinem einzigen Auge.
   „Klüpfel?“, fragte ich erstaunt.
   „Nein“, antwortete Klüpfel gewohnt langsam. „Ich bin ein grausamer Piratenkapitän. Man nennt mich ‚Das schwarze Auge‘!“
   „Dein Kostüm sieht wirklich toll aus“, meinte Kai anerkennend.  
   „Vielen Dank …“, Zeit verstrich „… eure Kostüme sehen bestimmt auch toll aus. Leider kann ich sie nicht sehen.“
   „Dann nimm doch die Klappe ab“, schlug ich vor. Klüpfel war manchmal nicht der Schnellste.
   „Eine gute Idee“, sagte Klüpfel und zog den Stoff im Schneckentempo beiseite. „Oh. Eine Hexe und eine Tanksäule mit Blaulicht. Gruselig.“
    „Das erkennst du?“, rutschte es mir überrascht heraus. „Ich meine … so ist es.“
   „Und weil ihr tatsächlich toll ausseht, habe ich hier ein paar Süßigkeiten für euch“, sprach Klüpfel und schob Kai einen Korb mit Bonbons hin. „Bedien dich. Dass heißt, ich glaube die Tanksäule braucht etwas anderes.“
   Klüpfel verschwand im Bauhaus. Eine Ewigkeit verstrich, bis er wieder zur Tür kam. Er streckte eine große Schüssel mit Schokopralinen in meine Richtung.
   „Das sind Rumkugeln und Monchhichi-Weinbrandtrüffel. Die sind mit ganz besonders edlen Tropfen gefüllt. Genau der richtige Stoff für eine Tanksäule.“
   „Die bewahre ich am besten gleich in meinem Magen auf“, sagte ich verantwortungsvoll. Zwar hatte ich noch nie Alkoholpralinen gegessen, aber schließlich war ein Kind anwesend und beim Umgang mit Alkohol musste ich ein gutes Vorbild abgeben.
   „Mein Name ist übrigens Kai. Weil heute Halloween ist, gehen wir durch die Nachbarschaft. Willst du nicht mitkommen?“, fragte Kai, während ich mir das Maul  vollstopfte. Der scharfe Beigeschmack des Alkohols erinnerte mich entfernt an Benzingeruch. Fast wollte mir flau werden, doch irgendwie schmeckte es dann doch zu gut. Ich fraß daher alles bis auf die letzte Praline auf.
   „Mitkommen?“, wiederholte Klüpfel langsam. Dann breitete sich ein Strahlen über sein ganzes Gesicht aus. „Sehr gerne.“
   „Ja, sehr gerne“, echote es erbost aus den nachtdunklen Wipfeln. „Vielleicht ist dann hier auch endlich wieder Ruhe. Rechtschaffende Wesen wollen schließlich um diese Zeit schlafen.“
   „Hallo Frau Krähen-Harpyie“, rief Kai und winkte in die dunkle Nacht.
   „Was fällt diesem Kind ein? Eine Unverschämtheit!“, geiferte es zurück.
   „Immer schön höflich bleiben“, erwiderte ich und ließ ein tiefes Grollen folgen.
   „Pah“, krächzte es aus der Finsternis. „Eine Eidechse als Leuchtturm verkleidet macht mir keine Angst. Wo kommen wir denn da hin?“
   „Was Süßes kriegen wir leider nicht von ihr“, wendete ich mich an Kai und grinste, „aber ich könnte ihr Saures geben …“
   „Ach nein, lass mal“, Kai schüttelte den Kopf, „ist nicht nötig. Du sagtest, dass es noch die Elfen gibt. Gehen wir zu denen.“
   Also machten wir uns erneut auf den Weg. Ich mit der Feuersphäre etwas schwankend vorneweg, Kai mit einem prall gefüllten Bonbonbeutel neben mir und hinter uns schlenderte Klüpfel. Er trug seine Klingel mit sich, als Papageienersatz. Wir kamen dann auch einigermaßen flott im mysteriösen Wäldchen voran, mal abgesehen davon, dass ich mich hier und da beim Abbiegen irrte. Seit ich die Alkoholpralinen gegessen hatte, war es schwieriger geworden, bei Gabelungen den realen Weg zu wählen.
   Aber sei‘s drum, irgendwann schafften wir es und standen vor dem Elfenzaun. Doch es kam, wie ich befürchtet hatte. Bis auf das im Vorgarten schlafende Nashorn, dem man eine Schleife ums Horn gebunden hatte, war nichts und niemand da.
   „Hm“, machte Kai. „Man sieht ja gar kein Haus.“
   „Tjaaaa“, bemühte ich mich um eine deutliche Aussprache. „Das iss unsischbar. Oda es iss su dunkel. Ich weiß nich genau, ich hab Schwierigkeiten, geradeaus su gucken.“
   „Ich kann auch nichts erkennen“, ergänzte Klüpfel.
   „Du hast jaaa auch schon wieda die Augenklappe auf“, stellte ich fest. „Hassu eigentlich noch welche von den Schoookopralinen? Die waren eeeecht schmackhaft.“
   „Na gut“, sagte Kai und zuckte mit den Schultern. „Dann gehen wir zurück. Dank Klüpfels großzügiger Spende haben wir genug Bonbons. Und du hast für heute offenbar auch schon reichlich getankt.“
   „Ooocch“, machte ich gedehnt. Ich verstand jetzt, was Klüpfel am langsamen Sprechen gefiel. „Naaa guuuut … oda … auch nich. Irgendwie wird mir nun doch eeeetwas flau im Magen ...“
   „Oje“, sagte Kai, „versuch durchzuhalten. Wir bringen dich so schnell wie möglich in deine Höhle und dann kannst du gleich schlafen.“
Ich nickte, aber nur einmal, dann wurde mir schwindelig. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr, es liegt hinter einem watteweichen Schleier verborgen. Da blitzen nur vereinzelt Bilder durch, die unter anderem etwas mit Klüpfels Hahnenklingel zu tun haben. Vielleicht wollte ich mich an etwas festhalten, weil sich alles zu drehen begann? Auf jeden Fall krähte irgendwas ganz laut und dann war da noch ein Nashorn, das plötzlich wütend auf uns zugerannt kam. Ich verstand zwar nicht, warum Kai und Klüpfel mich wegzerrten. Jedoch habe ich es wohl geschehen lassen, denn das letzte, an das ich mich von diesem Abend erinnere, ist, wie ich mich wohlig in meinem Nest unter die vielen Goldmünzen eingrub und von saphirblauen Bonbons träumte, die in einem See aus Benzinschokolade schwammen.

 

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